Oberster Gerichtshof lehnt Überprüfung ab

Ein schwarz gekleideter Mann mit den Händen in den Hosentaschen, Halbglatze und dunklem Schnauz blickt in die Kamera. Im Hintergrund befindet sich ein Baum in Blüte und eine Plantage.

Der aserbaidschanisch-türkische Aktivist Abbas Lesani im Mai 2020

Der Menschenrechtsaktivist Abbas Lesani, der sich für die Rechte der aserbaidschanisch-türkischen Minderheit einsetzt, wurde im Oktober 2019 wegen "Verbreitung von Propaganda gegen das System" zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er zehn Jahre verbüßen muss. Diesem Berufungsverfahren saß ein Richter vor, der in seiner früheren Eigenschaft als Staatsanwalt die Anklagen gegen Abbas Lesani erhoben hatte. Im Juli 2020 wies der Oberste Gerichtshof seinen Antrag auf gerichtliche Überprüfung seines Falls zurück.

Appell an

Oberste Justizautorität
Ebrahim Raisi
c/o Permanent Mission of Iran to the United Nations
Chemin du Petit-Saconnex 28
1209 Geneva
SCHWEIZ

Sende eine Kopie an

Botschaft der Islamischen Republik Iran
S. E. Herrn Mahmoud Farazandeh
Podbielskiallee 67, 14195 Berlin
Fax: 030 83 222 91 33
E-Mail: info@iranbotschaft.de

Amnesty fordert:

Sachlage

Der Menschenrechtsaktivist Abbas Lesani, der sich für die Rechte der aserbaidschanisch-türkischen Minderheit einsetzt, befindet sich nach grob unfairen Gerichtsverfahren vor dem Gericht erster Instanz und vor dem Berufungsgericht weiter in Haft.

Abbas Lesani wurde am 15. Januar 2019 von Angehörigen des Geheimdienstministeriums in Tabriz in der Provinz Ostaserbaidschan festgenommen. Die Behörden hielten ihn ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft. Sechs Wochen lang war er Opfer des Verschwindenlassens, da seine Familie keinerlei Informationen über sein Schicksal und seinen Verbleib erhielt. Während dieser Zeit war er in einer Hafteinrichtung des Geheimdienstministeriums in Ardabil inhaftiert und wurde unter Verstoß gegen das absolute Folterverbot über einen längeren Zeitraum in Einzelhaft gehalten. Die Personen, die ihn verhörten, versuchten ihn dazu zu zwingen ein falsches Geständnis abzulegen, mit dem er sich selbst belastet hätte. Er weigerte sich jedoch, dies zu tun. Am 4. Juli 2019 sprach ihn das Revolutionsgericht in Tabriz schuldig "eine Gruppe mit mehr als zwei Mitgliedern gebildet zu haben, in der Absicht, die nationale Sicherheit zu gefährden" und verurteilte ihn zu acht Jahren Gefängnis und anschließenden zwei Jahren inneriranischem Exil in der Provinz Yazd, Hunderte Kilometer entfernt von seiner Familie. Am 26. September 2019 erhöhte ein Berufungsgericht dieses Strafmaß auf zehn Jahre. Es sprach ihn zudem schuldig, "Menschen aufzuwiegeln, gegeneinander in den Krieg zu ziehen in der Absicht, die nationale Sicherheit zu gefährden" – eine Anklage, von der ihn ein niederinstanzliches Gericht freigesprochen hatte – und verurteilte ihn zu weiteren fünf Jahren Gefängnis. Beide Urteile zogen Reden, Medieninterviews und die Beteiligung an Protesten als "Beweismittel" für Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit heran. Seine Gerichtsverfahren waren grob unfair. Während der Ermittlungen wurde ihm der Zugang zu einem Rechtsbeistand und zu angemessener Zeit und Möglichkeiten, die Verteidigung vorzubereiten, verweigert. Außerdem saß dem Berufungsverfahren ein Richter vor, der in seiner früheren Eigenschaft als Staatsanwalt die Anklagen gegen ihn erhoben hatte. Auf den Einspruch seines Rechtsbeistands wegen Voreingenommenheit des Richters gingen weder das Berufungsgericht noch der Oberste Gerichtshof in irgendeiner Weise ein. Nach den iranischen Gesetzen muss Abbas Lesani zehn Jahre des gegen ihn verhängten Urteils verbüßen.

Amnesty International ist der Ansicht, dass das Verfahren gegen Abbas Lesani politisch motiviert war, da er seit Langem für die Rechte der aserbaidschanisch-türkischen Minderheit eintritt. Er wurde deshalb schon oft festgenommen und mit Hilfe unbegründeter Anklagen wegen der nationalen Sicherheit strafrechtlich verfolgt. Die Behörden haben auch seine Familie auf verschiedene Weise schikaniert und eingeschüchtert, zum Beispiel durch die Schließung ihres Geschäfts für Schmuckreparaturen, und dadurch ihre Lebensgrundlage in Gefahr gebracht.

Hintergrundinformation

Hintergrund

In den vergangenen Wochen sind weitere aserbaidschanisch-türkische Aktivist_innen festgenommen worden, nachdem sie an Protesten teilgenommen hatten und einige von ihnen befinden sich aufgrund konstruierter Anklagen über die Bedrohung der nationalen Sicherheit, darunter "Beleidigung des Religionsführers" und "Störung der öffentlichen Ordnung" weiterhin in Haft. Zu den Festgenommenen gehören Ali Khairjoo, Asgar Akbarzadeh, Meysam Jolani, Mohammad Jolani, Morteza Parvin, Mostafa Parvin und Sajjad Jolani, der eine schwere Sehstörung hat. Amnesty International hat erfahren, dass die Sicherheitskräfte Sajjad Jolani und mehrere andere Aktivist_innen während der Festnahme schlugen. Diese Aktivisten zählen zu Dutzenden Festgenommenen der aserbaidschanisch-türkischen Minderheit, die zwischen Ende September und Anfang Oktober 2020 an Protesten in den Provinzen Ardabil, Ostaserbaidschan und Westaserbaidschan teilnahmen. Die Proteste waren Ausdruck der Unterstützung für Aserbaidschan bei den Ende September zwischen Aserbaidschan und Armenien ausgebrochenen Kämpfen und richteten sich gegen die vermeintliche iranische Unterstützung Armeniens in diesem Konflikt.

Frühere Festnahmen von Abbas Lesani erfolgten aufgrund friedlicher Aktivitäten, wie der Veröffentlichung eines Kalenders in aserbaidschanisch-türkischer Sprache und die Teilnahme an aserbaidschanisch-türkischen Zusammentreffen am Internationalen Tag der Muttersprache und bei Feierlichkeiten in Gedenken an mehrere aserbaidschanische Turk_innen, die bei den Protesten im Mai 2006 getötet wurden. Damals setzten die Sicherheitskräfte exzessive Gewalt ein, darunter Tränengas und scharfe Munition, um Proteste aufzulösen. Es kam im Zusammenhang mit seinem Aktivismus bereits zu mehreren unfairen Gerichtsverfahren und Verurteilungen unter Anklagen zur nationalen Sicherheit.

Nach einer Vorladung wegen Anklagen im Zusammenhang mit seinem Aktivismus, war Abbas Lesani am 15. Januar 2019 von Angehörigen des Geheimdienstministeriums festgenommen worden, als er sich in Abteilung 2 des Revolutionsgerichts in Tabriz in der Provinz Ostaserbaidschan aufhielt. Seine Familie suchte daraufhin wiederholt Staatsanwaltschaften, Revolutionsgerichte, Polizeiwachen und andere bekannte Hafteinrichtungen in Tabriz und in Ardabil in der Provinz Ardabil auf und reiste dabei Hunderte von Kilometern, um sich nach ihm zu erkundigen. Doch die Behörden weigerten sich, seinen Angehörigen Auskunft zu geben. Sechs Wochen nach seiner Festnahme erfuhr die Familie von der Staatsanwaltschaft in Ardabil, dass er in einer Hafteinrichtung in Ardabil festgehalten wurde. Der Familie wurde der Kontakt zu ihm noch weitere zwei Wochen verweigert. Dann durfte ihn seine Frau unter der Aufsicht von Sicherheitsbeamt_innen besuchen. Die Behörden verhörten seine Frau bei diesem Besuch.

Der Prozess gegen Abbas Lesani fand zwischen dem 10. und 27. Juni 2019 vor der Abteilung 1 des Revolutionsgerichts in Ardabil statt und war grob unfair. Bis zum Abschluss der Ermittlungen wurde ihm der Kontakt zu einem Rechtsbeistand verweigert, d.h. er wurde mehrmals ohne rechtliche Vertretung verhört. In einem Urteil, das Amnesty International eingesehen hat, führt das Gericht friedliche Aktivitäten als "Beweise" auf, die durch die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in internationalen Menschenrechtsnormen geschützt sind. Dazu zählen: Das Abhalten von Treffen in seinem Haus und der Besuch von kulturellen Zusammentreffen; das Sprechen über die Geschichte der aserbaidschanisch-türkischen Minderheit im Iran, einschließlich der Proteste von 2006, und der Kontakt zu Medien außerhalb des Iran. In dem Gerichtsurteil wird er zudem beschuldigt, mit GAMAC (türkisches Akronym für die Südaserbaidschanische Nationale Befreiungsfront) kommuniziert zu haben. GAMAC ist eine Gruppe mit Sitz außerhalb des Iran, die globale und regionale Nachrichten online veröffentlicht. Zudem wird ihm darin vorgeworfen, im Iran eine Gruppe gegründet zu haben. Das bestreitet Abbas Lesani. Das Gerichtsurteil bezieht sich auf Abbas Lesanis Menschenrechtsarbeit als "sogenannter ziviler Aktivismus" und zitiert Reden, Interviews und Diskussionen als "Beweis" für Verbrechen gegen die nationale Sicherheit, darunter auch seine angebliche Verbindung zu GAMAC. Am 26. September 2019 erhöhte die Abteilung 1 des Berufungsgerichts in der Provinz Ardabil sein Strafmaß von acht auf 15 Jahre.

Nach dem Völkerrecht müssen die Rechte auf ein faires Gerichtsverfahren auch in Berufungsverfahren gewahrt werden, da sie Teil des strafrechtlichen Verfahrens sind. Diese Rechte umfassen angemessene Zeit und Umstände, um das Rechtsmittel vorbereiten zu können, das Recht auf Beratung und das Recht auf eine Anhörung vor einem kompetenten, unabhängigen und unparteiischen Gericht. Das höhere Gericht, das die Überprüfung anhört, muss ein kompetentes, unabhängiges und unparteiisches Gericht sein. Die Unparteilichkeit des Berufungsgerichts ist nicht gegeben, wenn, wie im Fall Abbas Lesani, dazu ein Richter gehört, der in dem Fall vor einem niederinstanzlichen Gericht bereits als Staatsanwalt tätig war.