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Kamerun 2019
Spuren der Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Gruppen und dem kamerunischen Militär nahe der Stadt Buea, 11. Mai 2019
© Giles Clarke/UNOCHA via Getty Images
- Hintergrund
- Menschenrechtsverletzungen durch bewaffnete Gruppen, Regionen North-West und South-West
- Region Extrême-Nord
- Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte
- Justizsystem
- Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit
- Folter und andere Misshandlungen
- Rechte auf Gesundheit und Bildung
- Binnenvertriebene
Berichtszeitraum: 1. Januar bis 31. Dezember 2019
Wie in den Vorjahren begingen bewaffnete Gruppen und Sicherheitskräfte auch 2019 im Zusammenhang mit der Krise in den englischsprachigen Regionen des Landes und der Bekämpfung von Boko Haram in der Region Extrême-Nord Menschenrechtsverletzungen. Die Zahl der Binnenvertriebenen stieg. Hunderttausende Kinder konnten nicht in die Schule gehen. Die Behörden unterdrückten abweichende Meinungen.
Hintergrund
Kamerun war Schauplatz von drei gravierenden Krisen, die die Ursache für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen waren. In den englischsprachigen Regionen North-West und South-West hatten sich nach der Unterdrückung friedlicher Proteste im Jahr 2016, die sich gegen die empfundene Benachteiligung durch die Regierung gerichtet hatten, Gruppen bewaffneter Separatist_innen gebildet. Sowohl die Separatist_innen als auch die Sicherheitskräfte waren im Berichtsjahr weiterhin für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Vom 30. September bis zum 4. Oktober 2019 fand ein von den staatlichen Stellen organisierter "umfassender nationaler Dialog" statt, bei dem die grundlegenden Ursachen der Krise thematisiert und Lösungen für Frieden und Versöhnung gefunden werden sollten. In der Region Extrême-Nord forderte die Zunahme von Angriffen bewaffneter Gruppierungen, die mit Boko Haram verbündet waren, Opfer unter der Zivilbevölkerung. In der Hauptstadt Yaoundé und anderen wichtigen Städten Kameruns wurden friedliche Proteste politisch aktiver Personen, die sich gegen mutmaßliche Unregelmäßigkeiten im Vorfeld der Präsidentschaftswahl von 2018 richteten, mit massiver Gewalt niedergeschlagen. Präsident Biya war 2018 für eine siebte Amtszeit gewählt worden.
Menschenrechtsverletzungen durch bewaffnete Gruppen, Regionen North-West und South-West
Bewaffnete Separatistengruppen waren auch 2019 für die Tötung von Angehörigen der Sicherheitskräfte und für schwere Verstöße gegen die Menschenrechte der Zivilbevölkerung verantwortlich. Sie verübten rechtswidrige Tötungen, in vielen Fällen auch Verstümmelungen. Ziel ihrer Angriffe waren Beamt_innen, gewöhnliche Menschen, die sich nicht an der Streikaktion "Operation Geisterstadt" beteiligten und die Aufforderung, Schulen zu schließen, nicht befolgten, sowie Verwandte von Angehörigen der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte. Im September 2019 wurde ein Video in den sozialen Medien gepostet, das Männer mit Kapuzen zeigte, die einer Frau den Kopf abschlugen. Die Frau hatte als Aufseherin im Zentralgefängnis von Bamenda gearbeitet. Die Separatist_innen waren auch für die Entführung zahlreicher Schüler_innen, Journalist_innen und Mitarbeiter _innen von humanitären Hilfsorganisationen verantwortlich. Separatistenkämpfer_innen entführten im Februar 2019 in Bamenda den Vorsitzenden des Verbandes der anglophonen Journalist_innen (Cameroon Association of English Speaking Journalists). Er hatte kritisiert, dass die Separatist_innen Familien aufforderten, ihre Kinder nicht zur Schule zu schicken. Im September griffen Separatist_innen in Buea (Region South-West) einen lokalen Radiosender an und verschleppten die Moderatorin Mary Namondo. Im Oktober entführten Angehörige bewaffneter Gruppen im Unterbezirk Tubah zehn Mitarbeiter_innen von zwei Durchführungspartnern der Vereinten Nationen, ließen aber später alle wieder frei.
Region Extrême-Nord
In der Region Extrême-Nord wurden die positiven Entwicklungen der letzten Jahre durch die Zunahme von Angriffen bewaffneter Gruppierungen, die mit Boko Haram verbündet waren, infrage gestellt. Aus Daten, die von Amnesty International erfasst wurden, geht hervor, dass in der Region im Zeitraum von Januar bis November 2019 bei Angriffen 275 Menschen umkamen. Darunter berfanden sich 225 Zivilpersonen. Der aus 16 Ortschaften bestehende Kanton Tourou war das Ziel von mindestens 16 Einfällen, bei denen sechs Menschen getötet und mehrere entführt wurden. In Mayo-Tsanaga und Mayo-Sava waren die Angriffe meistens verheerende Überfälle, bei denen die Angreifer_innen Menschen töteten, verschleppten, verstümmelten und ausplünderten. Unter den Opfern waren oft Angehörige von Bürgerwehren, Alte oder Menschen mit Behinderungen. Bei diesen Menschenrechtsverstößen handelt es sich möglicherweise um Kriegsverbrechen.
Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte
Wie es in Berichten der Vereinten Nationen sowie internationaler und kamerunischer NGOs hieß, verübte die Armee bei ihren Operationen in den Regionen North-West und South-West außergerichtliche Hinrichtungen und zerstörte Häuser. Am 31. Oktober 2019 erkannte der Präsident der USA Kamerun den Status eines begünstigten Staates nach dem Gesetz über Entwicklungszusammenarbeit African Growth and Opportunity Act (AGOA) ab. Kamerun habe es versäumt, den Bedenken hinsichtlich der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte Rechnung zu tragen. Traditionelle Autoritäten erhoben gegen das Bataillon d’Intervention Rapide (BIR), eine Eliteeinheit der Armee, den Vorwurf, am 24. September 2019 mit Gewalt in den Königspalast in Bafut (Region North-West) eingedrungen zu sein. Dabei soll es Verletzte und Plünderungen gegeben haben. Laut Angaben der Vereinten Nationen konnten 35,5 Prozent der 1790 im Oktober 2019 dokumentierten Fälle, in denen Häuser niedergebrannt wurden, mit ziemlicher Sicherheit den Streitkräften zugeschrieben werden.
Justizsystem
Ein Militärgericht in Yaoundé verurteilte am 20. August 2019 den selbsternannten Präsidenten von "Ambazonien" Julius Ayuk Tabe und neun Separationsbefürworter zu lebenslangen Haftstrafen. Die Anklage lautete auf Terrorismus und Sezession. Die Verurteilten waren am 26. Januar 2018 in Nigeria festgenommen und nach Kamerun überstellt worden. Der Bundesgerichtshof in der nigerianischen Hauptstadt Abuja entschied im März 2019, dass die Abschiebung der Männer illegal und verfassungswidrig gewesen sei.
Am 3. Oktober 2019 gab Staatspräsident Biya in einer offiziellen Erklärung bekannt, dass er die Einstellung der anhängigen Militärgerichtsverfahren gegen 333 Personen, die im Zusammenhang mit der Krise in den Regionen North-West und South-West festgenommen worden waren, angeordnet habe.
Das Militärgericht in Yaoundé entschied im Dezember, die Öffentlichkeit von dem Prozess gegen sieben Soldaten auszuschließen, die wegen der Ermordung von zwei Frauen und zwei Kindern in der Region Extrême-Nord angeklagt waren. Die Soldaten waren durch Videoaufnahmen überführt worden. Sie waren festgenommen worden, nachdem Expert_innen von Amnesty International das Video im Juli 2018 analysiert und Beweise vorgelegt hatten, die stark dafür sprachen, dass diese außergerichtlichen Hinrichtungen von kamerunischen Soldaten begangen wurden.
Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit
Die kamerunischen Behörden verstießen eklatant gegen die Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung. Dies galt ganz besonders für die Proteste gegen die Wiederwahl von Präsident Biya, die unterbunden und mit massiver Gewalt aufgelöst wurden.
Im Januar 2019 wurden bei friedlichen Protesten etwa 300 Personen festgenommen. Unter ihnen war auch Maurice Kamto, Vorsitzender der Oppositionspartei Mouvement pour la Renaissance du Cameroun (MRC), der bei der Präsidentschaftswahl im Oktober 2018 den Sieg für sich beansprucht hatte. Im Februar 2019 erhob ein Militärgericht gegen Maurice Kamto und andere Mitglieder der MRC Anklage wegen Feindseligkeiten gegen das Vaterland, Anstiftung zum Aufruhr, Beleidigung des Staatsoberhaupts sowie wegen der Zerstörung öffentlicher Einrichtungen und Güter. Am 1. und 8. Juni 2019 wurden schätzungsweise 200 Menschen willkürlich festgenommen, die in mehreren Städten, u. a. in Douala, gegen mutmaßliche Unregelmäßigkeiten bei der Wahl demonstrierten.
Am 4. Oktober 2019 hieß es in einer offiziellen Presseerklärung, dass Staatspräsident Biya die Einstellung der Verfahren gegen einige Funktionäre und Mitglieder von Parteien, vor allem des MRC, angeordnet habe. Gegen die Betroffenen waren Verfahren vor Militärgerichten eingeleitet worden. Am 5. Oktober 2019 wurde Maurice Kamto zusammen mit 102 weiteren Frauen und Männern auf freien Fuß gesetzt.
Folter und andere Misshandlungen
Bei Amnesty International gingen Berichte über Folter und andere Misshandlungen ein. Mindestens 59 Unterstützer_innen des MRC, unter ihnen sechs Frauen, wurden während der Verhöre durch die für innere Sicherheit zuständige Abteilung der Armee, das Secrétariat d’Etat à la Défense (SED), brutal geschlagen. Bevor sie freigelassen wurden, schlugen die Sicherheitskräfte sie mit Stöcken und zwangen sie, demütigende Körperhaltungen einzunehmen. Die 59 Oppositionsanhänger_innen waren am 1. Juni 2019 bei einer angemeldeten und friedlichen Protestaktion in der Hauptstadt Yaoundé festgenommen worden. Sie wurden zu Verhören zum SED gebracht. Dort wurden sie von den Sicherheitskräften willkürlich in Gewahrsam gehalten und gefoltert. Die Sicherheitskräfte warnten sie außerdem vor der Teilnahme an einer weiteren Protestaktion, die eine Woche später stattfinden sollte.
Rechte auf Gesundheit und Bildung
Eine Folge der Krise in den Regionen North-West und South-West war die Zerstörung von Gesundheitseinrichtungen. Dadurch hatte die Bevölkerung weniger Zugangsmöglichkeiten zur Gesundheitsfürsorge. Am 30. Oktober 2019 wurde das Gesundheitszentrum in Tole (Region South-West) bei Kämpfen zwischen der Armee und bewaffneten Gruppierungen niedergebrannt. Im Dezember 2019 verzeichneten Akteure im Gesundheitswesen drei Anschläge auf Gesundheitszentren, und zwar in Ekondo-Titi und Idenau (Region South-West) sowie in BuaBua (Region North-West). Nach Angaben der Vereinten Nationen waren im Dezember ganze 17 Prozent der Schulen in Betrieb und 29 Prozent der Lehrkräfte konnten arbeiten.
Binnenvertriebene
Am 31. Dezember 2019 gab es in den Regionen North-West und South-West rund 700.000 Binnenvertriebene. Durch die Zunahme von Angriffen bewaffneter Gruppierungen, die mit Boko Haram verbündet waren, stieg in der Region Extrême-Nord die Zahl der Binnenvertriebenen in den Departements um insgesamt schätzungsweise 270.000 weitere Vertriebene an. In der zweiten Jahreshälfte waren rund 50 Ortschaften immer noch verlassen.