Tunesien: Menschenrechtsverteidiger vor Gericht
Die Menschenrechtsverteidiger Mustapha Djemali (links) und Abderrazek Krimi vom Tunesischen Flüchtlingsrat CTR (undatierte Fotos).
© CTR Facebook page
+++ Update 24.11.2025: Mustapha Djemali und Abderrazek Krimi wurden aus der willkürlicher Haft freigelassen. Allerdings hat sie das Gericht für schuldig befunden und zu zwei Jahren Haft verurteilt – von denen sie bereits 18 Monate verbüßt haben. Die restliche Haftstrafe wurde ihnen erlassen. +++ Die Menschenrechtsverteidiger Mustapha Djemali und Abderrazek Krimi stehen derzeit vor Gericht. Die nächste Anhörung in ihrem Verfahren vor dem Gericht erster Instanz in Tunis soll am 24. November 2025 stattfinden. Mustapha Djemali, Gründer und Direktor des Tunesischen Flüchtlingsrats (CTR), und Abderrazek Krimi, Projektleiter des CTR, befinden sich seit ihrer Festnahme im Mai 2024 in willkürlicher Untersuchungshaft. Sie wurden ausschließlich wegen ihrer legitimen Arbeit und der Ausübung ihres Rechts auf Vereinigungsfreiheit festgenommen.
Bitte setzt euch für Mustapha Djemali und Abderrazek Kilani ein!
Appell an
Präsident
Kais Saied
Presidente
Route de la Goulette
Site archéologique de Carthage
TUNESIEN
Sende eine Kopie an
Botschaft der Tunesischen Republik
S.E. Herrn Wacef Chiha
Lindenallee 16
14050 Berlin
Fax: 030-3082 06 83
E-Mail: at.berlin@tunesien.tn
Amnesty fordert:
- Ich bitte Sie eindringlich, dafür zu sorgen, dass die Justizbehörden alle Anklagen gegen Mustapha Djemali und Abderrazek Krimi fallen lassen und sie unverzüglich freilassen.
- Ich bitte Sie außerdem, die gezielten Festnahmen von Menschenrechtsverteidiger*innen einzustellen und ihnen zu ermöglichen, in einem sicheren und förderlichen Umfeld ohne Repressalien zu arbeiten.
Sachlage
Die Strafverfolgung der Menschenrechtsverteidiger Mustapha Djemali und Abderazzek Krimi gibt großen Anlass zur Sorge. Ihr Prozess hat am 16. Oktober begonnen, und die nächste Verhandlung ist für den 24. November 2025 angesetzt. Ihnen wird die "Gründung einer Organisation" zur "Unterstützung der illegalen Einreise" von Migrant*innen nach Tunesien und "Gewährung von Unterschlupf" vorgeworfen. Auf diese haltlosen Vorwürfe stehen bis zu 13 Jahre Haft. Bei der ersten Anhörung am 16. Oktober verteidigten die Rechtsbeistände von Mustapha Djemali und Abderrazek Krimi die legitime Arbeit ihrer Mandanten und beantragten deren vorläufige Freilassung, was das Gericht jedoch ablehnte. Sie beantragten außerdem eine Vertagung des Verfahrens, so dass der nächste Prozesstag auf den 24. November gelegt wurde. Außerdem beantragten die Rechtsbeistände, Vertreter*innen des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) als Zeug*innen zu laden, um zu bestätigen, dass die Aktivitäten des CTR im Einklang mit dem Kooperationsabkommen zwischen Tunesien und dem UNHCR standen. Dies wurde vom Gericht ebenfalls abgelehnt.
Der Richter hatte die Haft der beiden Menschenrechtler im Oktober 2024 und im Februar 2025 jeweils um vier Monate verlängert. Nach tunesischem Recht kann die Untersuchungshaft kein drittes Mal verlängert werden. Der Richter hat mindestens vier Anträge ihrer Rechtsbeistände auf Freilassung gegen Auflagen abgelehnt. Das Gericht fror sowohl ihre Bankkonten als auch das Konto des CTR bis zum Abschluss der Ermittlungen ein. Am 18. März 2025 wurde dem Gericht ein vom Richter in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten zur Untersuchung ihrer persönlichen Bankkonten und des Kontos des CTR vorgelegt, das keine Unregelmäßigkeiten feststellte. Am 25. März erklärte der Richter während einer Ermittlungsanhörung: "Sie haben Schwarze illegal nach Tunesien gebracht und sie ernährt und beherbergt, die tunesische Geschichte und das tunesische Recht werden Sie dafür bezahlen lassen". Dies wirft Zweifel hinsichtlich seiner Unparteilichkeit und dem Recht der Angeklagten auf ein faires Verfahren auf. Am 30. April schloss der Ermittlungsrichter die Ermittlungen in diesem Fall ab, und am 3. Juni entschied die Anklagekammer, den Fall vor Gericht zu bringen.
Die Anklagen gegen Mustapha Djemali und Abderrazek Krimi beruhen ausschließlich auf ihrer rechtmäßigen Tätigkeit beim tunesischen Flüchtlingsrat (Conseil Tunisien pour les Refugies - CTR), einer tunesischen NGO, die mit den tunesischen Behörden und dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) bei der Vorregistrierung von Asylsuchenden und der Bereitstellung grundlegender Hilfsleistungen zusammenarbeitete. Die Inhaftierung der beiden Männer ist willkürlich, da die Verteidigung der Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen unabhängig von ihrem rechtlichen Status, einschließlich der Bereitstellung von Unterkünften, nach internationalem Recht keine Straftat darstellt. Die Behörden missbrauchen diese Bestimmungen, um Menschenrechts- und humanitäre Arbeit zu kriminalisieren, was einen unzulässigen Eingriff in die Rechte von Menschenrechtsverteidiger*innen darstellt, wie sie in der UN-Erklärung über Menschenrechtsverteidiger*innen festgelegt sind.
Hintergrundinformation
Anfang Mai 2024 begann die tunesische Regierung ihr hartes Vorgehen gegen Geflüchtete und Migrant*innen sowie gegen zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für deren Rechte einsetzen. Am 6. Mai 2024 griff Präsident Kais Saied in öffentlichen Äußerungen Organisationen an, die im Bereich der Migration tätig sind. Er beschuldigte sie, die "Ansiedlung" von Migrant*innen anzustreben, und bezeichnete sie als "Verräter" und "[ausländische] Agenten". Er sagte: "Es gibt Netzwerke im Inneren, die mit Netzwerken im Ausland in Verbindung stehen... Finanzielle Transfers erhalten ... diejenigen, die fälschlicherweise behaupten, dass sie [die Migranten] schützen, eine Vereinigung, Sie alle wissen, dass sie eine Ausschreibung veröffentlicht haben, um diese Afrikaner zu beherbergen ... die sich illegal [in Tunesien] aufhalten."
Der Tunesische Flüchtlingsrat (CTR), eine 2016 gegründete tunesische Nichtregierungsorganisation, die mit dem UNHCR und den tunesischen Behörden bei der Vorregistrierung von Asylsuchenden und der Bereitstellung grundlegender Hilfsleistungen für schutzbedürftige Flüchtlinge und Asylsuchende zusammenarbeitete, war eine der ersten Organisationen, die ins Visier genommen wurden. Ihr Gründer Mustapha Djemali ist ein ehemaliger hochrangiger UNHCR-Beamter. Am 2. Mai 2024 veröffentlichte der CTR im Rahmen seiner regulären Aktivitäten eine Ausschreibung für Hotels zur Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen in prekären Situationen, nachdem der UNHCR und die Region Sfax um Unterstützung gebeten hatten. Nach der Veröffentlichung wurden in tunesischen Medien und sozialen Netzwerken Screenshots der Ausschreibung geteilt, in denen behauptet wurde, dass sich die Zivilgesellschaft zur "Ansiedlung" von "Afrikanern" oder "illegalen Migranten" in Tunesien verschworen habe, wobei häufig eine rassistische Sprache verwendet wurde. Am 3. Mai 2024 führte die Polizei eine Razzia im Büro des CTR in Tunis durch, nahm seinen Direktor Mustapha Djemali fest und inhaftierte ihn. Am 4. Mai 2024 nahm die Polizei Abderrazek Krimi, den Projektleiter des CTR, fest und inhaftierte auch ihn. Die Polizei befragte die beiden Menschenrechtsverteidiger zu der Finanzierung des CTR, den Aktivitäten der Organisation in Bezug auf Migrant*innen ohne regulären Aufenthaltsstatus und der Ausschreibung für Unterkünfte. Nach der Festnahme von Mustapha Djemali und Abderrazek Krimi stellte der CTR seine Tätigkeit ein, was zu kritischen Unterbrechungen beim Zugang zu Asylverfahren und grundlegenden Dienstleistungen wie Gesundheitsfürsorge, Unterkunft und Kinderschutz führte.
Am 7. Mai 2024 ordnete ein Ermittlungsrichter des Gerichts erster Instanz in Tunis eine sechsmonatige Untersuchungshaft für die beiden Menschenrechtsverteidiger an, weil sie "ein Bündnis oder eine Organisation" gebildet hätten, um "die heimliche Einreise von Personen in das tunesische Hoheitsgebiet zu planen, zu erleichtern, zu unterstützen, zu vermitteln oder zu organisieren, und zwar mit allen Mitteln, auch ohne persönlichen Gewinn", und "ihnen Unterschlupf zu gewähren", gestützt auf die Paragrafen 38, 39 und 41 des Gesetzes 40 von 1975 zu Pässen und Reisedokumenten. Diese Anklagen, denen es an juristischer Klarheit mangelt, enthalten keine Elemente des finanziellen oder materiellen Gewinns oder der Ausbeutung, die für Menschenschmuggel und Menschenhandel kennzeichnend sind, und nehmen die Menschenrechte und die humanitäre Unterstützung nicht aus, wie es das UN-Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität und dessen Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels vorschreiben.
Die Schikanierung von Menschenrechtsverteidiger*innen durch die Justizbehörden verstößt gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit, das in der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker und im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte garantiert ist, die beide von Tunesien ratifiziert wurden. Tunesien ist Vertragspartei der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, die Geflüchteten das Recht auf Identitäts- und Reisedokumente, Arbeit, Wohnung, Bildung und Unterstützung sowie Schutz vor Sanktionen bei irregulärer Einreise gewährt.