Nein zu Massenüberwachung in Frankreich

Amnesty International Aktivistinnen bei einer Protestaktion in Paris am 13. April.
© Eric Walter
Fast genau zwei Jahre nach den Enthüllungen von Edward Snowden hat sich das französische Oberhaus (Sénat) mit einem Gesetzentwurf befasst, der den Umfang der Überwachungsmittel und die Reichweite der Geheimdienste erheblich ausdehnt. Dieses Gesetz wird sowohl von Menschenrechtsverteidigern (hier die erste Mitteilung dazu von Amnesty International) als auch von den französischen Kontrollbehörden kritisiert. Es wurde in einem Eilverfahren in die Nationalversammlung eingebracht, begleitet von einer Atmosphäre, die sehr von den blutigen Angriffen in Paris im Januar geprägt war. Ohne Transparenz entworfen, ermöglicht dieses Gesetz erhebliche Menschenrechtsverletzungen. Hier ein kurzer Überblick:
Laut Artikel 2 des Entwurfes werden "black boxes" bei Telekommunikationsanbietern installiert, die den Datenverkehr in Echtzeit analysieren und filtern sollen. Ständig in Betrieb, werden sie sämtliche Online-Aktivitäten überwachen. Dabei sind alle Nutzer betroffen, immer und ohne Anlass. Wir werden hier alle und immer verdächtigt. Die Kriterien, nach denen abgehört wird, bleiben dabei geheim. Dies ist ein klarer Fall von Massenüberwachung, der das Recht auf Privatsphäre (Artikel 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) verletzt.
Unter dem Vorwand, einen gesetzlichen Rahmen für bereits vorhandene Praktiken schaffen zu wollen, begünstigt der Gesetzgeber zudem eine gefährliche Diskriminierung zwischen Franzosen und Ausländern. Geheimdienstagenten werden in Zukunft bei illegalen Aktivitäten, die außerhalb Frankreichs wirken (zum Beispiel Computerhacking), nicht strafrechtlich verfolgt. Daten, die im Ausland "gesendet oder empfangen" werden, können fast grenzenlos abgefangen werden.
Diese Regelung verletzt die Menschenrechte (Artikel 2 der Erklärung von 1948) in und außerhalb Frankreichs, da alle Menschen den Überwachungsmaßnahmen des französischen Staates schutzlos ausgeliefert sind.
Schließlich ermöglicht dieses Gesetz keinen wirksamen Rechtsbehelf. Die neue Kontrollbehörde wird lediglich Gutachten erstellen können oder in sogenannten "Notfällen" einfach übersprungen. Die Judikative wird so an den Rand gedrängt: Die einzige geplante Möglichkeit für Einsprüche ist das oberste Verwaltungsgericht (Conseil d'État). Dieser Rechtsbehelf ist in der Praxis jedoch nutzlos, da die Betroffenen nicht benachrichtigt werden, Ziel von Überwachungen zu sein.
Es ist inakzeptabel, dass die französische Regierung die Proteste der Zivilgesellschaft ignoriert, aber mit Firmen über dieses Gesetz spricht, die im Zusammenhang mit Folterfällen in Syrien und Myanmar unter Verdacht stehen.
Amnesty International fordert, diesen Gesetzentwurf in seiner jetzigen Form abzulehnenund ihn gemäß menschenrechtlichen Standards zu überarbeiten.
• Massenüberwachung ist menschenrechtswidrig. Überwachung darf nur stattfinden, wenn ein konkreter Verdacht vorliegt und die Überwachungsmaßnahme gezielt, notwendig, verhältnismäßig und richterlich angeordnet ist.
• Die Menschenrechte von Menschen im Ausland müssen respektiert werden, ihre Kommunikation muss denselben Schutz genießen wie diejenige von Menschen im Inland.
• Kontrollbehörden müssen die Befugnis haben, ihre Aufgabe zu erfüllen:
nämlich Rechtsverletzungen und Unverhältnismäßigkeit zu verhindern.
Nicolas Chevreux ist Mitglied der Themenkoordinationsgruppe "Menschenrechte im digitalen Zeitalter" der deutschen Sektion von Amnesty International