Aktuell 30. Januar 2014

Rede zu Menschenrechten in Ägypten am 25. Januar 2014 in Berlin

von Ruth Jüttner

Liebe Freundinnen und Freunde,

An unsere ägyptischen und arabisch-sprachigen Freundinnen und Freunde sage ich:
Ahlan wa Sahlan bikum! (Herzlich willkommen)

Vielen Dank, dass Ihr Euch trotz der Kälte hier so zahlreich eingefunden habt.

Ich freue mich, heute hier all die bunten Nofretete Banner zu sehen. Amnesty hat die Nofretete mit der Gasmaske zum Symbol unserer Kampagne für die Menschenrechte in Ägypten gemacht. Dieses Portrait stammt von El-Zeft, einem jungen ägyptischen Street Art Künstler. Er zeigt damit seinen Respekt für alle Frauen, die – trotz Tränengaseinsatz der Polizei – mutig an dem Volksaufstand Anfang 2011 in Ägypten teilgenommen haben.

Wir sehen heute hier mehr als 500 Nofretete Banner, die Amnesty Aktivisten und Unterstützer im vergangenen Jahr quer durch Deutschland bunt und kreativ bemalt haben. Und heute demonstrieren wir mit diesem Symbol für die Einhaltung der Menschenrechte in Ägypten.

Wir protestieren gegen brutale Gewalt von Polizei und Militär gegen Demonstrierende!
Wir fordern Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit für alle Ägypterinnen und Ägypter!

Wir senden eine bunte, laute und starke Botschaft an alle Ägypterinnen und Ägypter, die sich mutig für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit einsetzen:
Wir stehen an Eurer Seite!

Wir unterstützen Euren Kampf für die Zukunft Ägyptens!

Wie wichtig es ist, dass Ihr alle heute hier seid, zeigt eine Nachricht von El-Zeft, dem Schöpfer der Nofretete, die er uns vor ein paar Tagen anlässlich dieser Kundgebung geschickt hat: "Eure Aktionen in Europa halten uns in Ägypten am Leben und erinnern uns an etwas, das man Hoffnung nennt."

Wie groß war die Hoffnung, als heute vor drei Jahren in Ägypten zum ersten Mal Hundertausende Menschen auf die Straße gegangen sind und damit die "Revolution des 25. Januar" eingeleitet haben. "Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit" – das waren die Forderungen mit denen die Demonstranten dem damaligen Machthaber Hosni Mubarak die Stirn geboten haben.

Doch heute – drei Jahre und drei Regierungen später – sind diese Forderungen immer noch nicht erfüllt. Egal ob Militärregierung unter Feldmarschall Tantawi, ob islamistischer Präsident Mursi oder die jetzige Übergangsregierung mit dem mächtigen General al-Sisi im Hintergrund: Jeder bisherige Machthaber hat versprochen, die Ziele der "Revolution des 25. Januar" zu verwirklichen. Doch die Realität sieht anders aus.

Seit drei Jahren gehen Polizei und Militär routinemäßig mit exzessiver Gewalt gegen Demonstranten vor. Massiver Tränengaseinsatz, tödlicher Schusswaffeneinsatz, Scharfschützen, die mit Schrotmunition auf die Augen von Demonstranten zielen, rücksichtsloser Einsatz von gepanzerten Wagen und Bulldozern, um Proteste aufzulösen, … diese Aufzählung des Schreckens ließe sich weiter fortsetzen.

Viele Ägypterinnen und Ägypter setzten nicht nur bei Protesten gegen Mubarak ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel. Sie zeigten den gleichen Mut bei Demonstrationen gegen die Repressionen der folgenden Regierungen. Ein Beispiel dafür ist Ahmed Harara. Er erblindete auf einem Auge zu Beginn des Volksaufstands, als er von Polizisten ins Auge geschossen wurde. Noch im gleichen Jahr wurde sein gesundes Auge ebenfalls durch eine Kugel getroffen, als er gegen die Militärregierung demonstrierte. Ahmed Harara ist heute blind, doch seine Entschlossenheit für Gerechtigkeit zu kämpfen, ist ungebrochen. Er sagte zu Amnesty:"Wir haben keine Angst zu sterben, verletzt oder gefoltert zu werden. Die Menschen wollen in Würde leben. Deshalb werden wir nicht aufgeben."

Wir sind heute hier in Berlin auf der Straße, um allen, die in Ägypten weiter für Freiheit und Gerechtigkeit demonstrieren, den Rücken zu stärken. Denn das politische Klima in Ägypten ist rau geworden. Die Stimmen, die Aufklärung fordern und die verlangen, dass die Täter und Verantwortlichen für Polizei- und Militärgewalt vor Gericht gebracht werden, sind leiser geworden. Sie finden kaum Gehör in den Medien und öffentlichen Debatten.

Wir sagen deshalb heute laut und deutlich: Einen Aufbruch zu einem freien, gerechten und demokratischen Ägypten kann es nur geben, wenn die Verbrechen aufgeklärt werden, wenn die Wahrheit ans Licht kommt und wenn die Täter bestraft werden.
Und wie steht es um die Meinungsfreiheit – eines der zentralen Menschenrechte, um die es bei der "Revolution des 25. Januar" und natürlich auch beim Aufbau eines demokratischen Staates geht. Auch hier wurden die Hoffnungen der Ägypterinnen und Ägypter enttäuscht.

Während der 17-monatigen Militärherrschaft war schnell klar: wer das Militär kritisiert und Menschenrechtsverletzungen anprangert, landet hinter Gittern. So erging es dem Blogger Maikel Nabil Sanad. Ein Militärgericht verurteilte ihn in einem unfairen Verfahren zu drei Jahren Haft.

Unter dem islamistischen Präsidenten Mursi war es um die Meinungsfreiheit nicht besser bestellt. Die Zahl derjenigen, die wegen "Beleidigung des Präsidenten" oder wegen "Verleumdung der Religion" vor Gericht gezerrt wurden, stieg rasant an.
Unter der derzeitigen Übergangsregierung hat sich die Lage nochmals verschärft: Sicherheitskräfte und Justiz gehen mit großer Härte auch gegen die Ägypterinnen und Ägypter vor, die mit friedlichen Mitteln gegen die Amtsenthebung des ehemaligen Präsidenten Mursi protestieren. Besonders empörend war die Verurteilung von 14 jungen Frauen zu elf Jahren Haft. Der Grund: sie hatten friedlich demonstriert. Erst nach einem Sturm der Entrüstung wurden die Strafen zur Bewährung ausgesetzt.

Nicht nur Sympathisanten der Muslimbrüder auch Aktivisten der säkularen Jugendbewegung sind ins Visier der Justiz geraten. Warum? Weil sie die Regierung kritisieren, weil sie Repressionen anprangern und weil sie die Verwirklichung der Revolutionsziele einfordern. Ahmed Maher, Mitgründer der Jugendbewegung 6. April, die eine treibende Kraft der "Revolution des 25. Januar" ist, wurde zu drei Jahren Haft verurteilt. Er hatte zu einer friedlichen Demonstration aufgerufen, bei der Militärgerichtsverfahren gegen Zivilisten kritisiert wurden. Eine Bestimmung, die in die neue Verfassung aufgenommen wurde. Gegen den Widerstand der demokratischen Jugendbewegung, die bereits unter der Militärregierung gegen die Verurteilung von mehr als 10.000 Zivilisten in Militärprozessen protestiert hat.

In Ägypten gibt es heute kaum noch Spielräume, um legitime Kritik am Vorgehen der Regierung oder der Justiz auszudrücken. Wenn allein die Teilnahme an einer friedlichen Demonstration oder ein Tweet im Internet ins Gefängnis führen kann, dann sind alle Versprechen der Übergangsregierung von einem so genannten "Fahrplan zur Demokratie" nur hohle Worthülsen.

Denn echte Demokratie erschöpft sich nicht im Gang zur Wahlurne. Demokratie braucht Meinungsfreiheit, den friedlichen Austausch auch kontroverser Positionen. Demokratie braucht Versammlungsfreiheit, die Möglichkeit, eigene Überzeugungen im öffentlichen Raum gemeinsam mit anderen auszudrücken, um politische Entscheidungen beeinflussen zu können.

Die Aussichten für diejenigen, die sich heute für Menschenrechte und Freiheit in Ägypten einsetzen, sind nicht gut. Ahmed Maher oder regierungskritische Blogger wie Alaa Abdel Fattah und Ahmed Douma haben nicht nur einen schweren Stand. Sie sitzen im Gefängnis weil sie Menschenrechtsverletzungen offen kritisiert haben.

Die Bundesregierung und die Europäische Union haben vor drei Jahren noch den Aufbruch des "Arabischen Frühlings" euphorisch bejubelt. Doch heute ist kaum noch ein kritisches Wort von ihnen zu hören.

Ich vermisse klare Worte der Bundesregierung zur Repression gegen friedliche Demonstranten und Kritiker der Regierung!

Ich vermisse die unmissverständliche Forderung der Bundesregierung an die Verantwortlichen in Kairo, die inhaftierten friedlichen Aktivisten sofort freizulassen!
Wir senden mit dieser Demonstration ein Signal der Solidarität und Unterstützung nach Ägypten.

Wir zollen denjenigen unseren Respekt, die gegen alle Strömungen schwimmen und beharrlich Menschenrechtsverletzungen aller Seiten anprangern.
Wir werden uns weiter für die Freilassung aller einsetzen, die wegen friedlicher Aktivitäten oder Meinungsäußerungen in Haft sind.

Wir werden weiter von den Verantwortlichen in Ägypten fordern, die Ziele der Revolution des 25 Januar zu verwirklichen: Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit!

Danke

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