Menschenrechtler vor Militärgericht

Farid al-Atrash und Issa Amro

Farid al-Atrash und Issa Amro

Den beiden palästinensischen Menschenrechtsverteidigern Farid al-Atrash und Issa Amro drohen am 29. Oktober und 5. November erneut Anhörungen vor einem israelischen Militärgericht. Beide Männer stehen im Zusammenhang mit der friedlichen Wahrnehmung ihrer Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit unter Anklage. Die gegen sie erhobenen Anklagen müssen nach Ansicht von Amnesty International fallengelassen werden.

Appell an

Benjamin Netanyahu

Office of the Prime Minister

3 Kaplan St., PO Box 187

Kiryat Ben-Gurion, Jerusalem 91950

ISRAEL

Sende eine Kopie an

Verteidigungsminister

Avigdor Liberman, Ministry of Defence

37 Kaplan Street, Hakirya

Tel Aviv 61909, ISRAEL



Fax: (00 972) 73 323 3300

E-Mail: minister@mod.gov.il

Botschaft des Staates Israel

S.E. Herrn Jaakov Hadas-Handelsman

Auguste-Viktoria-Straße 74-76

14193 Berlin

Fax: 030-89 04 55 55 oder 030-89 04 53 09

E-Mail: botschaft@israel.de

Amnesty fordert:

  • Bitte lassen Sie sofort alle gegen Farid al-Atrash und Issa Amro erhobenen Anklagen fallen.
  • Sorgen Sie bitte für ein sofortiges Ende der Drangsalierung von Issa Amro und anderen Menschenrechtsverteidiger_innen in den besetzten palästinensischen Gebieten.
  • Bitte leiten Sie zudem unverzüglich eine Untersuchung zu den von Issa Amro erhobenen Vorwürfen ein, er sei von Angehörigen der israelischen Polizei geschlagen worden. Sollten ausreichend Beweise vorliegen, ziehen Sie die Verantwortlichen zur Rechenschaft.

Sachlage

Farid al-Atrash und Issa Amro müssen am 29. Oktober und 5. November zu ihren nächsten beiden Anhörungen vor dem Militärgericht Ofer erscheinen. Die Staatsanwaltschaft hat sieben Zeug_innen vorgeladen, die vor Gericht aussagen werden. Die beiden Menschenrechtsverteidiger wurden unter Anklage gestellt, nachdem sie am 26. Februar 2016 an einem von palästinensischen Bewohner_innen und Aktivist_innen organisierten Protestmarsch in der Altstadt von Hebron im besetzten Westjordanland teilgenommen hatten. Der Marsch sollte an den 22. Jahrestag der ersten Absperrung der al-Shuhada-Straße in Hebron erinnern. Zudem erhoben die Teilnehmer_innen die Forderung, die diskriminierenden Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Palästinenser_innen durch die israelischen Behörden in der Stadt aufzuheben. Die Anklagen gegen die beiden Männer entbehren jeder Grundlage und beziehen sich allein auf ihre Tätigkeit als Menschenrechtsverteidiger. Sie wurden am 1. März 2016 aus der Haft entlassen und stehen gegenwärtig vor Gericht.

Farid al-Atrash ist ein palästinensischer Anwalt. Er wurde während der friedlichen Demonstration festgenommen und in fünf Punkten unter Anklage gestellt, darunter Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration und Angriff auf Soldat_innen. Videoaufnahmen seiner Festnahme bestätigen Farid al-Atrashs Aussage, dass er sich friedlich verhalten hatte. Er wurde geschubst und mitgezerrt und unter Gewaltanwendung von mehreren Angehörigen der Streitkräfte festgenommen.

Issa Amro ist der Koordinator der Gruppe Youth Against Settlements. Er wurde am 29. Februar 2016 von der israelischen Polizei in dem Zentrum festgenommen, in dem er arbeitet. Der Grund für seine Festnahme war zunächst seine Beteiligung an den Protesten vom 26. Februar, später wurde er jedoch in 18 Punkten unter Anklage gestellt, darunter "Beleidigung eines Soldaten" und "Tätlichkeit". Einige der Anklagepunkte bezogen sich auf Ereignisse im Jahr 2010. Issa Amro bestreitet alle Vorwürfe und gibt an, in der Haft zweimal von Angehörigen der israelischen Polizei geschlagen worden zu sein. Bislang sind diesbezüglich keine Ermittlungen eingeleitet worden.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am 9. Juli sagten zwei israelische Soldat_innen vor einem Militärrichter gegen Farid al-Atrash und Issa Amro aus. Eine_r der Soldat_innen sagte aus, Farid al-Atrash habe ihn während des Protestmarschs am 26. Februar 2016 geschubst. Videoaufnahmen zeigen hingegen, dass Farid al-Atrash vor den Soldat_innen ein Poster hochhielt und keine Gewalt anwandte, dann aber von mehreren Soldat_innen geschubst, gezerrt und dann gewaltsam in Gewahrsam genommen wurde. Issa Amro erklärte, er sei sehr ängstlich gewesen und die "Aussage der Soldat_innen ist unbegründet". Er sagte Amnesty International: "Man kann das in dem Video sehen, aber ich rechne in diesem Schauprozess nicht mit Gerechtigkeit. In 99 % der Verfahren sprechen Militärgerichte palästinensische Angeklagte schuldig."

Issa Amro ist Koordinator der Gruppe Youth Against Settlements (Jugend gegen Siedlungen). Die Gruppe wendet sich mit gewaltfreien Aktivitäten gegen rechtswidrige israelische Siedlungen in Hebron und die diskriminierenden Einschränkungen, die Palästinenser_innen von den israelischen Behörden auferlegt werden. Der Menschenrechtsverteidiger dokumentiert Menschenrechtsverletzungen, organisiert friedliche Proteste und verteilt Informationen über Siedlungen und die israelische Militärbesatzung an Tourist_innen, Journalist_innen und Diplomat_innen.

Farid al-Atrash ist Anwalt und Leiter eines Bezirksbüros der Organisation Unabhängige Menschenrechtskommission. Videoaufnahmen seiner Festnahme finden Sie unter: https://www.youtube.com/watch?v=JCeeS2C6kWY. Farid al-Atrash sagt, dass er unschuldig sei und dass die israelischen Behörden ihn vor Gericht stellen, "um mich und andere Menschenrechtsaktivist_innen zum Schweigen zu bringen und von unserer Arbeit abzuhalten.

Menschenrechtsverteidiger_innen in Hebron werden bereits seit langer Zeit von Angehörigen des israelischen Militärs, der israelischen Polizei und von israelischen Siedler_innen drangsaliert. Issa Amro ist immer wieder bedroht worden und hat tätliche Angriffe durch israelische Siedler_innen erlebt, bei denen häufig auch israelische Soldat_innen oder Polizeikräfte zugegen waren. Issa Amro gibt an, mehrfach vom israelischen Militär festgenommen worden zu sein.

Issa Amro wird auch von den palästinensischen Behörden drangsaliert. So wurde er am 4. September von palästinensischen Sicherheitskräften festgenommen, nachdem er auf seiner Facebook-Seite die Festnahme eines lokalen Rundfunkjournalisten kritisiert hatte. Sechs Tage später kam er gegen Kaution frei. Gegenwärtig droht ihm ein Verfahren vor einem palästinensischen Gericht wegen "Störung der öffentlichen Ordnung" auf der Grundlage des neu verabschiedeten Gesetzes über Cyberkriminalität sowie wegen Unruhestiftung und Beleidigung von Behörden.

Einige der gegen Issa Amro erhobenen Anklagen, wie "Teilnahme an einem Protest ohne Genehmigung", stellen keine international als Straftat anerkannten Handlungen dar. Eine der Anklagen wegen "Tätlichkeit" bezieht sich auf einen Vorfall bei einem Protest am 20. März 2013. Zur mutmaßlichen Tatzeit befand Issa Amro sich jedoch bereits im Gewahrsam, sodass er nicht daran beteiligt gewesen sein konnte. Ein Video belastet eindeutig einen anderen Mann im Zusammenhang mit dem Vorfall, bei dem die Kamera eines israelischen Siedlers zerstört wurde. Das Video können Sie unter folgendem Link ansehen: https://www.youtube.com/watch?v=OVGaQGnM2Bw. Die Demonstration im März 2013 verlief friedlich. Am selben Tag besuchte US-Präsident Barack Obama die besetzten palästinensischen Gebiete.

Hebron ist neben Ost-Jerusalem die einzige Stadt im Westjordanland, in deren Zentrum israelische Siedler_innen leben. Etwa 800 israelische Siedler_innen leben in vier Siedlungen innerhalb der Altstadt oder in den angrenzenden Stadtteilen. Darüber hinaus leben mehr als 7.000 weitere in zwei Siedlungen am Stadtrand von Hebron. Am 25. Februar 1994 erschoss ein Bewohner einer israelischen Siedlung 29 Palästinenser_innen und verletzte zahlreiche weitere, die sich beim Gebet in der für Jüd_innen und Muslim_innen heiligen Höhle der Patriarchen / Abrahams-Moschee befanden. Nach dem Anschlag verhängten die israelischen Behörden eine Reihe strikter und diskriminierender Einschränkungen der Bewegungsfreiheit gegen die palästinensischen Bewohner_innen von Hebron – darunter die Absperrung großer Teile der al-Shuhada-Straße, die zuvor das wirtschaftliche Zentrum der Stadt bildete, für Palästinenser_innen, während israelische Siedler_innen und deren Besucher_innen freien Zugang zu dem Gebiet haben.

Bereits seit Jahren bestehen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für Palästinenser_innen in Hebron. Die israelische Armee verhängt immer wieder zusätzliche Ausgangssperren oder Schließungen, die zum Teil über lange Zeiträume andauern, wenn es beispielsweise zu Angriffen auf israelische Soldat_innen oder Zivilpersonen durch Palästinenser_innen kommt. Palästinenser_innen dürfen einige Straßen in der Altstadt von Hebron nicht einmal betreten, so zum Beispiel die al-Shuhada-Straße. Die Bewegungsfreiheit israelischer Siedler_innen oder deren Besucher_innen wird hingegen nicht eingeschränkt. Der Anstieg der Gewalt in den besetzten palästinensischen Gebieten und Israel seit Oktober 2015 hat dazu geführt, dass die israelischen Behörden die willkürlichen und diskriminierenden Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für Palästinenser_innen in und um die Altstadt von Hebron drastisch verstärkt haben. Einige Teile der Altstadt sind sogar zu einer "militärischen Sperrzone" erklärt worden.