Aserbaidschan: Inhaftierter Aktivist gefährdet

Ein Mann mit kurzen grauen Haaren in Anzug und Krawatte, es ist der aserbaidschanische Ökonom und Regierungskritiker Gubad Ibadoghlu

Der aserbaidschanische Ökonom und Regierungskritiker Gubad Ibadoghlu (Archivaufnahme vom April 2021)

Der Gesundheitszustand von Gubad Ibadoghlu ist kritisch. Seine Angehörigen fürchten um sein Leben, wenn der renommierte Wirtschaftswissenschaftler und Aktivist nicht umgehend aus der Untersuchungshaft freigelassen und medizinisch behandelt wird. Im Februar kam ein Brief von ihm aus dem Gefängnis. 

Appell an

Ilham Aliyev

President of Azerbaijan

19 Istiqlaliyyat Street

Baku AZ1066

ASERBAIDSCHAN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Aserbaidschan 
S.E. Herrn Nasimi Aghayev
Hubertusallee 43, 14193 Berlin
Fax: 030-219 161 52
E-Mail: berlin@mission.mfa.gov.az

Amnesty fordert:

  • Bitte ergreifen Sie Maßnahmen für die sofortige und bedingungslose Freilassung von Gubad Ibadoghlu.
  • Gewährleisten Sie, dass er bis zu seiner Freilassung unverzüglich die notwendige medizinische Versorgung erhält und vor Folter und anderen Misshandlungen geschützt wird.
  • Sehen Sie bitte davon ab, das Strafjustizsystem in Aserbaidschan zu missbrauchen, um Aktivist*innen und Regierungskritiker*innen ins Visier zu nehmen.

Sachlage

Gubad Ibadoghlu wird wegen seiner Arbeit gegen Korruption und seiner Kritik an den aserbaidschanischen Behörden verfolgt. Am 23. Juli 2023 wurde er festgenommen. Seitdem befindet sich er sich in Untersuchungshaft – bereits länger als acht Monate. Am 15. Februar 2024 verlängerte das Gericht in Baku die Untersuchungshaft um weitere drei Monate und setzte den neuen Verhandlungstermin auf den 20. Mai fest. Der Wissenschaftler und Aktivist hat kein Verbrechen begangen, die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen sind konstruiert. Er wird weiterhin in der Haftanstalt Kurdakhani festgehalten, wo sich sein Gesundheitszustand aufgrund der schlechten Haftbedingungen und der anhaltenden Verweigerung einer angemessenen medizinischen Versorgung immer weiter verschlechtert. Gubad Ibadoghlu leidet an schweren gesundheitlichen Problemen, darunter Diabetes Typ 2 und Bluthochdruck. Er wird unter Bedingungen festgehalten, die unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleichkommen könnten. Seiner Familie zufolge ist sein Gesundheitszustand kritisch. Er sei in Lebensgefahr. Dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz wurde kein Zugang zu Gubad Ibadoghlu gewährt. Dies verstärkt die Sorge, dass sein Gesundheitszustand und seine Haftbedingungen sehr schlecht sind und beides von der Regierung verschleiert wird.

Im Februar konnte Gubad Ibadoghlu über seinen Rechtsbeistand einen Brief aus dem Gefängnis schicken. Er schrieb: "Meine fensterlose Zelle ist feucht und muffig, sie riecht übel und ist von verschiedenen Insekten befallen. Ich habe nach wie vor keinen Zugang zu frischen Lebensmitteln und sauberem Wasser. Meine miserablen Haftbedingungen und mein qualvolles Umfeld tragen zu meinem immer schlechter werdenden Gesundheitszustand bei. Ich leide unter einem hohen Blutzuckerspiegel und einem Aortenaneurysma (Erweiterung der Aortenvene in meinem Herzen). Ich war gezwungen, meine Insulininjektionen auf eine sehr hohen Dosis von 22 Einheiten pro Tag umzustellen. Mein Puls ist in der Regel schneller als 110 Schläge pro Minute. Ich habe stechende Schmerzen im unteren Rücken ..."

Hintergrundinformation

Hintergrund

Gubad Ibadoghlu ist ein bekannter aserbaidschanischer Wirtschaftswissenschaftler und Politiker. Er ist der Vorsitzende der Aserbaidschanischen Bewegung für Demokratie und Wohlstand, die 2014 mit einer sozialdemokratischen Plattform gegründet wurde und der die aserbaidschanischen Behörden willkürlich die Registrierung als politische Partei verweigern. Er war Gastwissenschaftler an der London School of Economics und leitete das Economic Research Center in Aserbaidschan, eine Nichtregierungsorganisation, die sich mit der Verwaltung der öffentlichen Finanzen, guter Regierungsführung und Haushaltstransparenz beschäftigt. Die aserbaidschanischen Behörden schlossen 2014 das Wirtschaftsforschungszentrum und froren dessen Bankkonten ein. Gubad Ibadoghlu ging 2017 ins politische Exil, kehrte aber 2023 nach Aserbaidschan zurück, um seine Familie zu besuchen.

Am 23. Juli nahmen Polizist*innen Gubad Ibadoghlu und seine Frau fest, als sie auf dem Weg zu einem Treffen mit Jugendaktivist*innen der Aserbaidschanischen Bewegung für Demokratie und Wohlstand in Sumgayit waren, einer Stadt etwa 40 Kilometer von Baku entfernt. Vier nicht gekennzeichnete Fahrzeuge kreisten gegen 13 Uhr ihren Wagen ein und zwangen sie zum Anhalten, indem sie ihn von vorne und hinten rammten. Nach Angaben ihrer Tochter Zhala Bayramova zwangen 20 Polizist*innen in Zivil das Paar aus dem Auto, griffen sie tätlich an, zwangen sie dann in getrennte Autos und fuhren sie zur Abteilung für organisierte Kriminalität des Innenministeriums in Baku. Als Irada Bayramova um 19 Uhr freigelassen wurde, hatte sie Prellungen an Armen, Beinen und am Rücken. Gubad Ibadoghlu hat wegen der Misshandlung der zwei Anzeige erstattet, auf die bisher nicht reagiert wurde.

Nach einer offiziellen Erklärung des aserbaidschanischen Innenministeriums vom 23. Juli ist die Festnahme mehrerer Personen, darunter Gubad Ibadoghlu, Teil einer Operation gegen Anhänger*innen des im Exil lebenden türkischen Geistlichen Fethullah Gülen, den die türkischen Behörden zusammen mit seinen Anhänger*innen als "terroristische Organisation" einstufen. Die Polizei beschlagnahmte angeblich unter anderem 40.000 US-Dollar in bar aus dem Büro der NGO Economic Research Center. Sie durchsuchten auch das Haus von Gubad Ibadoghlu und Irada Baymarova und nahmen Ibadoghlus Bruder, Gabid Baymalov, fest. Am 2. August 2023 wies das zuständige Gericht in Baku die Klage von Gubad Ibadoghlu gegen die rechtswidrige Durchsuchung seiner Wohnung ab.

Seinen Angehörigen zufolge leidet Gubad Ibadoghlu unter anderem an einer Herzerkrankung, Typ-2-Diabetes, Nierenerkrankungen und starken Schmerzen im unteren Rückenbereich. Seine Blutwerte und sein Gesundheitszustand insgesamt verschlechtern sich zusehends. Die Behörden verweigern ihm notwendige diagnostische Untersuchungen, die nötig wären, um einen angemessenen Behandlungsplan erstellen zu können. Er erhält seine Medikamente nur in unregelmäßigen Abständen, was das Risiko für einen Schlaganfall und die Entwicklung weiterer Herzkrankheiten und anderer lebensbedrohlicher Erkrankungen erhöht. 

Die unbegründete Strafverfolgung von Gubad Ibadoghlu ist Teil des anhaltenden Vorgehens der aserbaidschanischen Behörden gegen Menschenrechtsverteidiger*innen, Regierungskritiker*innen, unabhängige Medien und alle Andersdenkenden. Kritik an den Behörden wird routinemäßig unterdrückt. Wer es wagt, die Regierung herauszufordern, muss mit konstruierten Anklagen, unfairen Gerichtsverfahren und langen Haftstrafen rechnen. Amnesty International hat bereits früher dokumentiert, wie die aserbaidschanischen Behörden vor großen internationalen Veranstaltungen versucht haben, alle kritischen Stimmen im Land zum Schweigen zu bringen. Dieses bekannte Muster ist auch im Vorfeld der UN-Klimakonferenz 2024 (COP 29) zu beobachten, die das Land im November 2024 in der Hauptstadt Baku ausrichten wird.