Menschenrechtsverteidiger angeklagt

Ein junger Mann mit langen, nach hinten gekämmten Haaren lächelt vor einer bunten Wand in die Kamera

Menschenrechtsverteidiger Dr. Scott Warren

Am 17. Januar 2018 nahmen Angehörige der US-Grenzpolizei Dr. Scott Warren fest. Der 36-jährige Menschenrechtsverteidiger und ehrenamtliche Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen hatte in der Wüstenstadt Ajo, seinem Wohnort, zwei Migranten unterstützt. Nun hat die US-Regierung ein Strafverfahren gegen Scott Warren eingeleitet, weil dieser den beiden Männern – die keine gültigen Papiere besäßen – "Unterschlupf gewährt" haben soll. Bei einer Verurteilung in allen Anklagepunkten drohen ihm bis zu 20 Jahre Haft. Sein Verfahren beginnt am 29. Mai 2019.

Appell an

United States Attorney

Mr. Michael Bailey

District of Arizona

United States Courthouse

405 W. Congress Street, Suite 4800

Tucscon, Arizona 85701, USA

 

Sende eine Kopie an

Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika

S. E. Herrn Richard Allen Grenell

Pariser Platz 2

10117 Berlin

Fax: 030-83 05 10 50

E-Mail: feedback@usembassy.de

 

Amnesty fordert:

  • Bitte sorgen Sie dafür, dass alle Anklagen gegen Dr. Scott Warren (Rechtssache 4:18-cr-00223-RCC-DTF) umgehend fallengelassen werden, da diese offensichtlich eine politisch motivierte Verletzung seiner geschützten Rechte als Menschenrechtsverteidiger darstellen.

Sachlage

Die Festnahme von Scott Warren erfolgte nur Stunden nach der Veröffentlichung eines Berichts, der die vorsätzliche Vernichtung humanitärer Hilfsgüter im Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko durch die Grenzbehörden dokumentiert.

Scott Warren leistet als Freiwilliger für die humanitäre Organisation No More Deaths lebenswichtige humanitäre Hilfe, um das Recht auf Leben von Migrant_innen zu schützen und weitere Todesfälle von Migrant_innen und Asylsuchenden in der Sonora-Wüste zu verhindern. Menschenrechtsaktivist_innen aus Städten entlang der Grenze, die in Hilfsorganisationen, Glaubensgemeinschaften oder Aktivistengruppen organisiert sind, unterstützen Migrant_innen bereits seit vielen Jahren.

Straf-, Zivil- und Verwaltungsgesetze sollten nicht dazu missbraucht werden, Menschenrechtsverteidiger_innen zu schikanieren, die sich für die Rechte von Migrant_innen, Asylsuchenden und Flüchtlingen oder anderen einsetzen, deren Leben gefährdet ist und denen Menschenrechtsverletzungen drohen. Regierungen sollten sicherstellen, dass Menschenrechtsverteidiger_innen und ihre Organisationen ihre Arbeit in einem sicheren und unterstützenden Umfeld ohne Angst vor Repressalien nachgehen können.

Die Kriminalisierung von humanitärer Hilfe und von einfachsten Gesten der Unterstützung, bei denen nicht nach der Staatsangehörigkeit gefragt wird, ist ein Angriff auf die Menschenrechte.

 

Hintergrundinformation

Hintergrund

Dr. Scott Warren ist Geografielehrer und ehrenamtlicher Organisator für humanitäre Hilfe. Der promovierte Geograf lebt seit 2013 in der Stadt Ajo im US-Bundesstaat Arizona. Ajo liegt rund 56 Kilometer nördlich der US-mexikanischen Grenze in der Sonora-Wüste, mitten in einem etwa 110 Kilometer breiten Korridor, der von Migrant_innen auf ihrem Weg in die USA genutzt wird. Dort wurde Scott Warren auch festgenommen. No More Deaths (No Más Muertes auf Spanisch), eine der Organisationen, für die Scott Warren als Freiwilliger tätig ist, deponiert Wasser und andere humanitäre Hilfsgüter in Wüstengebieten, in denen die Zahl der Todesfälle unter Migrant_innen hoch ist. Der Grenzabschnitt in Arizona ist der tödlichste der USA: In den vergangenen 20 Jahren wurden von den US-Grenzbehörden 7242 Todesfälle an der Grenze registriert – davon entfiel ein Anteil von etwa 38,3 Prozent auf Arizona. Die tatsächliche Zahl der Todesfälle liegt vermutlich höher.

Scott Warrens Festnahme erfolgte nur Stunden nach der Veröffentlichung eines Berichts von No More Deaths, der die vorsätzliche Vernichtung der humanitären Hilfsgüter in den Grenzgebieten zwischen den USA und Mexiko durch die Grenzbehörden dokumentiert. Ein entsprechendes Video, das im Internet rasche Verbreitung fand, zeigt, wie Angehörige einer Grenzpatrouille mehrere Wasserkanister ausleeren.

Angesichts der extremen Bedingungen in der Wüste verlieren jedes Jahr zahlreiche Migrant_innen im Grenzgebiet ihr Leben. Die Regierungsbehörden der USA kommen nicht nur ihren Verpflichtungen zur Verhinderung von Todesfällen unter Migrant_innen nicht nach, sondern halten Menschenrechtsverteidiger_innen durch systematische Schikanierung, Einschüchterung und Strafverfolgung auch aktiv davon ab, ihrer humanitären Tätigkeit nachzugehen.

Nicht alle Menschen, die die Grenze durch die Wüste oder auf einem anderen Weg ohne offizielle Genehmigung überqueren, suchen Asyl. Dennoch haben alle Migrant_innen und Asylsuchenden das gleiche Menschenrecht auf Leben, das die US-Behörden nicht willkürlich verletzen dürfen, indem sie ihnen direkt oder indirekt lebensrettende humanitäre Hilfe verweigern.

Das harte Vorgehen an der US-mexikanischen Grenze gegen Aktivist_innen, die sich für die Menschenrechte von Migrant_innen einsetzen, steht in einem größeren Zusammenhang mit dem Angriff der Trump-Administration auf das Asylsystem in den USA und die Einwanderungspolitik im Allgemeinen. Weitere Informationen hierzu finden Sie in dem Bericht You Don’t Have Any Rights Here von Amnesty International aus dem Jahr 2018. Amnesty International hat dokumentiert, wie Menschen, die in den USA Sicherheit und Schutz suchen, an der Grenze systematisch ihr Recht auf Asyl verweigert wird. Wie es scheint, wurden diese von der US-Regierung eingesetzten Maßnahmen und Praktiken absichtlich durchgeführt, um Asylsuchende abzuschrecken und zu bestrafen.

Zu dieser Abschreckungsstrategie gehört eine Vielzahl taktischer Maßnahmen, um Asylsuchende davon abzuhalten, über offizielle Einreisestellen eine Einreise in die USA zu beantragen. Dadurch geraten sie in eine Situation, in der es häufig sinnvoller erscheint, eine der extrem gefährlichen "irregulären" Routen zu nehmen, um in die USA zu gelangen. Zu diesen taktischen Maßnahmen gehört auch das derzeitige System der "Erfassung" von Asylsuchenden, das diese zwingt, ihre Namen den illegalen Wartelisten Tausender weiterer Asylsuchender hinzuzufügen, von denen, wenn überhaupt, täglich nur wenige aufgerufen werden. Auf der mexikanischen Seite der Grenze gestrandet, werden Migrant_innen und Asylsuchende (vor allem aus gefährdeten Bevölkerungsgruppen wie LGBTI, ältere Menschen, unbegleitete Minderjährige, schwangere Frauen etc.) oft gezielt Opfer von Entführungen, Erpressungen und Gewalt durch das organisierte Verbrechen und sind generell stärker gefährdet. Angesichts dieser massiven Risiken treffen viele die schwere Entscheidung, die Grenze außerhalb der offiziellen Einreisestellen zu überqueren, auch auf gefährlichen Wegen durch die Wüste. Häufig sind sie dabei auf die Hilfe von Schleuser_innen angewiesen.

Da die Trump-Administration weiterhin Obergrenzen für die Zahl der Asylsuchenden festlegt, die an den offiziellen "Ports of Entry" (Grenzübergangsstellen) bearbeitet wird, ist die Zahl der Familien, die die Grenze auf irreguläre Weise überqueren, gestiegen. Die Zahl der Familien, die die Grenze zwischen den USA und Mexiko auf irregulärem Wege überschreiten und um Asyl und internationalen Schutz ersuchen, ist vermutlich auch höher als die anderer Personen.