Amnesty Report 20. Mai 2010

Zentralafrikanische Republik 2010

 

Amtliche Bezeichnung: Zentralafrikanische Republik Staatsoberhaupt: François Bozizé Regierungschef: Faustin Archange Touadéra Todesstrafe: in der Praxis abgeschafft Einwohner: 4,4 Mio. Lebenserwartung: 46,7 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 196/163 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 48,6%

Aufgrund von kriegerischen Auseinandersetzungen in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) waren 2009 mehrere zehntausend Menschen weiterhin Flüchtlinge im eigenen Land. 130000 Menschen hatten in Nachbarländern Zuflucht gesucht. Zahlreiche Zivilisten wurden von Kämpfern verletzt oder ungesetzlich getötet. Angehörige der Sicherheitskräfte, die Menschenrechtsverletzungen begangen hatten, blieben straffrei. Die Vorbereitungen des Internationalen Strafgerichtshofs (International Criminal Court – ICC) für den Prozess gegen Jean-Pierre Bemba kamen voran. Der Hexerei beschuldigte Menschen wurden gefoltert.

Hintergrund

Trotz des im Dezember 2008 begonnenen Nationalen Integrativen Dialogs über die Beendigung des bewaffneten Konflikts hielten die Kämpfe im Norden und Osten des Landes an. Bei einigen Kämpfen, in deren Verlauf zahlreiche Zivilpersonen starben und Tausende von Menschen vertrieben wurden, waren auch Angehörige rivalisierender ethnischer Gruppen beteiligt. Damit erreichte die Gewalt eine neue Dimension. Vor allem im Nordwesten der Zentralafrikanischen Republik kam es zwischen ethnischen Gruppen zu gewaltsamen Zusammenstößen.

Einheiten der ugandischen Streitkräfte führten mit Unterstützung der Streitkräfte der ZAR im Osten des Landes Militäroperationen gegen die ugandische Rebellengruppe Widerstandsarmee des Herrn (Lord’s Resistance Army – LRA) durch. Eigenen Berichten zufolge nahmen die ugandischen Streitkräfte mehrere hochrangige Kommandanten der LRA fest bzw. töteten sie und befreiten Zivilisten, die von den Rebellen verschleppt worden waren.

Im Juli unterzeichneten die Regierung und der Anführer der Demokratischen Front für das zentralafrikanische Volk (Front démocratique pour le peuple centrafricain – FDPC) in der libyschen Stadt Sirte zwar ein neues Friedensabkommen, doch gingen die Kampfhandlungen zwischen beiden Seiten weiter.

Größere bewaffnete Gruppierungen weigerten sich, die Empfehlung des Nationalen Integrativen Dialogs zu befolgen und mit der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration ihrer Kämpfer zu beginnen. Einige Gruppen, u. a. die Union Demokratischer Sammlungskräfte (Union des forces démocratiques pour le rassemblement – UFDR) und die Volksarmee für die Wiederherstellung der Republik und der Demokratie (Armée populaire pour la restauration de la républic et de la démocratie – APRD), knüpften ihre Kooperation im Rahmen des Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramms an die Entwaffnung ethnischer Milizen und tschadischer Rebellen im Norden der ZAR.

Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF gab im Juli bekannt, es habe in der Provinz Ouham-Pende dabei geholfen, rund 180 Kinder, die Mitglieder der APRD waren, zu demobilisieren. Ebenfalls im Juli veranstaltete der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) für Mitglieder der APRD, der regulären Streitkräfte und einer regionalen Friedensmission einen Workshop über Menschenrechte.

Es wurden mehrere Maßnahmen zur Vorbereitung der für 2010 angesetzten Parlamentswahlen getroffen. Im Juni 2009 verabschiedete die Nationalversammlung ein Wahlgesetz. Im August erließ Präsident François Bozizé ein Dekret, durch das eine unabhängige Wahlkommission eingesetzt wurde, die den Auftrag hat, die kommunalen und regionalen Wahlen sowie die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vorzubereiten, zu organisieren und zu beaufsichtigen.

Friedensmissionen

Im März wurde die im Tschad und im Norden der ZAR stationierte Europäische Überbrückungsoperation (EUFOR) von einer Militäreinheit der UN-Mission in der Zentralafrikanischen Republik und im Tschad (MINURCAT) abgelöst. Der UN-Sicherheitsrat hatte die Militäreinheit der MINURCAT im Januar genehmigt. Ungefähr 2000 Angehörige der EUFOR blieben unter dem Kommando der MINURCAT zur Friedenssicherung zunächst im Land. Geplant war, dass sie durch Einheiten aus afrikanischen Ländern und aus anderen Teilen der Welt abgelöst werden sollten. Bis Ende 2009 erreichte die MINURCAT die genehmigte Stärke von 5225 Soldaten nicht. Gleichzeitig wurden jedoch immer mehr europäische Soldaten abgezogen.

Die von der Wirtschaftsgemeinschaft Zentralafrikanischer Staaten unterstützte Mission für die Friedenskonsolidierung in Zentralafrika (MICOPAX) blieb in der ZAR. Trotz der Präsenz der MINURCAT und der MICOPAX im Norden und Osten der ZAR war der größte Teil der gefährdeten Zivilbevölkerung ohne Schutz. Zahlreiche Zivilpersonen wurden von Soldaten der regulären Armee und von Milizionären getötet. Fast 20000 Menschen suchten im Tschad und in Kamerun Zuflucht, mehr als 100000 Menschen waren Binnenflüchtlinge.

Internationale Rechtsprechung – Jean-Pierre Bemba

Jean-Pierre Bemba, ehemaliger Vizepräsident der Demokratischen Republik Kongo und Anführer einer bewaffneten Gruppe, befand sich nach wie vor in Untersuchungshaft des ICC und wartete auf die Eröffnung des Prozesses gegen ihn. Er muss sich für Verbrechen verantworten, welche die unter seinem Befehl stehende bewaffnete Gruppe zwischen Ende 2002 und Anfang 2003 in der ZAR begangen haben soll. Die Vorverfahrenskammer des ICC genehmigte seine Entlassung aus der Untersuchungshaft unter der Voraussetzung, dass sich ein Land bereit erklärte, ihn aufzunehmen. Dies löste Proteste der Anklagevertretung des ICC und von Anwälten der Opfer aus. Es fand sich jedoch kein Staat, der Bemba aufnehmen wollte. Daraufhin ordnete die Berufungskammer seinen Verbleib in Untersuchungshaft bis zum Prozessbeginn im April 2010 an.

Menschenrechtsverstöße der Regierungstruppen und bewaffneter Gruppierungen Regierungstruppen und bewaffnete Gruppen verwundeten und töteten Zivilisten in den von Kampfhandlungen betroffenen Landesteilen. Die meisten Tötungen durch inländische bewaffnete Gruppen wurden aus den Provinzen Ouham, Ouham-Pende, Vakaga, Nana-Gribizi und Bamingui-Bangoran gemeldet. Durch die allgemein kritische Sicherheitslage war es für Menschenrechtsgruppen und humanitäre Hilfsorganisationen äußerst schwierig, die genaue Zahl der Verletzten und Getöteten zu bestimmen. Einige Opfer wurden zur Zielscheibe, weil man sie verdächtigte, die jeweiligen Gegner zu unterstützen, andere, weil sie die Konfliktparteien kritisiert hatten.

  • Mitglieder der APRD sollen im April 2009 Soule Garga, den Vorsitzenden des Nationalen Verbands der Viehzüchter in der ZAR, in der Stadt Paoua getötet haben.

  • Ein einheimischer Mitarbeiter des Roten Kreuzes wurde im Juni 2009 in der Stadt Birao getötet. Bei den Tätern soll es sich um Mitglieder einer nicht näher bezeichneten bewaffneten Gruppierung handeln.

Im Osten der ZAR töteten LRA-Kämpfer mehrere Zivilisten und verschleppten zahlreiche weitere Personen. Immer wieder griff die LRA Gebiete in und um die Kleinstadt Obo an.

  • Im April 2009 tötete die LRA zwei einheimische Mitarbeiter der italienischen Hilfsorganisation Cooperazione Internazionale (COOPI). Bei dem Angriff wurden noch zwei weitere Mitarbeiter der COOPI durch Schüsse verwundet.

Straflosigkeit

Regierungskräfte, vor allem Angehörige der Leibgarde des Präsidenten, verübten nach wie vor schwere Menschenrechtsverletzungen, ohne dafür strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Ein hochrangiger Offizier der Leibgarde des Präsidenten, der bereits in den vergangenen Jahren gemordet und gefoltert haben soll, ohne dafür strafrechtlich belangt zu werden, beging 2009 weitere Menschenrechtsverletzungen. So soll er im März in Bangui, der Hauptstadt der ZAR, angeordnet haben, den Polizeikommissar Daniel Sama zusammenzuschlagen, und sich auch an der Misshandlung beteiligt haben. Dem Vernehmen nach soll Daniel Sama, der nur wenige Stunden später seinen Verletzungen erlag, misshandelt worden sein, weil er eine Pistole besaß. Dabei handelte es sich jedoch um seine Dienstwaffe, die ihm rechtmäßig ausgehändigt worden war. Soweit bekannt, sind keine Ermittlungen eingeleitet worden, obwohl über den Fall ausführlich berichtet wurde und ein Minister erklärte, dass es eine Untersuchung geben werde.

Übergriffe gegen vermeintliche Hexer

Nach wie vor herrschte in der ZAR der Glaube vor, dass Einzelpersonen ihren Mitmenschen Unglück bringen und sogar deren Tod verursachen können. Der Hexerei verdächtigte Menschen wurden häufig gefoltert, auf andere Weise grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt und in einigen Fällen sogar umgebracht. Regierung und Sicherheitskräfte duldeten die Anschuldigungen und Misshandlungen stillschweigend und unternahmen nichts, um die Opfer zu schützen oder die für Übergriffe Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

  • Ein Gefängnisbeamter in der Stadt Mobaye (Provinz Basse-Kotto), der glaubte, dass ein 15 Jahre altes Mädchen den Tod seiner Frau verursacht habe, befahl im Juli 2009 Häftlingen, die Arme des Mädchens mit Petroleum zu übergießen und in Brand zu stecken. Das Mädchen erlitt schwere Verbrennungen. Sie war im Dezember 2008 festgenommen worden, weil man sie beschuldigte, den Tod eines zwölfjährigen Jungen durch Ertrinken verursacht zu haben. Bei ihrer Festnahme wurde sie von mehreren Leuten mit Schlägen misshandelt, weil sie ihre vermeintlichen Mittäter preisgeben sollte. Die Leute glaubten, dass diese sich in Schlangen verwandelt und den Jungen unter Wasser gezogen hätten, so dass er ertrank. Unter Folter soll das Mädchen zwei ihrer vermeintlichen Mittäter genannt haben, die dann ebenfalls festgenommen wurden.

  • Im September 2009 befand das erstinstanzliche Strafgericht in Bangui vier Menschen der Hexerei und der Scharlatanerie für schuldig, zwei von ihnen Kinder im Alter von zehn und 13 Jahren. Einer der verurteilten Erwachsenen war von seiner eigenen Tochter der Hexerei beschuldigt worden, hatte dies im Prozess jedoch abgestritten.

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