Amnesty Report Kambodscha 09. Mai 2011

Kambodscha 2011

Amtliche Bezeichnung: Königreich Kambodscha Staatsoberhaupt: König Norodom Sihamoni Regierungschef: Hun Sen Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 15,1 Mio. Lebenserwartung: 62,2 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 92/85 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 77%

Zu den gravierendsten Menschenrechtsverstößen zählten weiterhin rechtswidrige Zwangsräumungen, Landraub und Landkonflikte. Es kam vermehrt zu Protestkundgebungen der betroffenen Familien und Gemeinschaften. Engagierte Bürger und Menschenrechtsverteidiger, die für das Recht auf angemessenen Wohnraum eintraten, sahen sich mit gerichtlichen Klagen und Inhaftierungen konfrontiert, die auf fadenscheinigen Anschuldigungen beruhten. Dem Justizwesen und den Gerichten mangelte es weiterhin an Unabhängigkeit. Sie wurden eingesetzt, um die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit zu unterdrücken. Journalisten, Gewerkschafter und Oppositionspolitiker waren Angriffen ausgesetzt. Die Straflosigkeit für Menschenrechtsverletzungen gab nach wie vor Anlass zu größter Besorgnis. Kaing Guek Eav (alias Duch) war der erste Angeklagte, der von den Außerordentlichen Kammern der Kambodschanischen Gerichte (Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia – ECCC) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Herrschaft der Roten Khmer für schuldig befunden wurde.

Hintergrund

Die Behörden akzeptierten alle 91 Empfehlungen zur Verbesserung der Menschenrechtslage, die von UN-Mitgliedstaaten im Rahmen der Universellen Regelmäßigen Überprüfung (UPR) im März unterbreitet wurden. Dazu zählten Maßnahmen, um Straflosigkeit, rechtswidrige Zwangsräumungen und unfreiwillige Umsiedlungen zu bekämpfen sowie der Vorschlag einer Justizreform.

Der Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für Menschenrechte in Kambodscha legte bei seinem Besuch im Juni 2010 ein besonderes Augenmerk auf das Justizsystem. Er befand, das Justizwesen sei nicht unabhängig und überhaupt nicht dazu in der Lage, für Gerechtigkeit zu sorgen.

Ein neues Strafgesetzbuch, das im Dezember in Kraft trat, enthielt umstrittene Bestimmungen, die das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränkten.

Rechtswidrige Zwangsräumungen

Im ganzen Land litten Tausende von Personen, darunter auch Angehörige indigener Bevölkerungsgruppen, unter rechtswidrigen Zwangsräumungen, Landraub und Landkonflikten. Einige Fälle standen im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Landkonzessionen, die mächtigen Unternehmen und Einzelpersonen eingeräumt worden waren. Immer mehr Menschen und Gemeinden fanden sich zu Protesten zusammen und reichten bei den Behörden Petitionen ein, um ihr Recht auf angemessenen Wohnraum zu verteidigen.

Im Mai 2010 bestätigten die Behörden einen Runderlass zu "Übergangssiedlungen auf widerrechtlich besetztem Land". Er zielte darauf ab, alteingesessene Gemeinschaften, die zum Teil über rechtmäßige Besitztitel verfügen, aus der Hauptstadt Phnom Penh und sonstigen städtischen Gebieten in andere Gegenden umzusiedeln.

  • Die rechtswidrige Zwangsräumung von 20000 Menschen, die rund um den Boeung-Kak-See in Phnom Penh lebten, beschleunigte sich, als ein Privatunternehmen, das in diesem Gebiet Bauprojekte durchführt, den See mit Sand aufschüttete. Das durch die Aufschüttung verdrängte Wasser überflutete Häuser und zerstörte Besitztümer. Vertreter des Unternehmens bedrohten und schikanierten die Bewohner in der Absicht, sie dazu zu zwingen, unzureichende Entschädigungen oder Umsiedlungen zu akzeptieren, obwohl viele von ihnen über rechtmäßige Besitztitel nach dem Landgesetz von 2001 verfügten. Engagierte Bürger, die gegen die rechtswidrige Zwangsräumung protestierten, wurden von der Polizei schikaniert.

  • Die Polizei setzte unnötige Gewalt ein, darunter Elektroschockwaffen, um eine friedliche Protestkundgebung aufzulösen, die Anwohner des Boeung-Kak-Sees aus Anlass eines Kambodscha-Besuchs des UN-Generalsekretärs veranstaltet hatten. Suong Sophorn wurde von der Polizei bewusstlos geschlagen und bis zur Abreise des UN-Generalsekretärs in Gewahrsam gehalten. Er war bereits 2009 festgenommen und mit einer Geldstrafe belegt worden, weil er "Stoppt die Zwangsräumungen" auf sein Haus geschrieben hatte.

Internationales Recht

  • Im Juli 2010 fällten die ECCC ein historisches Urteil gegen Kaing Guek Eav (alias Duch). Aufgrund seiner Beteiligung an Massenhinrichtungen, Folter und anderen Verbrechen während der Herrschaft der Roten Khmer erging gegen ihn ein Schuldspruch wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwerer Verletzungen der Genfer Konventionen. "Duch" war Kommandant des Sicherheitsgefängnisses S-21, in dem mindestens 14000 Menschen gefoltert und getötet worden waren. Er wurde zu 35 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Durch die Anrechnung der Zeit in Untersuchungshaft und der Zeit, in der er ohne ausreichende Rechtsgrundlage inhaftiert war, verringerte sich die Haftdauer um 16 Jahre. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung legten Rechtsmittel gegen das Urteil ein.

  • Im September wurden Ieng Sary, Ieng Thirith, Khieu Samphan und Nuon Chea wegen Völkermordes an Vietnamesen und Angehörigen der Cham, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und anderen Verbrechen angeklagt.

  • Ministerpräsident Hun Sen verhinderte Fortschritte in zwei weiteren Fällen, die sich auf fünf Personen bezogen, indem er erklärte, dass er keine weiteren Strafverfolgungen dulden werde.

Menschenrechtsverteidiger

Zahlreiche Personen wurden 2010 festgenommen, weil sie das Recht auf Wohnen verteidigt und gegen Landraub und rechtswidrige Zwangsräumungen protestiert hatten. Dutzende Personen saßen Gefängnisstrafen ab, zu denen sie in früheren Jahren verurteilt worden waren. Die meisten wurden aufgrund konstruierter, unbegründeter oder fadenscheiniger Vorwürfe angeklagt, wie Beschädigung von Privateigentum, Aufwiegelung, Raub und Körperverletzung.

  • Die Verfahren gegen Dorfbewohner, die bei einem Landkonflikt im Distrikt Chikreng (Provinz Siem Reap) gegen den Verlust von Ackerland protestiert hatten, wurden fortgeführt. Hunderte von Dorfbewohnern nahmen an den Verhandlungen teil, um die Angeklagten zu unterstützen, zu denen auch der buddhistische Mönch Luon Savath zählte. Er wurde von den Sicherheitskräften wegen seiner friedlichen Aktivitäten schikaniert. Auch drohte man, ihn seines Priesteramts zu entheben. Luon Savath hatte dokumentiert, welche Folgen der Schusswaffeneinsatz der Sicherheitskräfte gegen die Protestierenden aus Chikreng im März 2009 gehabt hatte.

  • Im Zusammenhang mit einem Landkonflikt zwischen einem Zuckerunternehmen und den Bewohnern des Dorfes Bos im Distrikt Samrong (Provinz Oddar Meanchey) erging im Mai ein Urteil gegen Long Sarith und Long Chan Kiri. Die beiden Sprecher der Dorfgemeinschaft wurden wegen "Rodung von Staatswald" zu zwei Jahren Haft verurteilt. Vier Tage nach ihrer Festnahme im Oktober 2009 hatten Sicherheitskräfte die Häuser von 100 Familien des Dorfes zerstört.

Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit

Die Gerichte wurden dazu benutzt, um die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit von Journalisten, Gewerkschaftsmitgliedern und oppositionellen Parlamentariern einzuschränken.

  • Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei, Sam Rainsy, wurde nach zwei Gerichtsverfahren im Januar und im September 2010 in Abwesenheit zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Die Anklage war wegen Protesten in Zusammenhang mit einem umstrittenen Gebiet an der kambodschanisch-vietnamesischen Grenze erhoben worden. Sam Rainsy lebte im Exil.

  • Im September 2010 beteiligten sich rund 200000 Arbeiter an einem viertägigen landesweiten Streik, um gegen die unzureichende Erhöhung des Mindestlohns zu protestieren. Gewerkschaftsführern und aktiven Gewerkschaftsmitgliedern wurden rechtliche Konsequenzen angedroht, darunter Anklagen wegen "Aufwiegelung". Die Eigentümer der betroffenen Unternehmen suspendierten Gewerkschaftsführer und entließen Arbeiter, die sich an den Protesten beteiligt hatten. Obwohl die staatlichen Behörden eingriffen, waren bis Dezember 370 Arbeiter und führende Gewerkschaftsmitglieder noch nicht wieder eingestellt worden. Ende 2010 waren noch mehrere Gerichtsverfahren anhängig.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Es gab keine umfassenden und zuverlässigen offiziellen Angaben über das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, einschließlich sexueller Gewalt. Ebenso fehlten Angaben über die Zahl der Strafverfahren gegen Tatverdächtige. Aufgrund von Mängeln im Strafrechtssystem und der weit verbreiteten Praxis außergerichtlicher Regelungen hatten die Opfer Schwierigkeiten, zu ihrem Recht zu kommen. Ihre Traumatisierung wurde dadurch verstärkt, dass es kaum Einrichtungen gab, die ihnen Hilfe und Unterstützung boten.

  • Meas Veasna war dem Vernehmen nach im Juni 2009 von einem Mönch einer Pagode in der Provinz Prey Veng vergewaltigt worden. Sie hatte nur wenige Wochen zuvor ein Kind zur Welt gebracht. Obwohl sie das Verbrechen bei der Polizei angezeigt und an einem Treffen mit den Vorstehern der Pagode, der Polizei, örtlichen Behördenvertretern sowie dem mutmaßlichen Täter teilgenommen hatte, wurde keine strafrechtliche Verfolgung in die Wege geleitet. Stattdessen gab ihr ein Vertreter der Pagode 250 US-Dollar für medizinische Behandlung. Wegen des mit der Vergewaltigung verbundenen Stigmas lebte sie getrennt von ihrem Mann und ihren kleinen Kindern in einer anderen Stadt.

Amnesty International: Missionen und Bericht

Eine Delegation von Amnesty International besuchte Kambodscha im Februar und März.

Breaking the silence: Sexual violence in Cambodia (ASA 23//001/2010)

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