Amnesty Journal Afrika 30. Juli 2024

Feminismus im Plural

Zwei afrikanische Mädchen stehen vor einem Gebäude aus Wellblech und lächeln.

Der Film "WABA" begleitet die kenianische Aktivistin Selina Nkoile. Sie setzt sich dafür ein, dass die Mädchen der Massai-Community zur Schule gehen können.

Das House of African Feminisms ist eine digitale Plattform, die Feminismus in vielen Facetten zeigt.

Von Elisabeth Wellershaus

Bereits die Website des House of African Feminisms (HOAF) bietet ein kleines Kunsterlebnis: Mit geradezu überfordernder Visualität wird man zunächst durch eine trockene, digital entworfene Landschaft geführt. Weiter geht es durch runde Lehmbauten mit großzügig begrünten Innenhöfen und schließlich durch Räume zum Lesen, Hören und Aufhalten. Die einladende Optik steht für den Ansatz des jungen Onlineprojekts: alle, die sich aus individueller Perspektive mit Feminismus identifizieren oder beschäftigen wollen, sollen hier einen Ort finden, an dem sie willkommen sind.

Unter dem Titel "Learning Feminisms" fanden 2019 in einigen Goethe-Instituten Afrikas Workshops, Debatten und Kulturprogramme statt, die den Austausch zwischen Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Feminist*innen anregen wollten. Fünf Jahre später hat sich daraus eine digitale Plattform entwickelt, die zwar noch von Deutschland aus finanziert wird, in der aber afrikanische und diasporische Perspektiven im Zentrum stehen. Auf den ersten Blick wirkt die Zusammenstellung der Inhalte fast etwas unübersichtlich: Textbeiträge, Filme und Audios bilden eine große Bandbreite feministischer Auseinandersetzungen auf theoretischer wie praktischer Ebene ab. So versucht die Website, der Pluralität afrikanischen Lebens zu begegnen – in Zeiten, in denen das Konzept Feminismus vielerorts noch immer oder wieder mit Skepsis betrachtet wird.

"Feminismus gilt als anrüchig"

Chilufya Nchito lebt in der sambischen Hauptstadt Lusaka und stieß vor zwei Jahren zu HOAF dazu. Zuvor hatte die 31-jährige Projektentwicklerin in der Entwicklungszusammenarbeit gearbeitet und sich auf politischer Ebene mit den Herausforderungen in Sambia befasst. Doch immer hatte ihr etwas gefehlt. "Schon auf dem Campus habe ich mit meinen Kommiliton*innen viel darüber geredet, wie schwer das Leben aus weiblicher oder queerer Perspektive ist", erzählt sie. "Uns hatte lediglich ein Wort für unsere Erfahrungen gefehlt. Dort, wo wir aufgewachsen sind, gilt das Wort Feminismus bis heute als anrüchig – regelrecht gefährlich." Während dieser Zeit begann Nchito, sich mit Autor*innen wie bell hooks (Amnesty Journal 03/24) zu beschäftigen. Aber erst, als das House of African Feminisms sie als Projektleiterin umwarb, dämmerte ihr, dass sie wohl eine Feministin war.

Feminismus ist nach wie vor ein heißes Eisen, in sämtlichen Weltregionen. Doch die Bedingungen auf dem afrikanischen Kontinent werden im Westen selten beleuchtet. In einem sehr informativen Essay auf der HOAF-Seite zeichnet die nigerianisch-finnische Journalistin Minna Salami überblicksartig die Entwicklungen in Afrika nach. Sie schreibt unter anderem über die historische Präsenz starker Frauen, die das Wort Feminismus jedoch bis zum Ende des 20. Jahrhunderts kaum für sich beanspruchten.

Amazonen und andere Kämpferinnen

Salami erzählt von den sogenannten Amazonen Dahomeys, einer Art Elitekampftruppe, vor der die europäischen Kolonialmächte zitterten. Sie erwähnt die Königin Nzinga Mbande, die vor mehreren Jahrhunderten das Gebiet des heutigen Angola immer wieder vor Angriffen schützte, und etliche andere Frauen, deren Namen und Errungenschaften keinen Platz im westlichen Geschichtskanon fanden. Sie analysiert die Tatsache, dass der Begriff Feminismus jahrzehntelang von westlichen Frauen vereinnahmt wurde. Und sie erzählt, dass Frauen auf dem afrikanischen Kontinent dennoch in ihren Ländern Beachtung fanden – vor allem in Widerstands- und Freiheitsbewegungen. Das belegen etwa die Aufzeichnungen über die Nwaobiala-Bewegung, in der Frauen sich bereits in den 1920er Jahren gegen die lokale und koloniale Unterdrückung durch Männer wehrten, oder die Geschichten über die Bantu Woman League in Südafrika. Doch ziehen sich auch Repressionen gegen Frauen durch die Jahrzehnte: Bis in die späteren antiimperialistischen Kämpfe wurden Frauen von Männern kontrolliert oder für ihre vermeintlich westlichen Einstellungen kritisiert – etwa, wenn sie mit der Pille verhüteten, um an der Front kämpfen zu können.

Mit der Kontrolle von Körpern und mit Sexualität aus weiblicher Perspektive setzt sich auch die ghanaische Schriftstellerin Nana Darkoa Sekyiamah auseinander: Sie führte Interviews mit jungen Ägypter*innen in queeren Communities, forschte zur Polyamorie im Senegal und beschäftigte sich mit den Zusammenhängen zwischen religiösen Bräuchen und sexueller Befriedigung in Kamerun. Ihr Buch "The Sex Lives of African Women" beschreibt die Suche nach sexueller Emanzipation. In einem von Chilufiya Nchito moderierten Gespräch mit der Wissenschaftlerin Serawit Bekele Debele spricht sie darüber, "dass der weibliche Körper ein Kampfschauplatz bleibt". Dass die Repressionen teils sogar noch zunehmen, wenn Frauen sich gegen die patriarchale Kontrolle wehren.

Sprache ist ein machtvolles Instrument der Unterdrückung.

Chilufya
Nchito
HOAF

Wie vielfältig Widerstand aussehen kann, zeigen neben den theoretischen Beiträgen auf der Website auch jene, die von aktivistischen und alltäglichen Erfahrungen erzählen, wie zum Beispiel ein Film der preisgekrönten ugandischen ­Filmemacherin Ann Nassanga. In "WABA – A Micro Documentary on Water Scarcity" macht sie sich auf den Weg in das kleine kenianische Dorf Mosiro, wo sie die Aktivistin Selina Nkoile trifft. Die 31-Jährige setzt sich seit Jahren dafür ein, dass die Mädchen ihrer Massai-Community zur Schule gehen können, und mit ihrer Initiative Bomanoma ermutigt sie Menschen in ihrem Umfeld, den nomadischen Traditionen mit nachhaltigen Anbausystemen zu begegnen. Das Filmteam begleitet Nkoile zu einem fast ausgetrockneten Fluss, wo sie mit anderen Frauen stundenlang nach Wasser gräbt. Es zeigt sie auf dem Land, das sie von ihrer Mutter geerbt hat, wo sie heute einen Gemeinschaftsgarten betreibt, um über die Vorteile ökologischer Landwirtschaft aufzuklären.

Dass die Mutter ihr dieses Land vererben konnte, ist alles andere als selbstverständlich. Bis heute verfügen nur wenige Massai-Frauen über Grundbesitz. Nkoiles Mutter gehörte zu denen, die hart dafür kämpften und sich konventionellen Rollenbildern widersetzten. Selina Nkoile sagt, sie verspüre große Dankbarkeit gegenüber dieser Frauengeneration. Sie spricht von patriarchaler Unterdrückung, aber auch von der Existenz matriarchaler Kulturen. Und wenn sie in einer späteren Einstellung zusammen mit der Filmemacherin im traditionellen Massai-Gewand tanzt, wird deutlich, dass sich die Gemeinschaft von Frauen in stetigem Fluss befindet.

Wenn Sprache unterdrückt

Immer wieder taucht der Begriff des Matriarchats im HOAF-Universum auf. Vor Kurzem gab die Plattform eine Ausstellung mit dem Titel "Afabasi – Those Who Know" in Auftrag, um sich vor jenen Frauen zu verneigen, die im Kampf gegen das Patriarchat viel aufs Spiel setzten – an der Front oder am Herd, in der Universität oder auf den Feldern. Geplant ist, die Ausstellung an verschiedenen Orten auf dem Kontinent zu zeigen. Die Übersetzung der Inhalte in die jeweiligen indigenen Sprachen soll dafür sorgen, dass Künstler*innen vor Ort die Themen weiterdenken, und einen intergenerationellen Austausch anregen.

"Sprache ist ein machtvolles Instrument der Unterdrückung", sagt Nchito. Dies gelte auch für den feministischen Diskurs auf dem Kontinent: Englisch dominiert nach wie vor. Dadurch werden nicht nur die Erfahrungen französischsprachiger Feminist*innen an den Rand gedrängt, sondern vor allem die vielen Geschichten, die in indigenen Sprachen erzählt werden könnten. HOAF versucht deshalb, sein Publikum auf unterschiedlichen Kommunikationswegen zu erreichen.

Der Film "Birds of a Feather" begleitet die Musikerin Matlali aus Lesotho und beschreibt, dass es für Frauen noch immer schwer ist, als Interpretinnen des traditionellen Saiteninstruments Lesiba ernst genommen zu werden. Ein Text erklärt die Entwicklung der Hausa-Literatur, die seit den 1980er Jahren einen enormen Zuwachs an weiblichen Autorinnen verzeichnet, die in ihren Büchern über Kulturen des Schweigens schreiben, die sich infolge der Geschlechterpolitik entwickelt haben. Die junge Generation wird mit Comics über ein feministisches afrikanisches Internat ("Nkiso" von Sistah Sistah und Precious Narotso) an die Hand genommen.

Die eklektische Mischung aus Beiträgen vermittelt auch die Botschaft: Die Vielfalt des afrikanischen Feminismus steht nicht in Opposition zum europäischen. "Unsere Feminismen sind keine Antwort auf ein vermeintliches Original", erklärt Chilufya Nchito. Ohnehin gibt es auf dem afrikanischen Kontinent noch immer sehr viele Menschen, die dem Begriff skeptisch gegenüberstehen, er lässt sich nicht aufdrängen. Im House of African Feminisms ist er vor allem eines: ein Angebot.

Weitere Infos: www.houseofafricanfeminisms.org

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