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Doppelt gewonnen

Glückliche Gewinner: Peter Scarlett, Co-Produzent von "Son of Babylon" und Regisseurin Lucy Walker ("Waste Land")
© Amnesty International / Michael Danner
Die Amnesty-Filmpreis-Jury vergab das erste Mal zwei Preise auf der Berlinale. Ausgezeichnet wurden der Spielfilm "Son of Babylon" und der Dokumentarfilm "Waste Land".
Von Jürgen Kiontke
Film ist eine universelle Sprache. Was keine Bilder hat, bleibt oft ohne Öffentlichkeit. Filme aus dem Irak und von einer brasilianischen Müllkippe, die gibt es nicht oft. Aber wenn es sie gibt, haben sie etwas zu sagen.
Film, das ist aber auch ein sehr individueller Ausdruck, bei dem Vergleiche schwierig sind, zumal wenn es sich um verschiedene Genres handelt. Spiel- und Dokumentarfilme waren für die Amnesty-Filmpreis-Jury – Schauspielerin und Sängerin Barbara Sukowa, Regisseur Pagonis Pagonakis und Chloe Baird-Murray, Creative Relationship Manager bei der britischen Amnesty-Sektion – unvergleichbar bei der Sichtung der zwanzig nominierten Filme. Also wurden kurzerhand zwei Preise vergeben: Prämiert wurde der Spielfilm "Son of Babylon" und die Dokumentation "Waste Land".
"Son of Babylon" produzierte Regisseur Mohamed Al-Daradji selbst, denn das Budget war klein. Dieser Umstand hatte praktische Folgen: Es wurde an Originalschauplätzen mit Laien gedreht. Und das war eine gute Entscheidung: Shehzad Hussen spielt die Großmutter Um-Ibrahim, die mit ihrem Enkel Achmed (Yassir Taleeb) unterwegs ist. Gemeinsam irren die beiden durch eine karge Landschaft, den Nordirak. Sie sind in besonderer Mission unterwegs: Um-Ibrahim sucht ihren Sohn, den Vater des Jungen.
Zum Ende des ersten Golfkriegs, zwölf Jahre zuvor, wurde er von Saddam Husseins Republikanischen Garden gefangen genommen und ist seither verschollen.
Die Familie gehört zu den Kurden, die im nördlichen Teil des Landes leben und die von Saddam Husseins Truppen nach ihrem Aufstand verfolgt wurden. Wo kann er nur sein, der Vater, der Sohn? Um-Ibrahim wäre schon zufrieden, wenn sie wenigstens ein Zeichen, ein Grab finden würde.
Der Irak drei Wochen nach Beendigung des Krieges im Jahre 2003: Den Menschen, denen die beiden auf ihrer Reise begegnen, geht es schlecht, dennoch sind sie hilfsbereit. Der eine nimmt sie mit dem Auto in die Stadt, bis es nicht mehr fährt. Und die gesamte Passagierschar eines Linienbusses sorgt dafür, dass die beiden nicht getrennt werden. Manch einer nimmt die Situation mit Humor: "Spiel mal was von Michael Jackson", ruft ihnen ein Fahrer zu, als er Ahmed mit der Flöte seines Vaters sieht.
Ein junger Mann schließt sich ihrer Suche an, dessen Gewissen rumort. Er erzählt, dass Saddams Republikanische Garden ihn in den Dienst gezwungen hätten. Und so sei er für den Tod vieler Menschen verantwortlich, da man ihn zu Strafaktionen gegen Kurden abkommandiert habe.
Zum Hassen ist in "Son of Babylon" aber keiner unterwegs, der alte Feind wird zum Gefährten. Ihr gemeinsamer Weg führt sie von Friedhöfen zu einem Krankenhaus und zu Gefängnisruinen. Täglich erhalten die beiden Nachrichten von neuen Massengrabstätten. Könnte der Sohn unter den Toten sein?
Mit großer Eindringlichkeit spielen die Akteure vor dem leergefegten Land. Und sie wissen, wovon sie reden: Die Darstellerin der Großmutter, die Kurdin Shehzad Hussen, war die einzige Zeugin, die im Prozess gegen Saddam Hussein aussagte. Um-Ibrahims Schicksal ist auch das ihre.
Trotz der tragischen Umstände aber ist der Film mit Leichtigkeit erzählt, weckt Mitgefühl und die Hoffnung auf Versöhnung. Und so ist die wichtigste Szene jene, in der eine arabische Witwe auf dem Friedhof gemeinsam mit der kurdischen Großmutter trauert. Ein einfühlsames Roadmovie sei "Son of Babylon", urteilte die Amnesty-Filmpreis-Jury in ihrer Begründung, "das mit bewegenden Bildern und Situationen die Suche nach Heilung in einem durch Krieg und Schreckensherrschaft zerstörten Land" zeige, wie Barbara Sukowa in ihrer Laudatio sagte. Denn das ist die Botschaft von "Son of Babylon" – die die Großmutter an den Enkel richtet und damit ans Publikum: "Wenn die Menschen dich verletzen, lerne, ihnen zu vergeben."
Der Dokumentarfilm "Waste Land" von Lucy Walker ist ein Film über die menschliche Würde. Der Künstler Vik Muniz, in São Paulo geboren und in Rio de Janeiro heimisch geworden, ist der Star der New Yorker Szene. Zu Beginn des Films sagt er: "Ich möchte den Leuten meiner Heimatstadt etwas zurückgeben."
Dafür zieht er auf Rios größte Müllkippe, den Jardim Gramacho, wo Lucy Walker unter anderem seine Arbeit mit der Kamera verfolgt. Hier arbeiten Menschen, denen für das, was sie täglich bewegen und in dem sie knietief stehen, das Wort "Müll" gar nicht in den Sinn kommt: Sie sortieren die Reste der brasilianischen Gesellschaft, von recyclebarem Material ist die Rede. Blech, Plastik, Metall – das sind die Rohstoffe, die sie sammeln und zum Händler bringen.
Sie sind arm, aber nicht auf den Mund gefallen. Ihre Philosophie gewinnen sie aus dem Alltäglichen. "99 sind nicht 100", sagt Valter, der zweite Vorsitzende der Müllwerkergewerkschaft, die die Arbeiter gerade gegründet haben. Der Satz bedeutet: Schau genau hin. Achte auf Zwischenstufen. Nichts ist nur schwarz oder weiß.
Man nennt diese Leute "catadores", Pflücker, und ihnen widmet Muniz seine Kunst: Er macht Porträtfotografien, die er aus großer Höhe auf den Boden einer leeren Fabrikhalle projiziert. Ihre Bilder legen die Sammler dann mit Recycling-Stoffen aus. Muniz fotografiert auch dies, und zieht die Bilder groß ab. Sie werden in Rio de Janeiro ausgestellt, und über eine Million Menschen kommen, um sie sich anzusehen. In London werden die Kunstwerke versteigert. 20, 30, 40.000 Dollar bringen sie ein. Das Geld kommt der Organisation der Müllwerker zugute.
Lucy Walker zeigt die Menschen nicht nur an ihrem Arbeitsplatz, sie fährt auch mit ihnen nach Hause, wo sie in ärmlichen Hütten wohnen. Bis dorthin sind sie lange in Vorortzügen unterwegs. Und haben Zeit, sich die Dinge genauer anzusehen, die sie auf der Halde finden, die selbst auch eine Klassengesellschaft repräsentiert: hier Unterklasse-, da Mittel-, dort Oberklassegerümpel: "Wir finden hier viele Bücher", sagt der Sammler und Literaturkenner Tiaõ. Und lässt sich als toter Marat, dem berühmten Bild von David nachempfunden, in einer weggeworfenen Badewanne ablichten.
Dass der Film etwas von der "Größe, Würde und emotionalen Intelligenz" der Menschen transportiere, dies sei sein größter Verdienst, sagte Laudatorin Sukowa. Sollte irgendjemand den Menschen am Rande der Gesellschaft mit Vorurteilen begegnen, so "stellt sie dieser Film in Frage".
Lucy Walker ist ein Film gelungen, darüber, wie man in schwierigsten Situationen die Haltung bewahrt.
"Son of Babylon". IRQ, GB, F, NL, PAL, UAE, ET 2009. Regie: Mohamed
Al-Daradji, Darsteller: Yassir Taleeb, Shehzad Hussen, Bashir Al-Majid
"Waste Land". GB, BR 2010. Regie: Lucy Walker