Algerien: Nach Bericht über Proteste inhaftiert

Porträt eines in die Kamera lächelnden Mannes, der eine Sonnenbrille trägt und vor algerischen Flaggen und einer Menschenmenge steht.

Der algerische Journalist Rabah Kareche (Archivfoto)

Am 18. April nahmen die algerischen Behörden den Journalisten Rabah Kareche fest. Der Korrespondent der Zeitschrift Liberté hatte kurz zuvor in einem Artikel über Proteste der Tuareg berichtet, die in der Region um die südalgerische Stadt Tamanrasset gegen eine Neuziehung der Provinzgrenzen demonstriert hatten. Momentan sitzt Rabah Kareche in einem Gefängnis in Tamanrasset, ihm droht ein Prozess. Der Journalist könnte im Falle eines Schuldspruchs zu 23 Jahren Haft verurteilt werden. Er muss umgehend und bedingungslos freigelassen werden.

Appell an

Präsident

Abdelmadjid Tebboune

Présidence de la République

Place Mohammed Seddik Benyahia

El Mouradia


Alger, 16000

ALGERIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Algerien

S. E. Herrn Nor Eddine Aouam


Görschstraße 45 -46

13187 Berlin

Fax: 030-4809 8716


E-Mail: info@algerische-botschaft.de

Amnesty fordert:

Sachlage

Am 18. April veröffentlichte der Journalist Rabah Kareche einen Artikel über Proteste der Tuareg, die im Süden Algeriens für ihre Landrechte demonstrierten – noch am selben Tag wurde er festgenommen. Zunächst zitierten ihn Angehörige der Sicherheitskräfte auf eine Polizeiwache und verhörten ihn ausführlich zu dem von ihm veröffentlichten Artikel, anschließend kam er in Haft. In dem fraglichen Beitrag geht es um einen Protest von Angehörigen der Tuareg aus Tamanrasset, der sich gegen eine kürzlich erfolgte Neuziehung von Provinzgrenzen richtete. Die Protestierenden hatten die Behörden aufgefordert, ein Dekret wieder aufzuheben, in dem diese Grenzen neu festgelegt wurden – und zwar so, dass ein Teil des Gebietes um Tamanrasset, das reich an natürlichen Rohstoffen ist, in neu geschaffene Wilayas (Provinzen) übertragen wird.

Die Staatsanwaltschaft am erstinstanzlichen Gericht von Tamanrasset erhob am 19. April Anklage gegen Rabah Kareche wegen "Verbreitung von Fake News oder Informationen, die die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung gefährden" und "Schädigung der nationalen Sicherheit oder der nationalen Einheit" (Paragraf 196a bzw. 79 des Strafgesetzbuches) sowie wegen "Erstellung oder Unterhaltung einer Website zur Veröffentlichung von Informationen, die in der Gesellschaft Diskriminierung und Hass schüren können" (Paragraf 34 des neu verabschiedeten Gesetzes zur Verhinderung und Bekämpfung von Diskriminierung und Hassreden). Ein Ermittlungsrichter desselben Gerichts ordnete noch am selben Tag Untersuchungshaft für Rabah Kareche im Gefängnis von Tamanrasset an. Der von seinen Rechtsbeiständen eingereichte Antrag auf vorläufige Freilassung wurde am 27. April vom Gericht abgelehnt. Rabah Kareche soll bis zu seinem Prozess in Haft bleiben – der Termin ist offen.

Dies ist nicht das erste Mal, dass Rabah Kareche wegen seiner journalistischen Arbeit ins Visier genommen wird. In den beiden Monaten vor seiner Festnahme schikanierten ihn die Sicherheitskräfte und versuchten, ihn einzuschüchtern. Nachdem er einen Artikel über die Situation von Migrant_innen aus subsaharischen Ländern in Algerien veröffentlicht hatte, wurde er mindestens dreimal vorgeladen und verhört. Rabah Kareche berichtete anschließend, dass ihn die Polizei unter Druck gesetzt habe, seine Quellen preiszugeben. Dies habe er abgelehnt.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Rabah Kareche arbeitet seit fast einem Jahrzehnt als Korrespondent bei der Zeitung Liberté in Tamanrasset. Seine Beiträge decken eine ganze Reihe unterschiedlicher Themen ab, darunter soziale Gerechtigkeit, Regierungsführung, Korruption und Migration. Seine Berichterstattung über Algeriens südlichste Region, die gleichzeitig Militärgebiet ist, lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Schwierigkeiten der dortigen Tuareg-Bevölkerung. Deren regelmäßig stattfindenden Proteste gegen ihre wirtschaftliche und soziale Ausgrenzung finden ansonsten kaum mediale Beachtung. Im Rahmen seiner journalistischen Arbeit zu diesem Thema hatte Rabah Kareche ein Interview mit einem Stammesführer aus dem Bezirk Tazrouk in der Provinz Tamanrasset geführt. Während des Gesprächs beschuldigte dieser die Behörden, einen Bericht über die historischen territorialen Grenzen der Provinz nicht berücksichtigt zu haben, als sie beschlossen, eine Neuaufteilung der Region vorzunehmen.

Die Festnahme von Rabah Kareche ist ein Beispiel für die erneute Einschränkung der Menschenrechte – insbesondere der Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung sowie der Medienfreiheit – durch die algerischen Behörden. Noch im Februar 2021 hatte Präsident Tebboune Dutzende Aktivist_innen begnadigt, die wegen ihrer friedlichen Beteiligung an der Protestbewegung Hirak monatelang in Haft waren. Unter den Freigelassenen war auch der Journalist Khaled Drareni, der fast ein Jahr inhaftiert war, nur weil er über die Hirak-Proteste berichtet hatte. Die Hirak-Bewegung fordert seit Februar 2019 eine radikale politische Veränderung in Algerien und kam im März 2020 durch die Corona-Pandemie vorübergehend zum Erliegen. Im Februar 2021 wurden die Proteste wieder aufgenommen, doch auch die Repressionsmaßnahmen der algerischen Behörden nehmen wieder zu. Diese nehmen Journalist_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen, Aktivist_innen und Demonstrierende willkürlich fest oder wenden andere Maßnahmen an, die deren Rechte auf friedliche Meinungsäußerung und Versammlung einschränken. Nach Angaben der örtlichen Menschenrechtsorganisation Nationales Komitee für die Befreiung von Gefangenen (CNLD) befinden sich in Algerien derzeit mindestens 63 Aktivist_innen in Haft, 48 von ihnen seit Februar 2021.

Die algerische Gesetzgebung ist geprägt von repressiven Bestimmungen, die die Verfolgung von Journalist_innen, Blogger_innen und Aktivist_innen ermöglichen. Diese Gesetze sind oft vage formuliert und übermäßig weit gefasst, sodass sie willkürlich gegen Kritiker_innen eingesetzt werden können. In einem am 22. Februar 2021 veröffentlichten Bericht stellte Amnesty International fest, dass die Gerichte mindestens 20 entsprechender Paragrafen anwenden. Zu den am häufigsten erhobenen Vorwürfen zählen folgende: "Gefährdung der nationalen Einheit", "Schädigung nationaler Interessen", "Demoralisierung der Armee", "Aufruf zu unbewaffneten Versammlungen", "Beleidigung von Amtsträgern", "Beleidigung des Präsidenten" und "Schädigung des Islam" (Paragrafen 79, 96, 74, 75, 100, 144, 144a, bzw. 144a1 im Strafgesetzbuch). Die Behörden nutzten die Corona-Pandemie als Vorwand, um neue Gesetze zu verabschieden, die die Rechte auf freie Meinungsäußerung – online und offline – und friedliche Versammlung weiter einschränken. So ergänzten sie das Strafgesetzbuch um den Paragrafen 196a, mit dem die Verbreitung von "Fake News" geahndet werden kann.

Als Vertragsstaat des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) ist Algerien verpflichtet, das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie die Medienfreiheit zu achten, zu schützen und zu fördern. Artikel 19 des IPbpR garantiert allen das Recht, "ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben."