Amnesty Journal 01. September 2023

Demokratie und Menschenrechte

Ein Mann in einem weißem Hemd blickt in die Kamera.

Markus N. Beeko, Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion.

Mit den weltweiten systematischen Angriffen auf Demokratien ist auch Amnesty gefordert.  Kolumne von Markus N. Beeko, Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion.

Ich schreibe diese Zeilen, zurückkehrend von der "Global Assembly", der Ratstagung der Amnesty-Bewegung. Einmal im Jahr kommen zu diesem globalen Treffen Amnesty-Aktive aus allen Sektionen zusammen, von Chile bis zur Mongolei, von Südafrika bis zu den Faröer Inseln.

Die "Global Assembly" ist die Gelegenheit, sich auszutauschen – über die weltweite Menschenrechtslage, Herausforderungen im eigenen Land, gemeinsame Erfolge und Rückschläge. Sie ist Familientreffen, Strategieklausur, Mini-UNO und Inspirationsseminar in einem. Sie ist bunt, toll und intensiv, es tut gut, so vielen Gleichgesinnten und zugleich vielfältigen Menschen mit überraschenden Fähigkeiten und Erfahrungen zuzuhören und mit ihnen zu sprechen.

Sie ist der Ort, an dem wir demokratische Entscheidungen für unsere globale Bewegung treffen. Wo menschenrechtliche Herausforderungen und unser Umgang damit intensiv vorbereitet, manchmal kontrovers und immer leidenschaftlich in der Sache diskutiert und beschlossen werden. Dort entschied die Bewegung, sich von der "Gefangenenhilfsorganisation" zu einer globalen Menschenrechtsbewegung weiterzuentwickeln.

Dort galt es, als globale Bewegung Positionen zu Fragen zu finden, die in Teilen der Welt sehr unterschiedlich diskutiert wurden (zum Beispiel sexuelle und reproduktive Rechte). Und dort geht es immer wieder darum, wie wir in sich ändernden globalpolitischen Umgebungen unsere Unabhängigkeit und Überparteilichkeit wahren. Für mich ist es, neben den international gültigen Menschenrechtsnormen, diese demokratische Verfasstheit, aus der die weltweite Bewegung Amnesty ihre Legitimation bezieht.

In diesem Jahr ging es bei der "Global Assembly" um Flucht und Migration, "Racial Justice", Klimagerechtigkeit, Wahlen und Desinformation sowie den wachsenden Autoritarismus und die Angriffe auf Demokratien. Und plötzlich stand die Frage im Raum: Benötigt Amnesty eine Position zur Demokratie? Denn: Amnesty International hat keine formale Position zur Staatsform der Demokratie. Aus gutem Grund: Historisch musste es immer unser Anliegen sein, die Achtung der Menschenrechte von jeder Regierung einzufordern, egal ob in einer Monarchie, Diktatur oder Pseudo-Demokratie. Und auch in liberalen Demokratien waren und sind die Menschenrechte aller Bevölkerungsgruppen noch lange nicht automatisch geachtet und gesichert.

Gegner der Demokratie sind immer auch Gegner der Menschenrechte.

Aber mit den weltweiten systematischen Angriffen auf Demokratien ist auch Amnesty gefordert. Wo demokratische Strukturen und Institutionen angegriffen werden, ist dies immer auch ein Angriff auf die Menschenrechte. Wissenschaftliche Untersuchungen legen nahe, dass eine Demokratie, die sich in Richtung Autokratie bewegt, auch wieder umdrehen kann – entscheidend dafür ist eine breite Massenbewegung, die Zivilgesellschaft und demokratische Parteien eint.

Amnesty ist zwar keine Demokratiebewegung, bleibt überparteilich und unabhängig, versteht sich aber als aktiver Teil der globalen Menschenrechtsbewegung, die sich gegen die Angriffe auf die Menschenrechte durch die Gegner der Demokratie einsetzt.

Für mich war dies die letzte "Global Assembly" als Generalsekretär. Anfang des Jahres habe ich entschieden, nach 19 Jahren bei Amnesty meinen Vertrag nicht zu verlängern, um als Sohn und Vater mehr Zeit der Familie widmen zu können – bevor es zu spät ist. Keine einfache Entscheidung.

Aber ich freue mich darauf, Neues zu entdecken. Ein nächstes Projekt steht bereits fest: die Untersuchung wirkungsvoller Maßnahmen zur Verteidigung von Demokratien. Mit www.PowerforDemocracies.org sollen wissenschaftliche Erkenntnisse zur Demokratieentwicklung und die wirkungsvollsten Initiativen von NGOs zusammengebracht werden. Weil klar ist: Gegner der Demokratie sind immer auch Gegner der Menschenrechte.

Markus N. Beeko ist General­sekretär der deutschen Amnesty-Sektion.

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