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Die Raucherin
Weil sie als Feministin in Algerien in Todesgefahr schwebte, war die Schauspielerin, Choreographin und Theaterautorin Rayhana nach Frankreich geflüchtet. Auf ihre Meinungsfreiheit will sie nicht verzichten, auch nicht nach einem gegen sie gerichteten Brandanschlag in Paris.
Von Rudolf Balmer
Rayhana ist ein rothaariges Energiebündel voller Witz und Ideen. Doch wenn sie erzählt, was ihr Anfang des Jahres in Paris passierte, wird sie ernst. Ihre Stimme bebt vor Wut, als sei es erst gestern geschehen: Zwei ihr unbekannte Männer stürzten sich am 12. Januar auf sie und übergossen sie mit Benzin. Dann warf einer der beiden eine glühende Zigarette auf sie. Zum Glück fing sie nicht Feuer, sonst wäre Rayhana an jenem Tag wohl bei lebendigem Leib verbrannt, wie eine "Hexe" oder eine "Ketzerin" des Mittelalters.
In genau solchen Kategorien scheinen die Angreifer zu denken, die Rayhana als "ungläubige Hure" beschimpften. Ihren barbarischen Überfall verübten sie mitten in Paris, gegenüber dem genossenschaftlichen "Haus der Metallarbeiter" im elften Stadtbezirk. Dort wurde seit Dezember Rayhanas Theaterstück "A mon age je me cache encore pour fumer" – auf Deutsch: "In meinem Alter verstecke ich mich noch, wenn ich rauche" – aufgeführt, das zum Teil autobiografisch ist. Der Zusammenhang zwischen Anschlag und Schauspiel ist unübersehbar. Einige Tage zuvor war Rayhana bereits von Unbekannten auf der Straße als Gotteslästerin beschimpft worden.
Ihr Stück spielt in einem algerischen Hamam. In dem Bad diskutieren, tratschen, schimpfen oder klagen acht sehr verschiedene Frauen mit einer Ungezwungenheit, die ihnen nur dieser exklusiv weibliche Rahmen geben kann. Es geht um die Männer, um geliebte oder gehasste Gatten, Verlobte, Väter und Brüder, auch um Gewalt und um patriarchalische Traditionen und religiöse Fanatiker, die ihr frauenfeindliches Gesetz mit Gewalt durchsetzen wollen.
Die Dialoge zwischen den archetypischen Figuren (die Hamam-Masseurin, eine Islamistin, eine Atheistin, eine Kupplerin, eine Studentin, eine heimgekehrte Emigrantin, eine Mutter auf der Suche nach einer Braut für ihren Sohn, eine unverheiratete Schwangere) sind oft sehr witzig, doch die vermeintliche Komödie endet tragisch: Der Bruder der jungen Unverheirateten, die ein Kind erwartet und damit angeblich die "Familienehre" verletzt, kommt, um seine Schwester zu erschießen, doch er trifft aus Versehen eine andere.
Dieses Stück über den Ehrenmord ist das erste, das die 45-jährige Algerierin auf Französisch geschrieben hat. Sie erklärt, dass in ihrem Land allein schon wegen einer Zigarette eine Frau, und erst recht ein unverheiratetes Mädchen, als "Nutte" betrachtet und verachtet wird. Sie selbst sei als Jugendliche deswegen zu Hause hart bestraft worden, sagt sie – und inhaliert schweigend, aber mit rebellisch funkelnden Augen demonstrativ den Tabakrauch in ihre Lungen.
Rayhana trinkt zwischendurch einen Schluck Whisky. Ostentativ, als wolle sie ihren anonymen Widersachern den Fehdehandschuh vor die Füße werfen. Rayhana bezeichnet sich als "Atheistin aus dem muslimischen Kulturkreis". Sie habe gerade darum den Koran studiert, um mit jenen zu diskutieren, die hinter ihrem frommen Gehabe letztlich nur pure Ignoranz verbergen würden oder indoktriniert worden seien. "Oft heißt es, ein guter Muslim tut dies oder das nicht. Und auf die Frage, wer denn das sage, kommt die Antwort, das stehe doch im Koran. Doch kaum jemand macht sich die Mühe, das auch nur zu überprüfen."
Über ihre eigene Kindheit mag sie nicht sprechen. Sie sagt nur, ihr einst so strenger Vater sei nach Paris gekommen, um sich das Theaterstück anzuschauen. Wie ihr in Deutschland lebender Bruder sei auch er jetzt stolz auf sie. Aus Angst vor Repressalien gegen ihre Angehörigen bleibt sie wortkarg. Man erfährt nur, dass sie aus einer Arbeiterfamilie stammt und vor ungefähr 45 Jahren im Quartier Bab-el-Oueb von Algier geboren wurde. Rayhana ist ein Pseudonym, in ihrem Land war sie als Schauspielerin bekannt und wurde mit mehreren Preisen für ihre Bühnenrollen ausgezeichnet, bevor sie dann auch als Dramaturgin und Autorin arbeitete – bis sie Mitte der Neunzigerjahre um ihr Leben fürchten musste.
Zwei der prominentesten Persönlichkeiten der algerischen Theaterszene, Abdelkader Alloula und Azzedin Medjoubi, wurden damals von islamistischen Terroristen ermordet, der zweite buchstäblich vor ihren Augen. Später fiel auch der Regisseur Ali Tenkhi, mit dem sie für den Kinofilm "Le papillon ne volera plus" zusammengearbeitet hatte, einem Anschlag der "Bärtigen", wie Rayhana die Extremisten der islamistischen "Heilsfront" nennt, zum Opfer. Damals habe sie jede Nacht in einer anderen Wohnung verbringen müssen. An ein Auftreten in der Öffentlichkeit war nicht zu denken. Nur dank der Poesie des Dichters Kateb Yacine habe sie es moralisch überlebt, von Leuten aus dem eigenen Volk angespuckt zu werden, und die Flucht nach Frankreich, das Exil, durchgestanden.
Rayhana ließ sich weder davon noch von der Aggression in Paris einschüchtern. Noch nach Benzin riechend ging sie am Abend des Attentats wieder auf die Bühne, um ihre Rolle als eine der neun Frauen zu spielen. Den unbekannten Tätern ließ Rayhana in ihrer Pressekonferenz ausrichten, sie habe keine Angst vor ihnen. Sie hat Strafanzeige erstattet. Da die Polizei islamistische Fanatiker als Urheber verdächtigt, wurde die Antiterrorabteilung mit der Aufklärung beauftragt. Diese hat angeblich bisher noch keine heiße Spur, nur vage Mutmaßungen. Gegenüber des Tatorts befindet sich eine Moschee, die auch von Fundamentalisten besucht wird.
Die französische Regierung hat sich mit dem Opfer solidarisiert. Rayhana lehnte aber Einladungen von Regierungsmitgliedern dankend ab. Ein Treffen unter Frauen mit der Familienministerin Nadine Morano hätte sie sich indes vorstellen können.
Der feige Anschlag auf Rayhana ist über Frankreich hinaus bekannt geworden, weil das Opfer im Rampenlicht steht. Er verdeutlicht aber auch, dass der Hass auf den todesmutigen Kampf algerischer Frauen für ihre elementarsten Rechte das Mittelmeer überquert hat. Aus diesem Grund hat Rayhana auch wenig Sympathie für falsch verstandene Toleranz gegenüber religiös begründeten Praktiken und Provokationen auf Kosten der Emanzipation der Frau.
Sie hält aber viel von einem pädagogischen und, wenn möglich, humorvollen Vorgehen. Als nächstes möchte sie in Frankreich ein Buch über die Weiblichkeit in der islamischen Welt publizieren. Denn ihrer Meinung nach haben nicht nur die Islamisten vieles falsch verstanden oder ganz einfach vergessen, weil es nicht in ihre reaktionäre Ideologie passt, auch in Europa seien eben viele Aspekte, nicht zuletzt die weibliche Erotik des Morgenlands, weitgehend unbekannt.
Rayhana hat nicht die geringste Lust, zur Märtyrerin zu werden. Sie hat aber zu viele Opfer gebracht und zu viel Unrecht erlebt, um aufzugeben. Darum will sie ihren kulturellen und politischen Kampf für die Freiheit und die Rechte der Frauen
in Algerien und in Frankreich weiterführen. Die Frage, ob sie in Paris jetzt unter Polizeischutz lebe, verneint sie. Aber sie müsse aufpassen, sagt sie. Aus Angst, von Islamisten erkannt zu werden, nehme sie nur das Taxi und nie die Metro. Nach dem Anschlag tauchte sie bei einem Freund in einer unauffälligen Reihenhauswohnung unter. Aufgrund ihrer Vorsichtsmaßnahmen könnte man fast meinen, sie werde von der Polizei gesucht und nicht von ihren Angreifern.
Der Autor lebt als freier Korrespondent in Paris.