Singapur: Hinrichtung stoppen!

Der Malaysier Nagaenthran K Dharmalingam wurde zum Tode verurteilt.
© privat
***Aktualisierung: Hinrichtung auf unbestimmte Zeit verschoben! Nagaenthran K. Dharmalingam wurde positiv auf das Coronavirus getestet und darf seine Familie nun bis zu seiner Hinrichtung nicht mehr sehen. Der Druck auf die Behörden muss weiter gehen, damit die Hinrichtung ganz verhindert wird!*** Die Behörden von Singapur haben die Hinrichtung von Nagaenthran K. Dharmalingam für den 10. November angesetzt. Der malaysische Staatsbürger wurde zur obligatorischen Todesstrafe verurteilt, nachdem er im April 2009 des Transports von 42,72 Gramm Heroin für schuldig befunden worden war. Mehrere medizinische Sachverständige haben bei ihm eine Einschränkung seiner intellektuellen und kognitiven Leistungsfähigkeit festgestellt, die seine Risikoeinschätzung und seine Darstellung der Umstände der Straftat beeinträchtigt haben könnte. Seine Hinrichtung muss verhindert werden, da sie gegen das Völkerrecht und internationale Standards verstößt.
Appell an
Mdm Halimah Yacob
President of Singapore
Office of the President of the Republic of Singapore
Orchard Road, 238823
SINGAPUR
Sende eine Kopie an
Botschaft der Republik Singapur
S.E. Herr Laurence Bay Siow Hon
Voßstraße 17
10117 Berlin
Fax: 030 226 343 75
E-Mail: singemb_ber@mfa.sg
Amnesty fordert:
- Ich fordere Sie auf, die geplante Hinrichtung sofort zu stoppen, die Strafe von Nagaenthran K. Dharmalingam umzuwandeln und ein offizielles Moratorium für alle Hinrichtungen als ersten Schritt zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe zu verhängen.
Sachlage
Der malaysische Staatsangehörige Nagaenthran K. Dharmalingam darf nicht hingerichtet werden. Es bestehen ernsthafte Bedenken, dass in seinem Fall mehrfach gegen internationale Menschenrechtsnormen und -standards verstoßen wurde, womit seine Hinrichtung rechtswidrig wäre.
Das Völkerrecht und internationale Standards sehen Beschränkungen für die Anwendung der Todesstrafe vor, um einen willkürlichen Entzug des Lebens zu verhindern. Unter anderem ist es verboten, die Todesstrafe als obligatorische Strafe für bestimmte Straftaten zu verhängen. In Absatz 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte heißt es außerdem: "In Staaten, in denen die Todesstrafe nicht abgeschafft worden ist, darf ein Todesurteil nur für schwerste Verbrechen (...) verhängt werden", wozu beispielsweise eine vorsätzliche Tötung gehört. Menschen mit geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen dürfen nicht zum Tode verurteilt werden, ebenso Menschen, deren Verfahren nicht den höchsten Standards für ein faires Gerichtsverfahren entsprochen hat. Im Fall von Nagaenthran K. Dharmalingam scheinen all diese Schutzmaßnahmen verletzt worden zu sein.
Singapur ist eines von vier Ländern, die in den letzten Jahren Hinrichtungen wegen Drogendelikten vollstreckt haben. Aufgrund der äußerst repressiven Drogenkontrollgesetze ist es den Richter_innen nicht gestattet, bei der Strafzumessung mögliche mildernde Umstände – wie eine bestehende Drogenabhängigkeit – zu berücksichtigen. Durch Singapurs strenge Drogenpolitik konnte bedauerlicherweise weder der Konsum noch die Verfügbarkeit von Drogen im Land reduziert werden. Auch bietet sie keinen wirksamen Schutz vor den negativen Folgen des Drogenkonsums.
Hintergrundinformation
Nach den 2013 in Kraft getretenen Änderungen des Gesetzes über den Drogenmissbrauch verfügen die Richter_innen in Singapur über einen gewissen Ermessensspielraum bei der Strafzumessung in Fällen, in denen sich die Rolle des_der Angeklagten auf den Transport von Drogen ("Kurier_in") beschränkte. Dies greift aber nur, wenn die Staatsanwaltschaft der beschuldigten Person bescheinigt, dass sie sich intensiv für die Zerschlagung des Drogenhandels eingesetzt hat, oder bei Personen mit geistigen oder intellektuellen Einschränkungen, die keine Verantwortung für ihre Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang mit der verhandelten Straftat übernehmen können. Diese Regelung im Falle einer Einstufung als "Kurier_in" bedeutet, dass das Gericht keinen Ermessensspielraum mehr hat und den_die Angeklagte_n zum Tode verurteilen muss, sofern die Staatsanwaltschaft keine entsprechende Bescheinigung vorlegt. Dadurch wird die Entscheidung über die Verurteilung in der Praxis der Staatsanwaltschaft übertragen.
Im Februar 2015 beantragte Nagaenthran K. Dharmalingam nach der Gesetzesänderung von 2013 eine Umwandlung seines Todesurteils in eine lebenslange Haftstrafe. Doch obwohl er als "Kurier" eingestuft worden war, stellte ihm die Staatsanwaltschaft die notwendige Bescheinigung nicht aus. Daraufhin wurde sein Todesurteil im September 2017 erneut bestätigt. Weitere Anträge und Einsprüche wurden ebenfalls abgelehnt.
Amnesty International wendet sich in allen Fällen, weltweit und ausnahmslos gegen die Todesstrafe. Bis heute haben 108 Länder die Todesstrafe für alle Straftaten abgeschafft und mehr als zwei Drittel der Länder haben die Todesstrafe per Gesetz oder in der Praxis abgeschafft.
Medizinische Sachverständige, die Nagaenthran K. Dharmalingam in den Jahren 2013, 2016 und 2017 begutachteten, bescheinigten ihm eine Einschränkung seiner intellektuellen und kognitiven Leistungsfähigkeit, was "zu einer fehlgeleiteten Loyalität und einer schlechten Einschätzung der Risiken bei der Zustimmung zur Durchführung der Straftat beigetragen haben könnte". Das Berufungsgericht wies die Bedenken jedoch mit der Begründung zurück, dass "seine mutmaßliche Unzulänglichkeit bei der Risikobewertung ihn möglicherweise eher zu riskantem Verhalten veranlasst" habe, dass dies jedoch "in keiner Weise seine Schuldfähigkeit mindert". In ähnlicher Weise wies das Gericht die Einschätzung zurück, dass Nagaenthran K. Dharmalingams verschiedene psychiatrische Erkrankungen – darunter eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) des vorwiegend unaufmerksamen Subtyps sowie eine verminderte intellektuelle Leistungsfähigkeit – seine Fähigkeit beeinträchtigt hätten, sich auf die Behörden einzulassen und ihnen relevante Informationen auf schlüssige Weise mitzuteilen. Das könnte u. a. bei der Befragung durch Beamt_innen des Central Narcotics Bureau von Singapur nach seiner Festnahme der Fall gewesen sein, die ohne Beisein eines Rechtsbeistands durchgeführt wurde. Der Verlauf dieser Befragung wiederum könnte sich auf die Informationen ausgewirkt haben, die er der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt hat, um die Bescheinigung über seine Mitwirkung bei der Zerschlagung des Drogenhandels zu bekommen, die erforderlich ist, um für den Ermessensspielraum bei der Strafzumessung in Frage zu kommen. Die Vertragsorgane des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD) und des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, deren Vertragsstaat Singapur ist, stellen klar, dass diese Verträge die Verhängung der Todesstrafe gegen Menschen verbieten, deren geistige und intellektuelle Einschränkung ihre wirksame Verteidigung behindert hat.
Singapur muss seine Strategie, die Todesstrafe zur Lösung von Drogenproblemen einzusetzen, aufgeben und sich stattdessen auf evidenz- und gemeinschaftsbasierte Ansätze zur Drogenbekämpfung konzentrieren, die auf der Achtung der öffentlichen Gesundheit und der Menschenrechte beruhen.
Die Behörden von Singapur haben die Familie von Nagaenthran K. Dharmalingam, die in Malaysia lebt, mit Schreiben vom 26. Oktober über die geplante Hinrichtung informiert. Aufgrund von Beschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie kann Nagaenthran K. Dharmalingam seine Familienangehörigen seit über zwei Jahren nicht sehen. Erst jetzt dürfen bis zu fünf Familienangehörige nach Singapur reisen und ihn im Gefängnis besuchen. Aktivist_innen haben darauf hingewiesen, dass die anhaltenden Corona-Beschränkungen und die Quarantäneanforderungen zusätzlich finanzielle und logistische Herausforderungen bei einem ohnehin schon grausamen Prozess mit sich bringen.