Amnesty Report Mazedonien 19. Mai 2010

Mazedonien 2010

 

Amtliche Bezeichnung: Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien Staatsoberhaupt: Gjorgje Ivanov (löste im Mai Branko Crvenkovski im Amt ab) Regierungschef: Nikola Gruevski Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 2 Mio. Lebenserwartung: 74,1 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 17/16 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 97%

Es gab nur wenige Fortschritte bei der strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechen, die im Zusammenhang mit dem internen bewaffneten Konflikt im Jahr 2001 begangen worden waren. Es wurden Maßnahmen zur strafrechtlichen Verfolgung von Misshandlungen durch die Polizei und Schritte gegen die Bedingungen in Gefängnissen ergriffen. Roma waren nach wie vor Diskriminierung ausgesetzt.

Hintergrund

Die Namensstreitigkeiten mit Griechenland dauerten an. Im Januar 2009 begannen Verhandlungen am Internationalen Gerichtshof im Rahmen eines im November 2008 von Mazedonien eingeleiteten Verfahrens. Beide Länder beschuldigten sich gegenseitig, gegen eine 1995 getroffene Interimsvereinbarung verstoßen zu haben, in der Mazedonien sich vorübergehend verpflichtet hatte, die Bezeichnung "Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien" zu führen. Griechenland hatte sich bereit erklärt, die Mitgliedschaft Mazedoniens in internationalen Organisationen nicht zu behindern, hatte jedoch 2008 gegen die NATO-Mitgliedschaft Mazedoniens ein Veto eingelegt.

Im Oktober empfahl die Europäische Kommission die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, doch wurde die Entscheidung der EU-Außenminister im Dezember auf Antrag Griechenlands vertagt.

NGOs äußerten sich besorgt angesichts der Maßnahmen, welche die Regierung ergriffen hatte, um den Anspruch Mazedoniens auf eine historische Identität zu bekräftigen (u. a. Finanzierung des Baus von Denkmälern mit öffentlichen Mitteln) sowie angesichts des wachsenden Einflusses der Mazedonisch-Orthodoxen Kirche auf den säkularen Staat. Im April erklärte das Verfassungsgericht Artikel 26 des Gesetzes für die Grundschulen, der die Einführung von Religionsunterricht vorsieht, für verfassungswidrig.

Justizsystem

Das Verfahren im Fall der Straßenarbeiter der Baufirma "Mavrovo", der vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia – ICTY) an Mazedonien zurückverwiesen worden war, wurde im Mai wegen der noch ausstehenden Auslieferung eines Beschuldigten aus Deutschland vertagt. Die Straßenarbeiter waren Berichten zufolge im August 2001 von der ethnischen albanischen nationalen Befreiungsarmee UÇK misshandelt, sexuell missbraucht und mit dem Tode bedroht worden, bevor sie wieder freikamen.

In drei weiteren Fällen, die ebenfalls vom ICTY zurückverwiesen worden waren, wurden keine Fortschritte gemeldet.

Das "Verschwindenlassen" von drei ethnischen Albanern sowie die Entführung von 13 ethnischen Mazedoniern und eines Bulgaren im Jahr 2001 blieben weiterhin unaufgeklärt.

Folter und andere Misshandlungen

Im Februar 2009 ratifizierte Mazedonien das Fakultativprotokoll des UN-Übereinkommens gegen Folter. Das Büro des Ombudsmanns wurde zum nationalen Präventivorgan für die Umsetzung des Protokolls erklärt und zur Zusammenarbeit mit NGOs ermächtigt.

Polizei und NGOs berichteten von einem geringeren Aufkommen an Folterungen und anderen Misshandlungen. Zuvor hatte man die "Alfi"-Spezialeinheiten der Polizei außerhalb Skopjes aufgelöst, die Untersuchungen durch den Sektor für interne Kontrolle und professionelle Standards des Innenministeriums (Sector for Internal Control and Professional Standards – SICPS) verbessert und Haftprotokolle auf Polizeistationen eingeführt. Richter und Staatsanwälte veranlassten jedoch auch weiterhin keine Ermittlungen bei mutmaßlichen Misshandlungsfällen, sogar dann nicht, wenn Inhaftierte bei Erscheinen vor Gericht sichtbare Spuren von Misshandlungen aufwiesen.

Nach der Untersuchung der mutmaßlichen Misshandlung von Jovica Janevski durch Schläge auf der Polizeistation von Tetovo im Jahr 2008 verwies der SICPS den Fall im März an den Staatsanwalt von Tetovo, der es bereits zuvor versäumt hatte, diesbezüglich Ermittlungen zu veranlassen.

Das Justizministerium initiierte einen strategischen Plan zur Verbesserung der "erbärmlichen" Haftbedingungen, die 2008 vom Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter festgestellt worden waren. Zu den angekündigten Maßnahmen gehörten die dringende Sanierung mehrerer Gefängnisse und anderer Einrichtungen für Häftlinge sowie die Verstärkung und Schulung des Gefängnispersonals.

Im Juni traf der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erste Vorüberlegungen zu einem Gesuch von Jasmina Sulja, der Partnerin von Sabri Asani, einem ethnischen Albaner, der im Januar 2000 starb, nachdem er Berichten zufolge in Polizeigewahrsam verprügelt worden war. Bislang wurden noch keine Ermittlungen durchgeführt und Jasmina Sulja ein effektiver Rechtsbehelf somit verweigert.

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

Der Staatsanwalt unterließ es, sich mit einer im Januar von Khaled el-Masri eingereichten Klage zu befassen. In dieser beschuldigt Khaled el-Masri Mazedonien der Beteiligung an seiner Entführung, gesetzwidrigen 23-tägigen Inhaftierung und Misshandlung im Jahr 2003, in deren Anschluss er an die US-Behörden überstellt und nach Afghanistan geflogen wurde. Dort hat man ihn nach vorliegenden Informationen gefoltert und misshandelt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte führte nach Einreichen der Klage gegen Mazedonien gerichtliche Voruntersuchungen durch.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im März 2009 unterließ es die Polizei, etwa 150 Studierende, die gegen Pläne der Regierung zum Bau einer Kirche auf dem Hauptplatz von Skopje demonstrierten, vor den Übergriffen einer großen Gegendemonstration zu schützen, die Berichten zufolge von der Mazedonisch-Orthodoxen Kirche organisiert worden war. Unter den Frauen und Männern, die wegen Vergehens gegen die öffentliche Ordnung angezeigt wurden, befanden sich neun Teilnehmer der Demonstration und sieben Teilnehmer der Gegendemonstration. Drei der für die Organisation verantwortlichen Studierenden wurden beschuldigt, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit nicht gewährleistet zu haben. Im April forderte ein Parlamentsausschuss eine Untersuchung; der SICPS kam zu dem Ergebnis, dass die Polizei ordnungsgemäß gehandelt hatte. Bei einem Marsch in Skopje am UN-Tag für Toleranz im November gab es keine Zwischenfälle.

Diskriminierung

Der Entwurf zu den im Rahmen des EU-Beitrittsverfahrens erforderlichen Antidiskriminierungsgesetzen entsprach nicht den Bestimmungen und wurde internationalen und EU-Standards nicht gerecht. Zahlreiche NGOs bemängelten zudem, dass sie im Entwurfsprozess nicht konsultiert worden waren.

Im April erklärte das Verfassungsgericht die Bestimmungen des Krankenversicherungsgesetzes, denen zufolge Kindergeld nur an Mütter in Gemeinden mit einer jährlichen Geburtenrate unter 2,1 Kindern pro 1000 Einwohner gezahlt wird, für verfassungswidrig. Die Bestimmungen hätten eine Diskriminierung von ethnischen albanischen Müttern und Müttern anderer Gemeinden ethnischer Minderheiten dargestellt.

Roma

Bei der Bekämpfung der Diskriminierung von Roma gab es weiterhin nur zögerliche Fortschritte. Ein vom UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) koordiniertes und von Roma-NGOs umgesetztes Registrierungsprogramm führte zu einer beträchtlichen Reduzierung der Anzahl nicht registrierter Roma.

Der Zugang von Roma-Kindern zu schulischer Bildung wurde durch staatliche Maßnahmen für die Bereitstellung kostenloser Schulbücher und Schultransporte sowie Stipendien für Schüler der Sekundarstufe verbessert. In Suto Orizari, einer hauptsächlich von Roma bewohnten Gemeinde, begannen Bauarbeiten für eine Schule der Sekundarstufe. Eine wachsende Zahl von Kindern besuchte jedoch Schulen, an denen Kinder der Mehrheitsgesellschaft und Roma-Kinder faktisch getrennt wurden.

Im November legte die Europäische Kommission einen negativen Bericht zum Fortschritt Mazedoniens bei der Bekämpfung der Diskriminierung von Roma vor. Die überarbeiteten staatlichen Aktionspläne zur Integration der Roma für das nächste Jahrzehnt wurden erst im Mai angenommen.

Die Regierung versäumte es, finanzielle Mittel für die Implementierung der staatlichen Aktionspläne zur Verbesserung des Status der Roma-Frauen bereitzustellen. UNIFEM, der UN-Entwicklungsfonds für Frauen, unterstützte Studien zu den Erfahrungen von Roma-Frauen im Umgang mit staatlichen Stellen.

Etwa 140 obdachlose Roma, die in Cicino Selo gegen ihre Lebensbedingungen protestiert hatten, wurden im September bei Nacht vertrieben und gegen ihren Willen in ein Ferienzentrum gebracht, wo sie keinen Zugang zu schulischen Einrichtungen, medizinischer Versorgung oder Arbeit hatten. Weiteren 20 Familien im Skopjer Stadtteil Aerodrom drohte die Zwangsräumung. Die Regierung stellte obdachlosen Roma-Kindern – einige erst neun Jahre alt –, die Berichten zufolge intravenös Heroin gespritzt haben sollen, keine Unterkunft oder medizinische Versorgung zur Verfügung.

Flüchtlinge

Im Rahmen eines Gesetzes für Asyl und subsidiären Schutz wurde ein Verwaltungsgericht für die Anhörung von Rechtsmitteln gegen die Ablehnung des Flüchtlingsstatus eingerichtet. Allerdings erhielten nur wenige der 1700 Roma und Aschkali aus dem Kosovo, denen subsidiärer humanitärer Schutz zugesichert worden war, Zugang zu einem umfassenden und fairen Verfahren, um ihren Anspruch auf internationalen Schutz zu ermitteln.

Laut UNHCR beantragten etwa 350 Personen ihre Rückkehr in den Kosovo. Die verbliebenen Personen hatten Anspruch auf lokale Integration, doch war diese Vorgehensweise von der Regierung noch nicht genehmigt worden.

Frauenrechte

Im Mai 2009 ratifizierte Mazedonien die Konvention des Europarats gegen Menschenhandel, die im September in Kraft trat. Die zur Durchsetzung der Konvention erforderlichen Gesetze wurden in der Praxis jedoch nicht umgesetzt. Das Gesetz für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern von 2006 war ebenfalls noch nicht vollständig umgesetzt.

Amnesty International: Mission und Bericht

Eine Delegation von Amnesty International besuchte Mazedonien im Oktober.

Amnesty International’s Concerns in Macedonia: January–June 2009 (EUR 65/002/2009)

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