Ägypten: Unmenschliche Bedingungen in willkürlicher Haft

Foto von Badr Mohamed, der an einem Gewässer in die Kamera lächelnd auf einer Bank sitzt und mit der rechten Hand nach Essen greift.

Badr Mohamed wurde im Januar 2023 in Ägypten in einem unfairen Verfahren zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Badr Mohamed wird seit mehr als vier Jahren willkürlich in Haft gehalten seit er im Zusammenhang mit den Protesten auf dem Ramsis-Platz am 16. August 2013 als 17-Jähriger festgenommen wurde. Im Januar 2023 wurde er nach einem grob unfairen Verfahren zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Er wird im Gefängnis Badr 1 unter grausamen und unmenschlichen Haftbedingungen bei extremer Hitze und ohne ausreichende Nahrung festgehalten. 

Appell an

President
Abdelfattah al-Sisi
Office of the President
Al Ittihadia Palace 
Kairo
ÄGYPTEN 

Sende eine Kopie an

Botschaft der Arabischen Republik Ägypten
S. E. Herrn Khaled Galal Abdelhamid
Stauffenbergstraße 6 – 7
10785 Berlin
Fax: 030-477 1049
E-Mail: embassy@egyptian-embassy.de

 

X-Nachrichten an den Präsidenten von Ägypten: @AlsisiOfficial

Amnesty fordert:

Sachlage

Der 28-jährige Badr Mohamed wurde im Januar 2023 nach einem grob unfairen Verfahren wegen Protestaktivitäten zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die gegen ihn erhobenen Anklagen bezogen sich auf eine Protestveranstaltung vom 16. August 2013, die von den Sicherheitskräften gewaltsam aufgelöst wurde. Badr Mohamed war damals 17 Jahre alt. Nachdem er zwischenzeitlich inhaftiert war, wurde er damals zunächst in Abwesenheit verurteilt, doch nach seiner erneuten Festnahme am 11. Mai 2020 wurde vor der Terrorismusabteilung des Kairoer Strafgerichts eine Neuverhandlung gegen ihn angestrengt. Der Prozess verstieß gegen mehrere Verfahrensrechte wie z. B. die Rechte auf angemessene Verteidigung, auf Gehör und Fairness vor Gericht, auf ein Verfahren vor einem zuständigen und unparteiischen Gericht, und auf das Befragen und Aufrufen von Zeug*innen. Während der gerichtlichen Anhörungen, die im Juni 2020 begannen, musste sich Badr Mohamed in einem Glaskasten aufhalten, von wo aus er dem Verfahren nicht vollständig folgen und sich nicht ausreichend Gehör verschaffen konnte. Vor und während der Gerichtsverhandlungen durfte er sich nicht privat mit seinem Rechtsbeistand besprechen. Sein vor dem Kassationsgericht eingelegtes Rechtsmittel ist noch anhängig.

Badr Mohamed wird im Badr-1-Gefängnis festgehalten, das für seine unmenschlichen Haftbedingungen bekannt ist. Er darf lediglich einmal im Monat kurze Familienbesuche erhalten, wodurch er kaum Zeit mit seiner dreijährigen Tochter Amina verbringen kann, die während seiner Haft auf die Welt kam. Darunter leidet er sehr und das führt zu einer erheblichen Beeinträchtigung seiner geistigen Gesundheit. Er wird in einer kleinen, überfüllten Zelle mit vier weiteren Personen festgehalten. In der Zelle gibt es keine Frischluft, und die Temperaturen erreichen im Sommer über 40˚C. Badr Mohamed darf seine Zelle nur drei bis vier Mal pro Woche für weniger als eine Stunde verlassen.

Er und andere Häftlinge berichten immer wieder, dass die Gefängnisbehörden sie nicht mit ausreichend Nahrung und Trinkwasser versorgen. Die Häftlinge sind gezwungen, auf eigene Kosten Lebensmittel in der Gefängniskantine zu kaufen. Die Gefangenen werden mit Kameras überwacht und sind rund um die Uhr greller Beleuchtung ausgesetzt. Eine derartige Behandlung kommt Folter und anderen Formen der Misshandlung gleich, was völkerrechtlich untersagt ist. Die Behörden verbieten häufig Bücher, Briefe, Papier und Stifte. Wenn sie zugelassen werden, dauert es Monate, bis Bücher und Briefe Badr Mohamed erreichen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Die gegen Badr Mohamed erhobenen Anklagen bezogen sich auf eine Protestveranstaltung vom 16. August 2013, als er 17 Jahre alt war. Amnesty International hat dokumentiert, dass die Sicherheitskräfte damals unverhältnismäßige Gewalt gegen Protestierende und Unbeteiligte einsetzten, was zum Tod von 97 Personen führte. Amnesty International vorliegenden Informationen zufolge hielt sich Badr Mohamed in der Nähe des Ramses-Platzes auf, als die Gewalt ausbrach, und rannte in die nahegelegene Al-Fath-Moschee, um dort Zuflucht zu suchen. Die Sicherheitskräfte durchsuchten daraufhin die Moschee, wo sich Dutzende Protestierende und Unbeteiligte aufhielten, von denen einige verletzt waren. Badr Mohamed und zahlreiche weitere Personen wurden festgenommen. Laut der von Amnesty International eingesehenen Verfahrensakte wurde Badr Mohamed als Verdächtiger im Fall 8615/2013 benannt und am 19. August 2013 ohne Rechtsbeistand vor der Staatsanwaltschaft von Al-Azbakeya verhört. 

Badr Mohamed wurde willkürlich und gemeinsam mit Erwachsenen im Gefängnis Wadi al-Natrun nördlich von Kairo inhaftiert und drei Monate später in eine Hafteinrichtung für Jugendliche verlegt, wo er bis November 2013 festgehalten und dann gegen Kaution freigelassen wurde. Das Völkerrecht und internationale Standards sehen vor, dass Minderjährige nur als letztes Mittel festgenommen, festgehalten oder inhaftiert werden sollten. Wenn es zum Freiheitsentzug kommt, muss dieser regelmäßig geprüft und so kurz wie möglich gehalten werden. Wo möglich, sollten Alternativen zum Freiheitsentzug angewendet werden. Laut Angaben seiner Familie litt Badr Mohamed nach seiner Freilassung an einer posttraumatischen Belastungsstörung und tauchte unter, um einer weiteren Festnahme zu entgehen. Am 18. August 2017 wurde er in Abwesenheit zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Anklagen lauteten u. a. auf Mord an Polizist*innen, versuchten Mord, "Zerstörung von Staatseigentum", "Protestieren ohne Genehmigung", "Angriff auf Sicherheitskräfte" und "Behinderung der Arbeit nationaler Institutionen". Er wurde gemeinsam mit 493 weiteren Angeklagten in einem grob unfairen Massenverfahren vor Gericht gestellt, in dem 43 Personen zu lebenslanger Haft verurteilt wurden und 399 Menschen (darunter acht Minderjährige) Freiheitsstrafen zwischen fünf und 15 Jahren erhielten. Das von Amnesty International eingesehene Urteil berief sich stark auf Untersuchungen und Augenzeugenberichte durch Sicherheitskräfte und andere Staatsbedienstete.

Ägyptische Sicherheitskräfte nahmen Badr Mohamed am 11. Mai 2020 vor den Augen seiner österreichischen Frau während eines Ramadan-Fastenbrechens (Iftar) fest. Er wurde im Juli 2020 zur Neuverhandlung vor eine Terrorismusabteilung des Kairoer Strafgerichts geladen. Nach Angaben der Rechtsbeistände wurden jeden Monat weitere Angeklagte festgenommen bzw. weitere Personen dem Fall hinzugefügt, was die Gerichtsverfahren erheblich verzögerte. Mitte 2022 lehnte der vorsitzende Richter die Anträge der Rechtsbeistände ab, Zeug*innen zu benennen oder Beweise erneut zu prüfen. Das Neuverfahren fand zunächst in einem Gerichtssaal im Tora-Gefängniskomplex und dann in einem Gerichtssaal im Badr-Gefängniskomplex statt. Am 12. Januar 2023 wurde Badr Mohamed unter anderem wegen "Teilnahme an einer illegalen Versammlung", "Gewaltanwendung in Verbindung mit vorsätzlichem Mord", "versuchtem Mord", "Zerstörung von öffentlichem Eigentum", "versuchtem Einsatz von Sprengstoff und Besitz von Schusswaffen und Messern" zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Ähnlich wie bei dem ursprünglichen Urteil vom August 2017 stützte sich der vorsitzende Richter bei der Wiederaufnahme des Verfahrens auf geheime Berichte der Sicherheitskräfte, zu denen die Angeklagten und ihre Rechtsbeistände keinen Zugang haben, sowie auf Zeugenaussagen von Polizist*innen und anderen Sicherheits- oder Regierungsbeamt*innen. Die Rechtsbeistände gaben zu bedenken, dass keine Beweise für die angebliche Teilnahme Badr Mohameds an Protesten oder Gewalttaten vorgelegt wurden. Amnesty International erfuhr von Badr Mohameds Rechtsbeiständen, dass das Gericht die Aussagen von Zeug*innen der Verteidigung, er habe nicht an den Protesten teilgenommen, nicht zuließ.

Amnesty International hat von Menschenrechtsorganisationen und anderen informierten Quellen erfahren, dass sich mindestens Dutzende von Gefangenen im Gefängnis Badr 1 seit Anfang Juni 2024 im Hungerstreik befinden, um gegen ihre grausamen und unmenschlichen Haftbedingungen zu protestieren. Ausgelöst wurde der Hungerstreik offenbar durch den starken Anstieg der Temperaturen auf über 40 °C, die Weigerung der Gefängnisbehörden, den Gefangenen Ventilatoren zur Verfügung zu stellen, und die von der Regierung als Reaktion auf die Energiekrise landesweit eingeführten täglichen Stromabschaltungen. Die Häftlinge protestieren auch gegen den fehlenden Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung und gegen die von ihnen und ägyptischen Menschenrechtsaktivist*innen als erniedrigend empfundenen Leibesvisitationen, die von den Gefängnisbeamt*innen durchgeführt werden, wenn die Häftlinge ihre Zellen verlassen, um beispielsweise an einer Sitzung zur Verlängerung der Untersuchungshaft teilzunehmen oder die Gefängnisklinik aufzusuchen. Weitere häufig genannte Beschwerden betreffen die Misshandlung von Familienangehörigen bei Gefängnisbesuchen, einschließlich der Tatsache, dass sie gezwungen werden, stundenlang in der Sonne zu warten, die Kürzung der Zeit für Aktivitäten, die den Gefangenen außerhalb der Zelle zugestanden wird, sowie die Einschränkung von Familienbesuchen. Einige der Hungerstreikenden protestieren auch gegen ihre lange Untersuchungshaft, die in manchen Fällen die nach ägyptischem Recht zulässige Höchstdauer von zwei Jahren überschritten hat. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen haben die Verantwortlichen des Gefängnisses Badr 1 als Reaktion auf den Hungerstreik zusätzliche Strafmaßnahmen ergriffen und etwa 50 Gefangene in weiter entfernte Gefängnisse im Gouvernement al-Minya (etwa 280 km südlich von Kairo) und im Gouvernement al-Wadi al-Jadid (etwa 620 km südwestlich von Kairo) verlegt. Aktivist*innen zufolge verhängten die Gefängnisbehörden Strafmaßnahmen gegen die verbleibenden Gefangenen im Gefängnis Badr 1, die an dem Hungerstreik beteiligt waren oder ihn unterstützten, und schnitten ihnen absichtlich den Zugang zu Strom und Wasser ab, was einen Verstoß gegen das absolute Verbot von Folter und anderen Misshandlungen darstellt.