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Anwalt vermutlich in Haft gefoltert
Der chinesische Menschenrechtsanwalt Yu Wensheng (undatiertes Foto)
© privat
Nach mehr als 18 Monaten in Einzelhaft durfte Yu Wensheng am 14. August endlich seinen Rechtsbeistand sehen. Dieser gab nach dem Treffen an, dass der bekannte Menschenrechtsanwalt in Haft gefoltert worden sei und dass sich sein Gesundheitszustand massiv verschlechtert habe. Yu Wensheng war am 17. Juni 2020 wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" zu vier Jahren Gefängnis und dem dreijährigen Entzug seiner politischen Rechte verurteilt worden. Er ist ein gewaltloser politischer Gefangener, der sich nur deshalb in Haft befindet, weil er friedlich von seinem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht hat. Amnesty International fordert daher seine sofortige und bedingungslose Freilassung.
Appell an
Director Yin Zhaoming
Xuzhou City Detention Centre
206 Guodaodongze,
Sanbao Zhen Nan, Tongshan Qu
Xuzhou Shi, Jiangsu Sheng, 221112
VOLKSREPUBLIK CHINA
Sende eine Kopie an
Botschaft der Volksrepublik China
S. E. Herrn Ken Wu
Märkisches Ufer 54
10179 Berlin
Fax: 030-27 58 82 21
E-Mail: presse.botschaftchina@gmail.com
Amnesty fordert:
- Bitte sorgen Sie dafür, dass er bis zu seiner umgehenden und bedingungslosen Freilassung nach den Richtlinien der UN-Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln) behandelt wird. Er soll weder unter mangelhaften Haftbedingungen noch unter Folter und anderen Misshandlungen leiden.
- Sorgen Sie bitte außerdem dafür, dass er bis zu seiner Freilassung regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl erhält, und gewähren Sie ihm auf Wunsch und nach Bedarf regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung.
Sachlage
Yu Wensheng (余文生) wird momentan in der Hafteinrichtung der Stadt Xuzhou festgehalten. Nach mehr als 18 Monaten Haft konnte er sich am 14. August endlich mit seinem Rechtsbeistand treffen. Diese Entwicklung kann zwar als gutes Zeichen gewertet werden, doch das, was der Gefangene seinem Rechtsbeistand zu seinen Haftbedingungen berichtete, ist alarmierend.
Yu Wensheng erzählte seinem Anwalt, dass er in Haft mit Pfefferspray besprüht und wiederholt dazu gezwungen wurde, so lange auf einem Metallstuhl zu sitzen, bis er fast das Bewusstsein verlor. Außerdem berichtete er von Nahrungsentzug und dass er im Sommer einen Hitzschlag erlitten habe, während er im Winter fror.
Die Ehefrau von Yu Wensheng, Xu Yan, äußerte sich sehr besorgt über die drastische Verschlechterung seines Gesundheitszustands seit der Einzelhaft. Ihr Mann leide nicht nur an Bluthochdruck, sondern ihm seien außerdem einige Zähne ausgefallen und er sei zu schwach, um sein Essen zu kauen. Yu Wensheng gab an, dass er aufgrund von schwerem Zittern nicht mehr in der Lage sei, mit der rechten Hand zu schreiben. Stattdessen war er gezwungen, seinen gesamten Widerspruch gegen das gegen ihn verhängte Urteil mit der linken Hand zu schreiben. Nach Ansicht des Gefängnisarztes ist dieser Zustand irreversibel.
Yu Wensheng ist ein gewaltloser politischer Gefangener, der sich nur deshalb in Haft befindet, weil er friedlich von seinem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht hat. Er ist nicht nur zu Unrecht inhaftiert, er wird in der Haft auch unmenschlich behandelt.
Hintergrundinformation
Yu Wensheng ist ein bekannter Menschenrechtsanwalt in Peking. Er vertrat zahlreiche Personen in öffentlichkeitswirksamen Menschenrechtsfällen. So übernahm er unter anderem die Verteidigung verschiedener Falun-Gong-Anhänger_innen und des Menschenrechtsanwalts Wang Quanzhang. Wang Quanzhang war während des harten staatlichen Vorgehens gegen Anwält_innen und Aktivist_innen im Juli 2015 wegen "Untergrabung der Staatsgewalt" angeklagt worden.
Yu Wensheng wurde am 17. Juni 2020 zu vier Jahren Gefängnis und einem dreijährigen Entzug seiner politischen Rechte verurteilt. Seine Rechtsbeistände wurden jedoch weder offiziell über das Urteil informiert noch erhielten sie Einsicht in die Akten. Yu Wensheng hatte zuvor einen Offenen Brief geschrieben, in dem er Präsident Xi Jinping kritisierte und sagte, dieser sei wegen seiner zunehmend "totalitären" Herrschaft ungeeignet, China zu regieren. Angehörige und Freund_innen von Yu Wensheng glauben, dass seine Verurteilung mit diesem Brief zusammenhängt. Nachdem er im Juni 2020 – noch ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand – Rechtsmittel gegen den Schuldspruch eingelegt hatte, wartet er momentan auf seine Berufungsverhandlung.
Am 19. April 2018 hatte das Büro für Öffentliche Sicherheit der Stadt Xuzhou in der Provinz Jiangsu offiziell Haftbefehl gegen Yu Wensheng erlassen, weil er "zum Umsturz der Staatsmacht angestiftet" und "die Arbeit von Staatsbeamten behindert" haben soll. Er wurde daraufhin "an einem dafür vorgesehenen Ort unter Überwachung gestellt" – eine Maßnahme, mit der strafrechtliche Ermittler_innen Personen unter bestimmten Umständen für bis zu sechs Monate außerhalb des formellen Haftsystems festhalten können. Dies kann unter bestimmten Umständen einer Form der geheimen Haft ohne Kontakt zur Außenwelt gleichkommen. Wenn den Straftatverdächtigen in "häuslicher Überwachung" der Zugang zu einem Rechtsbeistand ihrer Wahl, ihren Familien und allen anderen Menschen außerhalb der Haft verweigert wird, sind sie ständig in erhöhter Gefahr, gefoltert und in anderer Weise misshandelt zu werden. Diese Art der Haft wird benutzt, um die Aktivitäten von Menschenrechtsverteidiger_innen, darunter Rechtsbeistände, Aktivist_innen und Praktizierende einer Religion, zu unterdrücken.
Am 15. Januar 2018, vier Tage bevor er von der Polizei abgeholt wurde, erhielt Yu Wensheng einen Brief der Justizbehörde von Peking, in dem stand, dass seine Anwaltslizenz ausgesetzt würde, da er seit über sechs Monaten nicht bei einer registrierten Anwaltskanzlei beschäftigt gewesen sei. Ihn erreichte zudem ein weiterer Brief der Behörde, der auf den 12. Januar 2018 datiert war, der besagte, dass sein Antrag auf die Eröffnung einer Anwaltskanzlei abgelehnt worden sei, weil er sich wiederholt gegen die Kommunistische Partei ausgesprochen und den "sozialistischen Rechtsstaat" angegriffen habe.
Yu Wenshengs Frau Xu Yan hat in den vergangenen zwei Jahren unermüdlich für die Freilassung ihres Mannes gekämpft. Sie unternahm zahlreiche Versuche, ihren Mann zu besuchen, der 800 Kilometer von ihrem Zuhause in Peking entfernt in Einzelhaft gehalten wurde. Ihre 25 Besuchsanträge blieben jedoch alle erfolglos, genauso ihre 60 Versuche, sich mit Regierungsbeamt_innen zu treffen. Seit Januar 2018 hat Xu Yan im Zusammenhang mit der Inhaftierung ihres Mannes etwa 300 Anträge bei verschiedenen Regierungsstellen eingereicht. Sie erhielt keine einzige Antwort. Seit sie sich für ihren Mann einsetzt, steht Xu Yan unter ständiger Beobachtung und wird von den Behörden schikaniert. Sie wurde vorgeladen, verhört und mit einem Reiseverbot belegt.
In China werden Aktivist_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen nach wie vor systematisch überwacht, schikaniert, eingeschüchtert, festgenommen und inhaftiert.