Amnesty Report Tschechische Republik 28. März 2023

Tschechien 2022

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Tschechien beherbergte die dritthöchste Zahl an registrierten ukrainischen Flüchtlingen in der EU und die höchste Zahl pro Kopf der Bevölkerung. Hunderte aus der Ukraine geflüchtete Rom*nja waren von Diskriminierung betroffen. Es gab Kritik an diskriminierenden Äußerungen des Bürgerbeauftragten. Tausende in der Vergangenheit unrechtmäßig sterilisierte Romnja waren noch immer nicht umfassend entschädigt worden. Für eine Änderung des amtlichen Geschlechts war nach wie vor eine Sterilisierung vorgeschrieben. Eine Einigung über die Erweiterung des Kohlebergwerks Turów nahe der tschechisch-polnischen Grenze wurde von Umweltorganisationen scharf kritisiert.

Hintergrund

Die Ratifizierung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) machte auch 2022 keine Fortschritte.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Am 31. Oktober 2022 lag die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine, die in Tschechien vorübergehenden Schutz erhalten hatten, bei 453.725. Im gesamten Berichtsjahr kamen weiterhin ukrainische Geflüchtete ins Land, doch ihre Zahl sank ab März beträchtlich. 47 Prozent der Flüchtlinge waren Frauen und 33 Prozent Minderjährige. Tschechien beherbergte weltweit die höchste Anzahl ukrainischer Flüchtlinge pro Kopf der Bevölkerung. Jedoch kehrten Tausende, die vorübergehenden Schutz erhalten hatten, wieder in die Ukraine zurück. Entsprechend der EU-Richtlinie für die Gewährung vorübergehenden Schutzes verlängerte Tschechien den vorübergehenden Schutz für ukrainische Flüchtlinge bis März 2023, fuhr jedoch die finanzielle Unterstützung zurück.

Ukrainische Rom*nja waren bei ihrer Ankunft in Tschechien sowohl mit systemischem als auch mit individuellem Rassismus konfrontiert. So mussten sie wesentlich länger als andere Antragsteller*innen warten, ehe sie den vorläufigen Schutzstatus zugewiesen bekamen. Im April und Mai 2022 saßen Hunderte ukrainische Rom*nja nach ihrer Ankunft in Prag und Brünn tagelang in Bahnhöfen fest, da sie nicht als Flüchtlinge anerkannt wurden. Sie erhielten wochenlang keine Hilfe von den Behörden.

Diskriminierung

Der tschechische Bürgerbeauftragte Stanislav Křeček machte weiter diskriminierende Äußerungen über Rom*nja. Er lastete die Probleme in sozial ausgegrenzten Wohngebieten und informellen Siedlungen deren Bewohner*innen an und behauptete, sie hätten sich nicht darum bemüht, ihre Lage zu verändern. Er erklärte, es sei nicht seine Pflicht, die Menschenrechte zu verteidigen, sondern Bürger*innen vor unfairen Entscheidungen der tschechischen Behörden zu schützen. Im August 2022 entzog er in einem beispiellosen Schritt seiner Stellvertreterin sämtliche amtlichen Befugnisse, woraufhin diese zurücktrat.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Romnja, die in der Vergangenheit genötigt oder gezwungen worden waren, sich sterilisieren zu lassen, warteten 2022 noch immer auf Entschädigung. Im August 2021 war ein Gesetz verabschiedet worden, das auf Grundlage der Empfehlungen der letzten Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung durch den UN-Menschenrechtsrat (UPR-Prozess) allen Frauen, die zwischen dem 1. Juli 1966 und dem 31. März 2012 ohne ihre Einwilligung sterilisiert wurden, eine einmalige Entschädigung von 300.000 Tschechischen Kronen (etwa 12.000 Euro) zuspricht. Von den 260 Antragstellerinnen erhielten jedoch nur 30 Frauen Entschädigungszahlungen.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Angriffe auf LGBTI+ wurden nur selten als Hassverbrechen eingestuft. In der Gesetzgebung gab es keine Bestimmungen zu Hassverbrechen gegen LGBTI+.

Die tschechischen Gesetze sahen unverändert vor, dass Personen, die ihr amtliches Geschlecht ändern wollen und somit ihre gewünschte Geschlechtsidentität offiziell anerkennen lassen möchten, sich zuerst sterilisieren lassen müssen.

Obwohl gleichgeschlechtliche Paare Anspruch auf eine eingetragene Lebenspartnerschaft hatten, durften sie noch immer nicht heiraten. Ein Gesetz zur Anerkennung der gleichberechtigten Eheschließung, das 2018 im Parlament scheiterte, wurde 2022 dem neuen Parlament vorgelegt, war bis zum Jahresende jedoch noch nicht diskutiert worden.

Kinderrechte

Körperstrafen für Kinder blieben legal, entgegen den Aufforderungen vonseiten der Vereinten Nationen und des Europarats, sie zu verbieten. Die Regierung tat wenig, um ihre Anwendung zu verhindern oder um Alternativen und gewaltfreie Erziehungsmethoden zu fördern.

Im September 2022 veröffentlichte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Einzelheiten über eine außergerichtliche Einigung zwischen der tschechischen Regierung und einem Rom, der wegen Segregation in der Schule geklagt hatte, weil er als Kind aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit und nicht aufgrund seiner Fähigkeiten in einer Sonderschule angemeldet worden war. Die Regierung willigte ein, ihm 4.000 Euro Entschädigung zu zahlen.

Unverantwortliche Rüstungsexporte

Tschechien lieferte weiterhin Waffen an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, obwohl mit ihnen wahrscheinlich im Jemen schwere Verstöße gegen internationale Menschenrechtsnormen und das humanitäre Völkerrecht verübt bzw. ermöglicht wurden.

Umweltzerstörung

Die tschechische und die polnische Regierung legten im Februar 2022 eine langwierige Auseinandersetzung über die Erweiterung des Braunkohletagebaus Turów auf der polnischen Seite der Grenze außergerichtlich bei. Der Rechtsstreit war 2021 bis vor den Europäischen Gerichtshof gelangt, der Polen angewiesen hatte, den Kohleabbau wegen der erhöhten Kohlendioxidbelastung und der Wasserverunreinigung in grenznahen tschechischen Dörfern einzustellen. Die Einigung zwischen den beiden Ländern umfasste Entschädigungszahlungen in Millionenhöhe von Polen an Tschechien, um bereits entstandene Schäden auf tschechischer Seite zu beheben und weiteren möglichen Schäden vorzubeugen. Im Gegenzug stellte Tschechien alle rechtlichen Schritte ein. Das Abkommen wurde von Umweltorganisationen aufgrund mangelnder Transparenz scharf kritisiert, während Anwohner*innen nach wie vor um ihren Zugang zu sauberem Wasser fürchteten.

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