Armenien 2011
Amtliche Bezeichnung: Republik Armenien Staatsoberhaupt: Serge Sarkisjan Regierungschef: Tigran Sarkisjan Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 3,1 Mio. Lebenserwartung: 74,2 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 29/25 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 99,5%
Auch 2010 herrschte Straflosigkeit für Personen, die Menschenrechtsverletzungen begangen hatten. Der Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt blieb weiterhin hinter internationalen Standards zurück. Nach wie vor wurde keine echte zivile Alternative zum Militärdienst angeboten.
Tod in Gewahrsam
Nach ihrem Besuch in Armenien im September äußerte sich die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen besorgt über Misshandlungen und Prügel gegen Untersuchungsgefangene und Häftlinge. Auch beanstandete sie, dass Untersuchungsgefangene unter Druck gesetzt wurden, um ihnen Geständnisse abzupressen.
- Im April 2010 starb Vahan Khalafjan in einem Krankenhaus nur wenige Stunden nach seiner Inhaftierung wegen Diebstahlverdachts im Polizeirevier der Stadt Charentsavan. Die Behörden behaupteten, er habe sich selbst erstochen, nachdem er von Polizeibeamten misshandelt worden war. Die Selbstmordversion wurde indes von seiner Familie angefochten. Im November wurden zwei Polizeibeamte wegen Amtsmissbrauch verurteilt, der zu dem Selbstmord geführt haben soll. Ein Beamter erhielt eine achtjährige Freiheitsstrafe, sein Untergebener eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren.
Straflosigkeit
Bis Ende 2010 hatten noch immer keine unabhängigen Ermittlungen in Bezug auf Vorwürfe wegen der exzessiven Verwendung von Gewalt gegenüber Zivilpersonen im Zuge der Proteste nach den Wahlen von 2008 stattgefunden. Niemand war bezüglich der zehn Todesopfer, darunter zwei Polizeibeamte, die während der gewaltsamen Demonstrationen umgekommen waren, zur Verantwortung gezogen worden. Die Familien von neun Opfern initiierten wegen des Versäumnisses, Ermittlungen hinsichtlich der Todesfälle durchzuführen, ein Verfahren gegen das Büro der Generalstaatsanwaltschaft. Das Allgemeine Gericht wies ihre Beschwerden ab, und seine Entscheidungen wurden sowohl durch das Berufungsgericht als auch durch den Obersten Gerichtshof bestätigt.
Recht auf freie Meinungsäußerung
Im November 2010 wurde Nikol Paschinjan, ein Anhänger der Opposition und Chefredakteur der Zeitung Haykakan Zhamanak, Berichten zufolge von Unbekannten überfallen, während er sich zur Verbüßung einer revidierten Haftstrafe von drei Jahren und elf Monaten im Gefängnis befand. Ursprünglich hatte man ihn im Januar unter der Anklage, im Jahr 2008 Massenunruhen organisiert zu haben, zu sieben Jahren Haft verurteilt. Aus der Haft heraus verfasste er weiterhin Artikel für seine Zeitung. Sein Anwalt berichtete, dass Nikol Paschinjan bereits zuvor mit gewaltsamen Übergriffen bedroht worden war, falls er nicht aufhöre, in seiner Zeitung die angeblichen korrupten Praktiken im Strafvollzugssystem anzuprangern. Nach dem Überfall wurde der Journalist in eine andere Haftanstalt verlegt.
Gewalt gegen Frauen und Mädchen
Im März 2010 setzte die Regierung auf Anordnung des Ministerpräsidenten den ressortübergreifenden Staatlichen Ausschuss gegen geschlechtsspezifische Gewalt ein. Entgegen einer Empfehlung des UN-Ausschusses zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW-Ausschuss) aus dem Jahr 2009 kam die Regierung indes weder damit voran, Gesetze zu verabschieden, die sich speziell gegen Gewalt gegen Frauen richten, noch Schutzeinrichtungen bereitzustellen. Im Berichtsjahr existierte lediglich eine von der NGO Women’s Rights Centre mithilfe ausländischer Spendengelder unterhaltene Notunterkunft für Opfer familiärer Gewalt.
- Im Oktober 2010 kam die 20-jährige Zaruhi Petrosjan, ein Opfer anhaltender familiärer Gewalt, ums Leben, Berichten zufolge, nachdem sie von ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter brutal verprügelt worden war. Laut ihrer Schwester hatte sich Zaruhi Petrosjan zweimal an die Polizei gewandt, um die Misshandlungen anzuzeigen und Hilfe zu erbitten, jedoch wurde ihr Fall angeblich als "unwichtig" und "irrelevant" abgetan. Nach breiter Berichterstattung über den Fall nahmen die Behörden ihren Mann fest und legten ihm "absichtliche schwere Gesundheitsschädigung" zur Last.
Gewaltlose politische Gefangene
Ende 2010 verbüßten 73 Männer Haftstrafen, weil sie sich aus Gewissensgründen geweigert hatten, Militärdienst zu leisten. Der alternativ zum Dienst an der Waffe angebotene Zivildienst stand nach wie vor unter Kontrolle des Militärs. Im November verhandelte die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte über einen Einspruch, den der Kriegsdienstverweigerer Vahan Bajatjan gegen die Entscheidung des Gerichtshofs im Jahr 2009 eingelegt hatte. Danach sei sein Recht auf Religions- und Gewissensfreiheit nicht verletzt worden, als er 2002 wegen Kriegsdienstverweigerung verurteilt worden war. 2009 erklärte der Gerichtshof, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen durch keinen Artikel der Konvention gewährleistet sei. In einer abweichenden Meinung gab eine Richterin des Gerichtshofs zu Protokoll, das Urteil ignoriere die fast universell akzeptierte Rechtsauffassung, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen elementar für die Rechte auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit sei.