Aktuell 23. März 2017

"Behandelt uns wie Menschen!"

Arbeitsmigranten in Katar: Ohne Pass und ohne Lohn

22. März 2017 - In Katar, dem reichsten Land der Welt, droht ausländischen Arbeitskräften weiterhin Zwangsarbeit. Eine aktuelle Gesetzesreform hat das System nicht wesentlich verändert. Im Gegenteil: Je näher die Fußball-WM 2022 rückt, desto mehr Arbeitsmigranten im Bausektor sind betroffen.

Es beginnt bereits in ihren Heimatländern. Arbeitsvermittler versprechen den Arbeitssuchenden sichere Arbeitsplätze und gute Löhne. Kommen die Arbeiter auf den Baustellen in Katar an, sieht die Realität meist anders aus. Der Lohn ist in vielen Fällen geringer als versprochen und wird manchmal verspätet oder gar nicht ausbezahlt. Die Arbeitsmigranten schuften in sengender Hitze und schlafen oft in schäbigen und überfüllten Unterkünften. Wer sich beschwert, wird bedroht, eingeschüchtert und genötigt, weiterzuarbeiten.

Um den Arbeitsplatz zu wechseln oder auszureisen, ist in Katar die Genehmigung des Arbeitgebers notwendig. Viele Arbeitnehmer warten vergeblich darauf. Das geltende Arbeitsrecht mit dem sogenannten "Kafala"- oder Sponsoren-System macht dies möglich. Es verleiht den Arbeitgebern große Macht und verhindert, dass Arbeitsmigranten selbst für ihre Rechte eintreten können. Nachdem Amnesty die Arbeitsbedingungen aufgrund eigener Recherchen vor Ort mehrfach kritisiert hatte, legte die Regierung Katars im vergangenen Jahr eine Gesetzesreform vor: Das Arbeitsrecht bekam einen neuen Namen, das alte System bleibt jedoch weiterhin in Kraft.

"Es ist zwar erfreulich, dass Katar das Problem erkannt hat, aber das neue Gesetz bietet kaum konkrete Verbesserungen und keinen ausreichenden Schutz. Arbeitsmigranten sind in Katar weiterhin von Ausbeutung und Zwangsarbeit bedroht", sagt René Wildangel, Amnesty-Experte für den Nahen und Mittleren Osten.

Arbeitgeber können Ausreise verweigern

Die kritischen Kernpunkte des "Kafala"-Systems haben auch nach der Reform des Arbeitsrechts Bestand: Arbeitsmigranten brauchen weiterhin die Erlaubnis des Arbeitgebers, um die Stelle zu wechseln. Wenn sie ohne eine solche Erlaubnis innerhalb der Vertragslaufzeit eine neue Arbeitsstelle antreten, droht ihnen eine Strafanzeige wegen "unerlaubter Abwesenheit". Außerdem brauchen sie nach wie vor eine Erlaubnis des Arbeitgebers, wenn sie das Land verlassen wollen. Wird diese Ausreisegenehmigung verweigert, können zwar Rechtsmittel eingelegt werden. Doch das Prozedere ist undurchsichtig, kompliziert und langwierig.

Pässe werden einbehalten

Viele Arbeitgeber behalten die Pässe der ausländischen Arbeitskräfte ein, so dass diese in völliger Abhängigkeit von ihren Sponsoren sind. Bislang galt diese Praxis als gesetzeswidrig. Jetzt ist sie durch eine neue, leicht auszunutzende Gesetzeslücke sogar legalisiert worden. Von über 230 Arbeitsmigranten, die Amnesty-Experten zuletzt interviewt haben, war kein Einziger im Besitz seines Passes.

Arbeitgeber sind in Katar dafür verantwortlich, die Aufenthaltserlaubnis für ihre Mitarbeiter zu beantragen und zu verlängern. Ein Arbeiter schildert seine Erfahrung: "Die Firma hat meinen Pass. Sie geben ihn mir nicht, solange ich nicht zur Einwanderungsbehörde gehe ... dort muss ich 3.000 Rial (ca. 824 US-Dollar) Strafe für meine abgelaufene Aufenthaltserlaubnis bezahlen. Das Unternehmen hat gesagt: 'Bezahle die Geldstrafe, wenn du das Land verlassen willst.' Das Geld habe ich aber nicht."

Kein Schutz bei Unfällen

Zu den katastrophalen Arbeitsbedingungen auf den Baustellen zählen auch der verantwortungslose Umgang mit Unfällen und die fehlende Absicherung der Arbeiter. Der Leiter der Trauma-Intensivstation im größten Krankenhaus von Doha schätzt, dass jährlich mehr als 1.000 Menschen eingeliefert werden, die sich auf den Baustellen verletzen. So auch Bhupendra aus Nepal, der sein Leben lang unter den Folgen seines schweren Unfalls leiden wird. Sobald er nicht mehr arbeiten konnte, wurde ihm kein Lohn mehr gezahlt. Unter erbärmlichsten Bedingungen musste er sich zwei Jahre in Katar durchschlagen und konnte kein Geld an seine bedürftige Familie nach Hause schicken. Dann endlich konnte er eine Entschädigung für seine Verletzung erkämpfen und ausreisen.

Insgesamt sind derzeit rund 1,8 Millionen ausländische Arbeitnehmer in Katar beschäftigt, die größtenteils aus Südasien stammen. Sie stellen 90 Prozent der Erwerbsbevölkerung Katars. Es wird geschätzt, dass sich die Zahl der Arbeitskräfte auf den WM-Baustellen in den nächsten beiden Jahren verzehnfachen wird. Das Bauvolumen beläuft sich nach Schätzungen auf rund 118 Milliarden US-Dollar.

Unsere Forderungen

Auch die FIFA muss ihrer Verantwortung gerecht werden und den Druck auf die katarische Regierung erhöhen, bevor der Bauboom für die Fußball-WM Mitte des Jahres seinen Höhepunkt erreicht. "Seit der Vergabe der WM an Katar im Jahr 2010 hat die FIFA nicht genug gegen die menschenunwürdigen Bedingungen auf den WM-Baustellen getan. Jetzt müssen der Weltfußballverband und seine Sponsoren deutlich gegen Menschenrechtsverletzungen einschreiten und notwendige strukturelle Verbesserungen anstoßen", so Amnesty-Experte René Wildangel. Außerdem sollte die FIFA eigene unabhängige Kontrollen der Arbeitsbedingungen durchführen.

Wir fordern die Regierung von Katar auf,

  • das Arbeitsrecht systematisch zu reformieren,
  • die Ausreisegenehmigungen durch die Arbeitgeber abzuschaffen,
  • den Einzug von Reisepässen gesetzlich und eindeutig zu verbieten,
  • dafür zu sorgen, dass ausländische Arbeitnehmer ihre Anstellung frei wechseln können.

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