Iran: Studenten müssen freigelassen werden!

Collage von Portraitfotos zwei junger Herren, die kurze, dunkle Haare haben und in die Kamera schauen.

Die zwei iranischen Studenten und gewaltlosen politischen Gefangenen Ali Younesi und Amirhossein Moradi

Am 25. April 2022 verurteilte ein iranisches Revolutionsgericht die Studenten Ali Younesi und Amirhossein Moradi nach einem grob unfairen Verfahren auf der Grundlage konstruierter Anklagen im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit zu 16 Jahren Gefängnis. Ihre Verurteilung beruhte auf "Geständnissen", die beide Männer vor Gericht widerriefen, weil sie nach ihren Angaben unter Folter und anderen Misshandlungen erzwungen worden waren. Die Abteilung 36 des Obersten Gerichtshofs bestätigte die Schuldsprüche und das Strafmaß am 6. Juni 2022. Die beiden Männer sind gewaltlose politische Gefangene, die wegen der Wahrnehmung ihres Rechts auf friedliche Versammlung und wegen der tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindungen ihrer Familien zu oppositionellen Gruppen strafrechtlich verfolgt werden.

Appell an

Oberste Justizautorität
Gholamhossein Mohseni Ejei, Head of the Judiciary
c/o Embassy of Iran to the European Union
Avenue Franklin Roosevelt No. 15
1050 Brüssel
BELGIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Islamischen Republik Iran
S. E. Herrn Mahmoud Farazandeh
Podbielskiallee 67
14195 Berlin

Fax: (030) 83 222 91 33
E-Mail: info@iranbotschaft.de

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie auf, Ali Younesi und Amirhossein Moradi, die nur aufgrund der tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindungen ihrer Angehörigen zu oppositionellen Gruppen sowie ihrer friedlichen Teilnahme an Protesten festgehalten werden, unverzüglich und bedingungslos freizulassen und ihre ungerechtfertigten Verurteilungen aufzuheben.
  • Führen Sie außerdem unverzüglich eine wirksame, unabhängige und unparteiische Untersuchung ihrer Folter- und Misshandlungsvorwürfe durch und stellen Sie sicher, dass alle, die unter Verdacht stehen, an Folterungen oder Misshandlungen beteiligt gewesen zu sein, in fairen Gerichtsverfahren ohne Rückgriff auf die Todesstrafe zur Verantwortung gezogen werden.

 

Sachlage

Die Studenten Ali Younesi und Amirhossein Moradi verbüßen zu Unrecht eine 16-jährigen Haftstrafe im Teheraner Evin-Gefängnis, nachdem sie am 25. April 2022 von der Abteilung 29 des Teheraner Revolutionsgerichts wegen "Versammlung und Verschwörung gegen die nationale Sicherheit", "Verbreitung von Propaganda gegen das System" und "Zerstörung öffentlichen Eigentums" schuldig gesprochen wurden. Die Anklagen beruhten auf ihrer Teilnahme an friedlichen Protesten im Januar 2020 und den tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindungen ihrer Familien zu den Volksmudschaheddin (People's Mojahedin Organization of Iran – PMOI). In einem grob unfairen Verfahren wurde gegen ihr Recht auf angemessene Verteidigung, das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, und das Prinzip der Unschuldsvermutung verstoßen. In den ersten 13 Monaten ihrer Haft verweigerten Angehörige des Geheimdienstministeriums ihnen den Zugang zu einem unabhängigen Rechtsbeistand ihrer Wahl. Am 8. Dezember 2021 veröffentlichten Journalist*innen, die für Medienunternehmen mit Verbindungen zur Revolutionsgarde arbeiten, in den Sozialen Medien ein Video, das ihre erzwungenen "Geständnisse" zeigt. Berichten zufolge haben die beiden Studenten unter Androhung von Tod und sexueller Gewalt "gestanden", nachdem sie aus der Abteilung 209 des Teheraner Evin-Gefängnisses an einen Ort außerhalb des Gefängnisses gebracht worden waren. Dort, so hatten Angehörige des Geheimdienstministeriums sie gewarnt, würden die Gefängnisvorschriften nicht gelten. Davor waren sie für fast 60 Tage in Isolationshaft gehalten worden, was gegen das absolute Verbot von Folter und anderen Misshandlungen verstößt.

Wie Amnesty International erfuhr, hatte der Richter am letzten Tag des Verfahrens, dem17. April, angemerkt, dass die Staatsanwaltschaft versäumt habe, dem Gericht die Videoaufzeichnungen ihrer Verhöre vorzulegen. Diese hatte er während einer früheren Sitzung angefordert, nachdem die Studenten ihm berichtet hatten, unter Folter und anderen Misshandlungen "gestanden" zu haben. Obwohl die Staatsanwaltschaft dem Gericht nur das zuvor erwähnte Propagandavideo mit der Aufzeichnung der erzwungenen "Geständnisse" vorlegte, verurteilte der Richter sie auf dieser Grundlage und unterließ es, eine Untersuchung ihrer Folter- und Misshandlungsvorwürfe anzuordnen. Die Abteilung 36 des Obersten Gerichtshofs bestätigte die Schuldsprüche und das Strafmaß am 6. Juni 2022. Amnesty International hat erfahren, dass in der Zwischenzeit Angehörige des Geheimdienstministeriums den Vater von Amirhossein Moradi aufsuchten und ihm vage Versprechungen über die mögliche Freilassung seines Sohnes machten, wenn dieser bereit sei, im Gegenzug dem staatlichen Fernsehen ein "freundliches" Interview zu geben und Dissident*innen öffentlich zu kritisieren. Dies lehnte Amirhossein Moradi jedoch ab.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Angehörige des Geheimdienstministeriums haben Ali Younesi und Amirhossein Moradi gefoltert und anderweitig misshandelt, indem sie den beiden Studenten schwere Schmerzen und Leiden zufügten, um "Geständnisse" zu erzwingen. Nach ihrer Festnahme am 10. April 2020 waren sie 808 Tage in separaten Zellen in der Abteilung 209 des Evin-Gefängnis inhaftiert. In den ersten 60 Tagen wurden sie in kleinen fensterlosen Räumen bei 24-stündiger greller Beleuchtung in Einzelhaft gehalten. Dies führte dazu, dass sie jegliches Tag- und Nachtgefühl verloren und unter schweren Stress- und Schmerzuständen litten. Ali Younesi erzählte, er habe nur schlafen können, indem er seine Augen mit seinem T-Shirt bedeckte. Während ihrer Inhaftierung in der Abteilung 209 beschränkten die Sicherheitskräfte ihren Zugang zu frischer Luft und natürlichem Licht auf zweimal wöchentlich 20 Minuten und verweigerten ihnen persönliche Besuche ihrer Familien. Ali Younesi teilte seiner Familie mit, dass ihm eine angemessene medizinische Versorgung für eine Verletzungen am linken Auge verweigert wurde, die ihm Angehörige des Geheimdienstministeriums zugefügt hatten. Er wurde seit seiner Festnahme noch nicht augenärztlich untersucht. Amirhossein Moradi berichtete ebenfalls, während seiner Festnahme brutal geschlagen worden zu sein. Am 26. Juni 2022 wurden die beiden in den allgemeinen Trakt des Teheraner Evin-Gefängnisses verlegt. Am 15. Juli 2022 antwortete der der Justiz unterstehende Hohe Rat für Menschenrechte des Iran auf eine Mitteilung einer Gruppe von UN-Sonderbeauftragten vom 3. Mai 2022, in der diese ihre Besorgnis über die Behandlung von Ali Younesi und Amirhossein Moradi in der Haft und die Verletzung ihrer Rechte auf ein faires Verfahren zum Ausdruck gebracht hatten. Der Hohe Rat tat diese Bedenken ab und behauptete fälschlicherweise, dass "die Angeklagten für einen begrenzten Zeitraum vor der Urteilsverkündung in Einzelräumen (keine Einzelzellen) der Abteilung 209 des Evin-Gefängnisses festgehalten wurden. Anschließend wurden sie in die allgemeine Abteilung 209 verlegt."

Die Behörden verletzten das Recht der Studenten auf die Unschuldsvermutung, indem sie sie öffentlich beschuldigten, Verbindungen zu "konterrevolutionären" Gruppen zu unterhalten. Dabei bezogen sie sich offenbar auf tatsächliche oder vermeintliche Verbindungen ihrer Familien zu den Volksmudschaheddin (People's Mojahedin Organization of Iran – PMOI). Am 5. Mai 2020 erklärte der damalige Sprecher der iranischen Justizbehörde, Gholamhossein Esmaili, in seiner wöchentlichen Pressekonferenz, dass zwei Studenten festgenommen worden seien, weil diese mit "konterrevolutionären" Gruppen in Kontakt gestanden hätten. Diese Aussage bezog sich offensichtlich auf Ali Younesi und Amirhossein Moradi. Gholamhossein Esmaili verwendete eine herabwürdigende Bezeichnung für die PMOI und legte keine Beweise für seine Vorwürfe vor. Die Behörden machten auch fadenscheinige Anschuldigungen, sie hätten "Sprengkörper" im Besitz der Studenten gefunden. Beide wiesen diese Anschuldigungen zurück. Ihre Vernehmungsbeamt*innen beschuldigten sie auch, Plakate iranischer Staatsbediensteter entfernt und im Januar 2020 an friedlichen Protesten teilgenommen zu haben. Zu der Anschuldigung, dass bei den Studenten zu Hause "Sprengkörper" gefunden worden seien, gab die Schwester von Ali Younesi, Aida Younesi, an, dass Angehörige der Sicherheitskräfte der Familie mitgeteilt hätten, bei der Durchsuchung der Wohnung von Ali Younesi nichts Verdächtiges gefunden zu haben.

Während einer Anhörung vor der Abteilung 20 des Teheraner Revolutionsgerichts am 3. Juli 2021 wurden Ali Younesi und Amirhossein Moradi der "Verdorbenheit auf Erden" (ifsad fil-arz) beschuldigt, wofür ihnen die Todesstrafe drohte. Weitere Vorwürfe waren die "Versammlung und Verschwörung gegen die nationale Sicherheit" und die "Verbreitung von Propaganda gegen das System". Wie ihr Rechtsbeistand in Interviews an die Medien verlautete, ließ das Gericht die Klage wegen "Verdorbenheit auf Erden" fallen und ersetzte diese durch den Vorwurf der "Zerstörung öffentlichen Eigentums", auf den jeweils zehn Jahre ihrer Haftstrafe entfallen.

Die iranischen Behörden gehen seit Jahren gegen Familienangehörige von Personen vor, die tatsächliche oder vermeintliche Verbindungen zur verbotenen Oppositionsgruppe der Volksmudschaheddin haben. Nach den Unruhen, die auf die Wahlen im Iran von 2009 folgten, nahmen die Behörden neben vielen anderen auch Personen fest, deren Familienangehörige in der Vergangenheit oder zum damaligen Zeitpunkt Verbindungen zu Oppositionsgruppen, einschließlich der PMOI, hatten. Mehr dazu im englischsprachigen Bericht From Protest to Prison. Zu den 2009 Festgenommenen gehört auch die gewaltlose politische Gefangene Maryam Akbari Monfared, die zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Nachdem ihre Privatsphäre willkürlich verletzt und Familienkorrespondenz und -kommunikation abgefangen wurde, warf man ihr vor, Telefonate geführt und einmal Familienmitglieder besucht zu haben, die Mitglieder der PMOI waren. Weitere Informationen finden Sie hier (https://www.amnesty.de/urgent-action/ua-248-2016-1/drohende-haftverlaen…).

Am 11. Januar 2020 brachen im Iran landesweite Proteste aus, nachdem die Behörden zugegeben hatten, dass die Revolutionsgarden Raketen auf ein ukrainisches Passagierflugzeug im iranischen Luftraum abgefeuert hatten, wobei alle 176 Menschen an Bord ums Leben kamen. Die Proteste weiteten sich rasch aus und richteten sich bald gegen die Regierung. Forderungen nach einer Umgestaltung des politischen Systems wurden laut, so wurden ein Verfassungsreferendum und ein Ende der Islamischen Republik gefordert. Amnesty International hat das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte bei der Niederschlagung der Proteste dokumentiert. So schossen diese mit Schrotkugeln – die normalerweise für die Jagd verwendet werden – aus Luftgewehren auf friedliche Demonstrierende. Die Geschosse verursachten zahlreiche Verletzungen. Außerdem setzten sie zur Auflösung von Versammlungen Gummigeschosse, Tränengas und Pfefferspray ein. Sie traten auf Demonstrierende ein, schlugen sie mit Schlagstöcken und nahmen sie willkürlich fest. Weitere Informationen dazu finden hier: https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/01/iran-scores-injured-as-s….