DEINE SPENDE KANN LEBEN RETTEN!
Mit Amnesty kannst du dort helfen, wo es am dringendsten nötig ist.
DEINE SPENDE WIRKT!
Positionspapier: Menschenrechtsrisiken und Menschenrechtsstandards bei Migrationskooperationen der EU mit afrikanischen Staaten
Seit einigen Jahren zielt die Migrationspolitik der EU und ihrer Mitgliedstaaten verstärkt darauf ab, die Migrationskontrolle vor die EU-Grenzen auszulagern, um die Migration in den EU-Raum stärker regulieren und kontrollieren zu können. In diesem Zusammenhang wird häufig von einer Externalisierung von Migrationskontrolle gesprochen. Die Auslagerung der Migrationskontrolle in afrikanische Staaten soll durch multilaterale oder bilaterale Abkommen der EU und ihrer Mitgliedstaaten mit afrikanischen Ländern ermöglicht werden.
Das Spektrum von Migrationskooperationen umfasst alle zwischenstaatlichen Kooperationen im Bereich Migration und ist dementsprechend breit. Migrationskooperationen können Grenzschutzmaßnahmen, Ausbau von nationalen Asylsystemen, Rückübernahmeabkommen, humanitäre Hilfe bei der Flüchtlingsversorgung oder auch legale Zugangswege in die EU regeln. In der Regel umfassen Migrationskooperationen auch entwicklungspolitische Ansätze zur Reduzierung der Ursachen von Flucht und Migration. In der Praxis setzen sich Migrationskooperationen aus finanzieller Unterstützung, technischer Beratung (insbesondere Ausbildungsprogramme) und der Bereitstellung von Ausrüstung zusammen.
Amnesty International spricht sich nicht grundsätzlich gegen Migrationskooperationen aus. Amnesty International bestreitet nicht, dass Staaten ein Interesse daran haben können, die Einreise und den Aufenthalt von Personen zu regeln und Migration in ihre Gebiete zu kontrollieren. Wenn Maßnahmen im Rahmen von Migrationskooperationen jedoch das Recht auf Freizügigkeit einschränken, d.h. das Recht, jedes Land, einschließlich des eigenen, zu verlassen, und das Recht auf Schutz missachtet wird, lehnt Amnesty International diese Maßnahmen ab.
Darüber hinaus bergen einige der Kooperationen, die in den vergangenen Jahren von der EU mit afrikanischen Staaten geschlossen wurden, erhebliche Menschenrechtsrisiken, auf die Amnesty International aufmerksam macht. Die Partnerländer müssen sicherstellen, dass Migrationskooperationen nicht zur Verschlechterung der Menschenrechtssituation in einem Land oder von einer Gruppe führen. Bei allen Migrationskooperationen müssen geltende Menschenrechtsstandards eingehalten werden. Mit Sorge beobachtet Amnesty International zugleich, dass sich der Fokus von Migrationskooperationen zunehmend einseitig auf die Verhinderung von Migration nach Europa richtet und die Schaffung legaler Zugangswege oder der Schutz von Flüchtlingen in den Hintergrund treten. Diese Verschiebung des Fokus trifft sowohl Migrant_innen als auch Flüchtlinge und andere schutzbedürftige Personen.
Die Einhaltung von Menschenrechtsstandards in Migrationskooperationen
Amnesty International fordert die Festschreibung und Gewährleistung von Menschenrechtsstandards in allen Migrationskooperationen, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern.
Bei Migrationskooperationen drohen Menschenrechtsverletzungen insbesondere bei folgenden grundlegenden Menschenrechtsstandards:
1. Recht, Asyl zu suchen: Nach Art. 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) hat jeder Mensch das Recht, Asyl zu suchen. Dies wird verletzt, wenn es in einem Staat keine Möglichkeit gibt, Asyl zu beantragen und Schutzbedürftigen gleichzeitig die Ausreise in ein Land verwehrt wird, in dem Asyl beantragt werden kann. Wenn Migrationskooperationen dazu beitragen, Schutzbedürftige davon abzuhalten, ein Land zu erreichen, in dem sie Schutz beantragen können, so sind sie menschenrechtswidrig. Dies droht z.B. bei der Kooperation der EU mit Libyen, da Libyen bislang weder die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) unterzeichnet hat, noch über ein Asylsystem verfügt. Eine Kooperation der EU, die dazu führt, dass Flüchtlinge und Migrant_innen in Libyen verbleiben, verletzt dementsprechend das Recht der Menschen, Asyl zu suchen.
2. Non-Refoulement-Gebot: Nach Art. 33 der GFK und Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) darf kein Mensch in ein Land abgeschoben werden, in dem ihm politische Verfolgung oder Gefahr für Leib und Leben droht. Migrationskooperationen, die dazu führen, dass Menschen direkt an der Grenze ohne Einzelfallprüfung zurückgewiesen und in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden (sog. push-backs), verstoßen gegen das Non-Refoulement-Gebot. Ein Beispiel ist die Kooperation von Spanien mit Marokko, die vorsieht, Flüchtlinge und Migrant_innen, die aus Marokko nach Spanien migrieren wollen, pauschal, d.h. ohne Einzelfallprüfung, nach Marokko rückzuführen. Auch sudanesische Sicherheitskräfte und Behörden verstoßen gegen das Prinzip des Non-Refoulement, indem sie immer wieder größere Gruppen von äthiopischen und eritreischen Staatsangehörigen in deren Heimatländer abschieben, ohne eine Einzelfallprüfung vorzunehmen oder ihnen Zugang zu Asylverfahren zu gewähren. Im Mai 2018 wurden 145 sudanesische Flüchtlinge in Agadez, Niger, von Sicherheitskräften festgenommen und nach Libyen deportiert, wo ihnen Folter droht.
3. Recht auf Freiheit: Nach Art. 9 und Art. 12 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) darf kein Mensch willkürlich, automatisch oder unbefristet inhaftiert werden. Migrationskooperationen, die dazu führen, dass Menschen aufgrund eines mutmaßlichen irregulären Aufenthaltes ohne Prüfung eines Haftgrundes oder unbefristet inhaftiert werden, sind menschenrechtswidrig. Sicherheitskräfte des Sudan nehmen beispielsweise mit Verweis auf Kooperationen mit der EU immer wieder Flüchtlinge und Migrant_innen an der Grenze zu Libyen oder zu Eritrea fest und inhaftieren sie ohne Gerichtsverfahren auf unbestimmte Zeit. Darüber hinaus ist die Kooperation mit der libyschen Küstenwache menschenrechtlich äußerst bedenklich. Die von ihr abgefangenen Personen werden regelmäßig in Hafteinrichtungen gebracht, in denen sie schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind.
4. Anspruch auf Rechtsschutz und ein faires Verfahren: Nach Art. 2 des IPbpR hat jeder Mensch das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren. Die Gewährleistung dieses Rechts ist vor allem bei der Kooperation mit Ländern mit einem mangelhaften und/oder politisch nicht unabhängigen Rechtssystem problematisch, wie etwa Libyen, dem Sudan, Mauretanien oder dem Tschad. So wurde Anfang 2017 beispielsweise in Khartum eine Gruppe äthiopischer Protestierender von sudanesischen Sicherheitskräften verhaftet, teilweise gefoltert und am Folgetag pauschal zu Geldstrafen verurteilt. Einige von ihnen wurden ohne Gerichtsverfahren nach Äthiopien abgeschoben.
5. Verbot von Folter: Nach Art. 2 der UN-Antifolterkonvention darf kein Mensch gefoltert werden. Dieses Recht wird verletzt, wenn im Rahmen von Migrationskooperationen mit Sicherheitskräften zusammengearbeitet wird, die Folter anwenden. Dies ist u.a. von Sicherheitskräften im Sudan (besonders den Rapid Support Forces, die sich schwerer Menschenrechtsverletzungen im Darfur-Konflikt schuldig gemacht haben), in Libyen oder in Mauretanien bekannt. In Mauretanien kam es in einer mithilfe von EU-Mitteln finanzierten Hafteinrichtung zu Misshandlungen der inhaftierten Migrant_innen durch die Polizei. Die Haftbedingungen waren sehr hart, überdies gab es keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung. In Untersuchungshaft kommt es immer wieder zu Folter, um Geständnisse zu erzwingen. Wiederholt sind Demonstrierende Gewalt durch Sicherheitskräfte und Massenverhaftungen ausgesetzt. Menschenrechtsverteidiger_innen werden von den Behörden öffentlich als "Verräter_innen" bezeichnet, willkürlich inhaftiert und in Haft teilweise gefoltert.
6. Verbot der Todesstrafe: Gemäß dem Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe darf niemand zum Tode verurteilt oder hingerichtet werden. Migrationskooperationen, die zur Todesstrafe für Menschenhändler_innen und Schleuser_innen führen, sind demnach menschenrechtswidrig. Dieser Menschenrechtsstandard wurde vom Sudan mit Verweis auf Kooperationen mit der EU bereits verletzt.
Menschenrechtsrisiken bei Migrationskooperationen mit Afrikanischen Staaten
Migrationskooperationen zwischen der EU bzw. ihren Mitgliedstaaten und afrikanischen Staaten gibt es bereits seit Anfang der 2000er Jahre, sie sind jedoch in den letzten Jahren deutlich häufiger initiiert oder ausgebaut worden. Seit 2015 wurden die EU-Afrika-Beziehungen auf verschiedenen Ebenen der Zusammenarbeit auf die Reduzierung der Migration nach Europa ausgerichtet. Dies betrifft u.a. die Entwicklungszusammenarbeit und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Inzwischen hat die EU mit fast allen Ländern Nord-, West- und Ostafrikas Migrationskooperationen aufgenommen, von denen Amnesty International einige als menschenrechtlich problematisch einstuft.
Für die Zusammenarbeit im Bereich Migration zwischen der EU und Afrika sind vor allem zwei Prozesse maßgeblich: Der Khartum-Prozess für Ostafrika und der Rabat-Prozess für Westafrika. Der Bundesregierung kommt eine tragende Rolle zu, da sie im Steuerungskomitee des Khartum-Prozesses vertreten ist und Deutschland einer der größten Geldgeber des EU Emergency Trust Fund for Africa (EUTF) ist, durch den ein Großteil der Projekte beider Prozesse finanziert wird.
Eine häufige Form der Migrationskooperation der EU mit afrikanischen Staaten betrifft Kooperationen mit staatlichen Sicherheitskräften. Um irreguläre Migration und Menschenhandel zu verhindern und somit Migration in die EU bereits in Afrika zu kontrollieren, unterstützt die EU in vielen afrikanischen Ländern wie Tschad, Niger, Ägypten, Tunesien oder Libyen die nationalen Sicherheitskräfte beim Grenzschutz. Dies kann in Form von Ausbildung, Ausrüstung oder finanzieller Unterstützung erfolgen. Menschenrechtlich problematisch ist eine solche Kooperation, wenn der verstärkte Grenzschutz und die Migrationskontrolle einer Grenzschließung gleichkommen, die Menschen daran hindert, in einem Land Asyl zu suchen oder wenn die Kooperation zu pauschalen Festnahmen von Flüchtlingen und Migrant_innen führt, ohne dass deren Einzelfall geprüft wurde.
Aufgrund der "gemischten Wanderungsbewegungen" treffen Maßnahmen zur Kontrolle von Migration dann unweigerlich auch Schutzsuchende und Flüchtlinge nach der GFK. So gaben beispielsweise sudanesische Sicherheitskräfte mit Verweis auf die Kooperation mit der EU an, im Jahr 2017 1.500 Menschen festgenommen zu haben, die über Libyen nach Europa gelangen wollten. Unter den Festgenommenen waren vor allem Personen aus Eritrea, Äthiopien, Syrien, Somalia und dem Sudan selbst, die aufgrund der gravierenden Menschenrechtsverletzungen und politischen Verfolgung in ihren Herkunftsländern hohe Anerkennungsquoten in europäischen Asylverfahren haben. Damit verstoßen die Sicherheitskräfte gegen das Recht auf Freiheit, das Recht, Asyl zu suchen und das Recht auf ein faires Verfahren.
Noch weitreichendere Folgen hat es, wenn Flüchtlinge und Migrant_innen aufgrund von Migrationskooperationen an der Ausreise aus Transitländern gehindert oder dort sogar inhaftiert werden und dadurch etwaigen bewaffneten Konflikten in den betreffenden Regionen schutzlos ausgesetzt sind. So wurden bei einem Luftangriff auf das Tajoura-Aufnahmezentrum in der libyschen Hauptstadt Tripolis am frühen Morgen des 3. Juli 2019 53 Menschen getötet und mindestens 130 verletzt, die meisten von ihnen Flüchtlinge und Migrant_innen.
Eine weitere Folge der Grenzschutzmaßnahmen, welche im Rahmen von Migrationskooperationen erfolgen, ist eine Verengung von Flucht- und Migrationsrouten im Sinne eines Ausweichens auf andere Länder oder eines Umgehens von kontrollierten Routen oder Posten. Dies ist beispielsweise in Niger zu beobachten, wo Flüchtlinge und Migrant_innen gefährlichere Fluchtrouten wählen, die zusätzliche Risiken für Leib und Leben mit sich bringen. Laut UNHCR kommen inzwischen auf jede Person, die auf der Flucht im Mittelmeer ertrinkt, zwei Menschen, die auf dem Weg durch die Sahara ums Leben kommen.
Eine Zusammenarbeit mit Sicherheitskräften ist vor allem dann kritisch, wenn bekannt ist, dass diese Menschenrechte verletzen. Dann besteht das Risiko, dass mit der über die Kooperation ermöglichten Ausbildung und Ausrüstung von Sicherheitskräften weitere Menschenrechtsverletzungen begangen werden und die EU sich daran mitschuldig macht. So hat Amnesty International immer wieder Menschenrechtsverletzungen wie Misshandlungen, Folter und willkürliche Festnahmen von Flüchtlingen und Migrant_innen durch die libysche Küstenwache dokumentiert, der die EU für den Grenzschutz Ausbildung und Ausrüstung zur Verfügung stellt. Damit werden unter Mitverantwortung der EU mehrere Menschenrechtsstandards verletzt.
Im Sudan sind die Rapid Support Forces (RSF), denen schwere Menschenrechtsverletzungen im Darfur-Konflikt zur Last gelegt werden, am Grenzschutz beteiligt. Erst im Juni 2019 verübten Angehörige der RSF ein Massaker an Demonstrierenden in Khartum, bei dem mindestens hundert Menschen getötet und hunderte weitere Menschen verletzt wurden. Auch wenn die Bundesregierung diese Gruppe ausdrücklich von der Zusammenarbeit ausschließt, ist es bei der intransparenten Sicherheitsarchitektur des Sudan schwer zu kontrollieren, ob bereitgestellte Ausrüstung oder Gelder nicht doch den RSF zukommen.
In den vergangenen Jahren erfolgte durch die EU eine Mandatserweiterung von EU-Missionen. Diese wurden ursprünglich zur Verbesserung der Ausbildung und der Einsatzfähigkeit von nationalen Sicherheitskräften in westafrikanischen Ländern eingerichtet. Sie zielten darauf ab, den Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten zu stärken. Der Schwerpunkt dieser Missionen wurde in Mali (EU Training Mission und EU Capacity Building Mission) und Niger (EU Capacity Building Mission Sahel) hin zu Grenzschutz und Migrationsmanagement verlagert, obwohl sich weder die Leistungsfähigkeit der staatlichen Sicherheitskräfte noch die Sicherheitssituation in den Ländern verbessert hat. Im Gegenteil, in den vergangenen Jahren griffen bewaffnete Auseinandersetzungen verstärkt auch auf die Nachbarländer über. Die Neuausrichtung der Mandate birgt damit das Risiko, den Schutz der Zivilbevölkerung zu gefährden und ist somit menschenrechtlich äußerst problematisch.
Rückübernahmeabkommen und weniger rechtlich verbindliche Rückübernahmeregelungen zwischen der EU und afrikanischen Ländern sind menschenrechtlich problematisch, wenn sie keine Menschenrechtsschutzgarantien enthalten. Der rückübernehmende Staat muss die Achtung von Menschenrechten für die Rückkehrenden garantieren. Der überstellende Staat muss sowohl eine Einzelfallprüfung gewährleisten als auch sicherstellen, dass der/die Rückgeführte im Herkunftsland keiner Gefährdung ausgesetzt ist.
Für die Kooperation mit Drittstaaten bei der Identitätsfeststellung müssen konkrete Kriterien festgelegt werden, damit das Recht auf ein faires Verfahren für die Rückkehrenden gewahrt wird und keine Person in ein Land abgeschoben wird, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzt. Bei der dafür notwendigen Identitätsfeststellung darf kein Geheim- oder Sicherheitsdienst beteiligt sein, der im Herkunftsland systematisch politische Gegner_innen verfolgt. Des Weiteren ist es in Bezug auf einige Länder bedenklich, den Geheimdienst bei der Identitätsfeststellung einzubeziehen, da auf diese Weise auf bestimmte Personen aufmerksam gemacht wird. Dies ist vor allem problematisch, wenn es in dem entsprechenden Land zu politischer Verfolgung kommt und Regierungskritiker_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind.
So weisen beispielsweise die "Admission Procedures for the return of Ethiopians from European Union Member States" für abgelehnte Flüchtlinge und Migrant_innen zwischen der EU und Äthiopien durch die Einbeziehung des äthiopischen Geheimdienstes erhebliche menschenrechtliche Risiken bei der Identitätsfeststellung auf. Da keine Kriterien für eine Feststellung der Identität durch den äthiopischen Geheimdienst festgelegt werden, besteht u.a. die Gefahr, dass eritreische Flüchtlinge und Migrant_innen als äthiopische Staatsangehörige anerkannt werden könnten. Zudem waren in der Vergangenheit Angehörige oppositioneller Bewegungen und Menschenrechtsaktivist_innen in Äthiopien immer wieder schweren Menschenrechtsverletzungen, Überwachung und Verfolgung durch den Geheimdienst ausgesetzt. Den Geheimdienst durch eine Zusammenarbeit bei der Identitätsklärung auf Personen aufmerksam zu machen, könnte bei einer Rückführung gravierende Folgen für jene Personen haben.
Im Rahmen des Better Migration Management Programms unter Federführung der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) soll in Äthiopien ein E-Immigration-System nach kenianischem Vorbild aufgebaut werden, mit dem personenbezogene Daten von Flüchtlingen und Migrant_innen erfasst und gespeichert werden sollen. Dies ist problematisch, wenn die gelieferte Software und die damit gesammelten Daten für die Überwachung und Ausspähung von Aktivist_innen im Land missbraucht werden kann. Da Regierungskritiker_innen und Angehörige bestimmter Ethnien in Äthiopien in den vergangenen Jahrzehnten stets politischer Verfolgung ausgesetzt waren, birgt die Einrichtung eines solchen E-Immigration-Systems die Gefahr des politischen Missbrauchs, solange die Rechtsstaatlichkeit in Äthiopien nicht garantiert ist.
Zwar initiierte der im April 2018 angetretene Premierminister Abiy Ahmed einen politischen und gesellschaftlichen Änderungsprozess, darunter die Freilassung von politischen Gefangenen und willkürlich inhaftierten Personen sowie die Aufhebung des Verbots von Oppositionsparteien. Allerdings bleibt abzuwarten, wie nachhaltig und weitreichend dieser Prozess sein wird. 2018 kam es nach der Rückkehr von Oppositionspolitiker_innen aus dem Exil vermehrt zu ethnischen Unruhen in vielen Teilen des Landes, welche von den staatlichen Sicherheitskräften ignoriert wurden. Auf friedliche Proteste der Zivilgesellschaft gegen die Untätigkeit der Regierung im September 2018 in Addis Abeba reagierte die Polizei mit exzessiver Gewalt, tötete fünf Menschen und nahm etwa 1.200 Personen fest.
Druck der EU auf afrikanische Staaten, nationale Gesetze zu verabschieden, die Migration zwischen afrikanischen Ländern begrenzen sollen, ist rechtlich bedenklich, wenn negative Folgen nicht ausreichend berücksichtigt werden. So hat Niger auf Druck der EU im Jahr 2015 ein Gesetz gegen Menschenhandel verabschiedet, das u.a. Strafen für jede Person vorsieht, die Menschen eine illegale Ein- oder Ausreise nach oder aus Niger ermöglicht. Niger gehört aber der Freizügigkeitszone des westafrikanischen Wirtschaftsraumes (ECOWAS) an, in der Migration zwischen den westafrikanischen Mitgliedstaaten, ähnlich wie innerhalb der EU, grundsätzlich legal ist. Mit dem Gesetz gegen Menschenhandel wurde nun jedoch auch Migration kriminalisiert, was dem Freizügigkeitsprinzip von ECOWAS widerspricht und rechtliche Unklarheit schafft.
Die Umwidmung von Geldern der Entwicklungszusammenarbeit ist als bedenklich einzuschätzen, wenn Gelder, die für humanitäre Maßnahmen sowie mittel- und langfristige Entwicklungszusammenarbeit bestimmt waren, für kurzfristige Maßnahmen der Migrationskooperationen mit erheblichen menschenrechtlichen Risiken eingesetzt werden. So werden die Projekte des Rabat- und Khartum-Prozesses durch den EU Emergency Trust Fund for Africa (EUTF) finanziert. Dieser wiederum wird zu über 80 Prozent aus bestehenden Geldern des European Development Fund und anderen Töpfen der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Arbeit der EU gespeist. Am gravierendsten ist, wenn mit den ursprünglichen Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte begangen werden. Dies ist auch bei den Kooperationen mit den nigrischen und tschadischen Sicherheitskräften und der Unterstützung der G5-Sicherheitskräfte, der G5 Sahel Joint Force (Kooperation von Burkina Faso, Niger, Tschad, Mali, Mauretanien zur Bekämpfung von Terrorismus) für Grenzschutz und Migrationsmanagement nicht auszuschließen, da die Sicherheitskräfte immer wieder Menschenrechtsverletzungen wie exzessiven Gewalteinsatz, Folter und Misshandlung begehen.
Darüber hinaus kommt es im Rahmen von Kooperationen mit afrikanischen Staaten zunehmend zur Konditionalisierung der Entwicklungszusammenarbeit. Dabei folgt die Europäische Union dem Ansatz more for more/less for less. Mittel der Entwicklungszusammenarbeit und andere Formen der Kooperation (z.B. Handelsbeziehungen) werden erhöht, je mehr die betroffenen Staaten den Forderungen der EU zur Kontrolle und Regulierung der Migration nachkommen, die zum Ziel haben, die Zahl der in Europa ankommenden Migrant_innen und Flüchtlinge zu reduzieren. Andererseits wird gedroht, entsprechende Mittel zu kürzen, wenn die Staaten den Forderungen nicht entsprechen sollten.
In Niger wurden in Agadez, Arlit, Dirkou und Niamey von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) geführte Migrationszentren eingerichtet, die von der EU und der Bundesregierung finanziert werden. Auf dem AU-EU-Gipfel Ende 2017 wurde ein Evakuierungsmechanismus für Flüchtlinge und Migrant_innen in libyschen Hafteinrichtungen beschlossen. Dafür werden Flüchtlinge und Migrant_innen teilweise über Niger in ihre Herkunftsländer zurückgebracht (Zuständigkeit IOM) oder sollen in EU-Staaten über Resettlement-Programme (Zuständigkeit UNHCR) aufgenommen werden.
Es ist fraglich, ob in diesen Zentren Menschenrechtsstandards eingehalten werden können. So haben nigrische Sicherheitskräfte im Mai 2018 eine Gruppe sudanesischer Flüchtlinge und Migrant_innen in Agadez willkürlich verhaftet, nach Libyen abgeschoben und damit u.a. gegen das Non-Refoulement-Gebot und das Recht, Asyl zu suchen, verstoßen. Das Migrationszentrum in Agadez wird auch immer wieder als Zielort für Sammelabschiebungen von Algerien nach Niger missbraucht. Seit 2017 werden Flüchtlinge und Migrant_innen von algerischen Sicherheitskräften willkürlich verhaftet und gesammelt sowie ungeprüft nach Agadez abgeschoben, womit ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren und das Verbot der Kollektivausweisung (nach Art. 4 Zusatzprotokoll 4 der EMRK) vorliegt.
Eine EU-geförderte Unterstützung von freiwilliger Rückkehr oder Rückkehrförderungen ist problematisch, wenn die damit unterstützte Rückkehr tatsächlich nicht freiwillig ist. Amnesty International bezeichnet eine Rückkehr auch dann als erzwungen, wenn die Freiwilligkeit zwar durch Unterschrift von Flüchtlingen als freiwillig bezeugt wurde, aber katastrophale Bedingungen in der Unterbringung oder Druck von Seiten der Behörden für die Unterschrift verantwortlich waren. In diesem Fall wäre das Non-Refoulement-Gebot trotz Bezeugung der Freiwilligkeit durch Unterschrift verletzt. Ebenfalls kritisch ist, wenn Flüchtlinge nur unzureichend über die Gefahren einer Rückkehr in ihr Herkunftsland aufgeklärt werden.
Mit dem EUTF wird "RE-INTEG", ein Projekt zur Reintegration von freiwilligen Rückkehrer_innen aus Kenia nach Somalia, unterstützt. Aus Sicht von Amnesty International hat sich die Sicherheitssituation in Somalia jedoch nicht verbessert. Amnesty International hat dokumentiert, dass die große Mehrheit der Rückkehrer_innen nicht freiwillig, sondern erzwungen nach Somalia zurückgegangen war. So haben kenianische Behörden großen Druck auf Flüchtlinge ausgeübt, nach Somalia zurückzukehren. Unter anderem wurden die Streichung der Unterstützung und Nahrungsmittel angedroht, und kenianische Behörden behaupteten, dass Somalia befriedet sei.
Die EU machte sich mit der Unterstützung der Reintegration unfreiwilliger Rückkehrer_innen aus Kenia nach Somalia mitschuldig an der Verletzung des Non-Refoulement-Gebots durch Kenia. Überdies wollte die kenianische Regierung das größte Flüchtlingslager an der Grenze zu Somalia, Dadaab, im November 2016 schließen, u.a. unter Berufung auf nationale Sicherheitsinteressen und auch weil die Finanzierung von der internationalen Gemeinschaft seit Jahren rückläufig ist. Der Oberste Gerichtshof Kenias hat dies zwar gestoppt. Jedoch wurde im März 2019 bekannt, dass die kenianische Regierung erneut die Schließung Dadaabs plant. Die damit verbundene erzwungene Rückkehr hunderttausender somalischer Flüchtlinge würde eine Verletzung nationalen und internationalen Rechts darstellen.
Fehlende Formen von Migrationskooperationen
Die EU war in den vergangenen Jahren bestrebt, Migrationskooperationen mit afrikanischen Staaten abzuschließen, deren Fokus einseitig auf der Verhinderung von Migration aus Afrika nach Europa mit der Hilfe afrikanischer Länder lag. Zusätzliche legale und sichere Zugangswege in die EU, wie von den afrikanischen Ländern gefordert und wie von der EU zu Beginn des Khartum- und Rabat-Prozesses in Aussicht gestellt, wurden jedoch nicht eröffnet. Nachhaltig kann der Migrationsdruck auf Europa jedoch nur gemindert werden, wenn legale Zugangsmöglichkeiten durch Familienzusammenführung, Visavergabe u.a. geschaffen werden.
Nach dem Ausbruch des Konfliktes in Syrien, der zur Flucht von Millionen Menschen führte, haben zahlreiche EU-Staaten ihre Mittel zur humanitären Unterstützung der Flüchtlingsversorgung in Afrika abgezogen und in die Aufnahmeländer von syrischen Flüchtlingen verlagert. Dies hat in vielen afrikanischen Ländern zu einem humanitären Notstand und der permanenten Reduzierung von Nahrungsmittelrationen für Flüchtlinge geführt. So wurden für die UNHCR-Flüchtlingssiedlungen in Uganda für das Jahr 2018 nur 57 Prozent der benötigten finanziellen Mittel für die Flüchtlingsversorgung bereitgestellt. Ende April 2019 lebten über 1,2 Millionen Flüchtlinge in Uganda.
Auch Kenia erhielt nur einen Teil der notwendigen Finanzierung zur Versorgung der rund einer halben Millionen im Land lebenden Flüchtlinge. Für die UNHCR-Flüchtlingslager im Tschad wurden im Jahr 2018 bis Oktober nur 43 Prozent der beantragten Mittel für das gesamte Jahr zugesagt. Die EU und die internationale Gemeinschaft müssen ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen und afrikanische Aufnahmeländer, die 85 Prozent der afrikanischen Flüchtlinge aufnehmen und versorgen, stärker unterstützen.
Empfehlungen für Migrationskooperationen
Migrationskooperationen bergen verschiedene, teils erhebliche Menschenrechtsrisiken, weshalb es Voraussetzung für jede Kooperation sein muss, dass Menschenrechtsstandards festgeschrieben und eingehalten werden. Grundsätzlich darf keine Migrationskooperation zur Verschlechterung der Menschenrechtssituation der Bevölkerung in einem Drittland oder einer einzelnen Gruppe wie Flüchtlingen und Migrant_innen führen.
- Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen und Migrationskooperationen vor ihrer Implementierung auf menschenrechtliche Risiken prüfen.
- Alle Migrationskooperationen müssen Menschenrechtsstandards festschreiben und einen Monitoringmechanismus vorsehen.
- Das Monitoring sollte transparent durch unabhängige Stellen erfolgen. Wenn es im Rahmen der Kooperation zu Menschenrechtsverletzungen kommt, muss die Zusammenarbeit angepasst oder ganz beendet werden.
- Die EU und die Bundesregierung sollten afrikanische Staaten beim Auf- oder Ausbau nationaler Schutzsysteme unterstützen, die faire Asylverfahren und damit das Recht auf Asyl gewährleisten. Im Rahmen der Kooperation sollte gemeinsam mit den Partner_innen darauf hingearbeitet werden, dass diese die Genfer Flüchtlingskonvention ratifizieren und sich zur Zusammenarbeit mit dem UNHCR verpflichten. Es darf keine Auslagerung des Flüchtlingsschutzes der EU nach Afrika geben, wenn dadurch menschenrechtliche Risiken entstehen.
- Es darf bei der Unterstützung von Grenzschutz und Migrationsmanagement keine Kooperationen mit Sicherheitskräften geben, wenn diese bekannt dafür sind, Menschenrechtsverletzungen zu begehen oder begangen zu haben. Bei der Ausbildung von Sicherheitskräften müssen Screeningverfahren etabliert werden, um auszuschließen, dass mit Sicherheitskräften zusammengearbeitet wird, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben.
- Mittel der Entwicklungszusammenarbeit, die für die Durchsetzung von Menschenrechten vorgesehen sind, dürfen nicht für menschenrechtsferne Projekte zweckentfremdet werden.
- Die Zahlung von Geldern der Entwicklungszusammenarbeit darf nicht negativ konditional an die Zusammenarbeit bei der Migrationskontrolle geknüpft sein (kein less for less-Ansatz).
- Rückübernahmeabkommen und –regelungen müssen Menschenrechtsstandards und klare Kriterien für die Kooperation zwischen Sicherheitsdiensten beinhalten.
- Die EU und die Bundesregierung müssen Aufnahmeländer in Afrika bei der humanitären Versorgung von Flüchtlingen stärker unterstützen.
- Die EU und die Bundesregierung müssen mehr legale und sichere Zugangswege in die EU schaffen.
- Bei der Unterstützung von Rückkehrenden muss geprüft und sichergestellt sein, dass es sich tatsächlich um eine freiwillige Rückkehr handelt.
- Es darf keine Abschiebungen nach Eritrea, Somalia oder von Sudanesen aus den Regionen Blue Nile, Südkordofan und Darfur geben.