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Paraguay: Vergewaltigte Zehnjährige musste Kind austragen
Eine brasilianische Amnesty-Aktivistin übergibt im paraguayischen Konsulat in Rio de Janeiro gesammelte Unterschriften zur Unterstützung des schwangeren Mädchens (Juni 2015).
© Anistia Internacional Brasil
Es ist eine beinahe unglaubliche Geschichte: Im April 2015 wurde bekannt, dass in Paraguay ein zehnjähriges Mädchen schwanger war, nachdem sie wiederholt von ihrem Stiefvater vergewaltigt worden sein soll.
Erika Guevara-Rosas ist Expertin für die Region Amerikas bei Amnesty International
"Mainumby" (nicht ihr richtiger Name) war bereits seit Januar in verschiedenen Gesundheitseinrichtungen untersucht worden, weil sie über Bauchschmerzen klagte. Die Schwangerschaft blieb jedoch unbemerkt. Erst im April wurde festgestellt, dass sie in der 21. Woche schwanger war.
Daraufhin beantragte die Mutter des Mädchens bei den Behörden einen Schwangerschaftsabbruch. Bereits 2014 hatte sie Anzeige wegen des sexuellen Missbrauchs ihrer Tochter erstattet, woraufhin jedoch nichts unternommen wurde. Die Behörden verweigerten Mainumby den Schwangerschaftsabbruch. Stattdessen verlegten sie das Mädchen in eine Einrichtung für junge Mütter.
Der Grund? Wie viele andere lateinamerikanische Länder hat auch Paraguay äußerst restriktive Abtreibungsgesetze. Ein Schwangerschaftsabbruch ist nur dann gestattet, wenn das Leben der schwangeren Frau in Gefahr ist. Die Behörden entschieden, dass dies bei Mainumby nicht der Fall war – trotz des hohen Risikos, welches eine Schwangerschaft für ein so junges Mädchen darstellt, sowohl körperlich als auch seelisch.
Sowohl in Paraguay als auch international brach daraufhin ein Sturm der Entrüstung los. Die Behörden blieben jedoch hart, und am 13. August brachte das mittlerweile elfjährige Mädchen per Kaiserschnitt ein Kind auf die Welt. Glücklicherweise scheinen sowohl Mainumby als auch das Baby in einem stabilen Zustand zu sein.
Wie vorherzusehen war, wird dies von Befürworterinnen und Befürwortern des absoluten Abtreibungsverbots in Paraguay nun als Beweis für ihre Überzeugung vorgebracht, dass Mädchen in diesem Alter problemlos Mütter werden können. Sie behaupten, der Fall von Mainumby gebe ihnen Recht. Doch sie irren sich gewaltig!
Die Tatsache, dass Mainumby nicht gestorben ist, entschuldigt nicht die absolute Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht seitens der paraguayischen Behörden, die fahrlässig Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit des Mädchens auf Spiel gesetzt haben.
Zahlreiche Sachverständige haben auf die gesundheitlichen und möglicherweise langfristigen Gefahren für Mainumby hingewiesen: der Leiter der Klinik, in der die Schwangerschaft erstmals festgestellt wurde; der ärztliche Ausschuss, der den Fall bewertete; zuständige Institutionen der Vereinten Nationen; und die Interamerikanische Menschenrechtskommission.
Laut der Weltgesundheitsorganisation ist die Müttersterblichkeit bei jungen Frauen bzw. Mädchen unter 16 Jahren viermal höher als bei Frauen über 20 Jahren. Sehr junge Mütter sind zudem einem beträchtlich höheren Risiko körperlicher und seelischer Erkrankungen ausgesetzt.
Monatelang haben die paraguayischen Behörden willentlich all diese Fakten und auch die internationale Welle der Empörung ignoriert und Mainumby gezwungen, das Kind auszutragen. Dies geschah auf der Grundlage persönlicher Überzeugungen und einer engen Auslegung des paraguayischen Strafgesetzes, welches einen Schwangerschaftsabbruch nur dann ermöglicht, wenn Lebensgefahr für die schwangere Frau besteht. Dabei wird vernachlässigt, dass Leben mehr umfasst als nur ein "schlagendes Herz", und dass die körperlichen und seelischen Auswirkungen einer ausgetragenen Schwangerschaft für solch ein junges Mädchen auf lange Sicht lebensbedrohlich sein können.
Die grausame Behandlung des zehnjährigen Mädchens durch die Behörden ist mit Folter gleichzusetzen. Die körperlichen und seelischen Schäden, die Frauen und Mädchen davontragen können, wenn sie zum vollständigen Durchleben einer Schwangerschaft gezwungen werden, die das Ergebnis einer Vergewaltigung ist, sind umfassend dokumentiert und werden von vielen Stellen als schwere Menschenrechtsverletzung betrachtet, so z.B. vom UN-Ausschuss gegen Folter. Aus internationalen Menschenrechtsstandards geht klar hervor, dass in solchen Fällen der Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch gewährt werden muss.
Die repressiven Abtreibungsgesetze in Paraguay gehen auf eine tief verwurzelte Diskriminierung von Frauen und Mädchen zurück. Das Rechtssystem und auch die Gesellschaft scheinen Frauen kaum eine andere Rolle als die der Schwangeren und Mutter einzuräumen.
Das gesetzlich verankerte absolute Abtreibungsverbot trifft zudem die Ärmsten in der Gesellschaft besonders hart. Mit den nötigen finanziellen Mitteln hätte Mainumby in einer Privatklinik unbemerkt einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen können, oder ihre Mutter hätte dazu mit ihr ins Ausland reisen können. Erfahrungsgemäß hätten die Behörden ihr in keinem dieser Fälle Steine in den Weg gelegt.
Leider ist der fehlende Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen nicht nur in Paraguay ein Problem – viele andere lateinamerikanische Länder schränken Frauen und Mädchen ebenfalls nach wie vor stark in der Wahrnehmung ihrer Menschenrechte ein.
Am 17. August jährt sich zum dritten Mal der Tod von "Esperancita". Sie war 16 Jahre alt, als ihr in der Dominikanischen Republik trotz einer entsprechenden Diagnose eine Leukämiebehandlung vorenthalten wurde, weil sie schwanger war. Im Jahr 2014 wurde der elfjährigen "Belén" in Chile ein legaler Schwangerschaftsabbruch verweigert, obwohl die Schwangerschaft das Ergebnis wiederholter Vergewaltigung durch ihren Stiefvater war.
Neben Chile und der Dominikanischen Republik besteht nur in einigen wenigen Ländern weltweit ein gesetzlich verankertes absolutes Abtreibungsverbot. Die Dominikanische Republik änderte ihr Strafgesetzbuch im Dezember 2014 und ergänzte das absolute Abtreibungsverbot um drei Ausnahmefälle, in denen nun ein Schwangerschaftsabbruch möglich sein soll. Diese Gesetzesänderung tritt im Dezember 2015 in Kraft. Chile wiederum hat in den vergangenen Wochen vorsichtige, aber dennoch wichtige, Schritte in Richtung einer Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen unter bestimmten Umständen unternommen: wenn die Schwangerschaft das Ergebnis von Vergewaltigung ist, wenn das Leben der Frau oder des Mädchens in Gefahr ist, und wenn der Fötus nicht überlebensfähig ist.
Mainumby hat großes Glück, noch am Leben zu sein. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie schlimm die seelischen Folgen tatsächlich sind, die sie davongetragen hat. Wahrhaft schockierend ist jedoch, dass ihre Geschichte die Norm bleiben wird, wenn Paraguay nicht umgehend Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert und den Zugang zu modernen Verhütungsmethoden sowie zu Informationen über sexuelle und reproduktive Rechte für junge Frauen und Mädchen sicherstellt.
Man spielt solange weiter mit dem Leben von Frauen und Mädchen, wie man persönliche Überzeugungen über grundlegende Menschenrechte stellt.