Aktuell Turkmenistan 09. April 2009

Hintergrund: Amanklitschew und Chadschijew

Hintergrund

Annakurban Amanklitschew, Sapardurdi Chadschijew und Ogulsapar Muradowa arbeiteten als Journalisten in Turkmenistan, einem Land, in dem Verletzungen bürgerlicher, politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte häufig vorkommen. Die drei arbeiteten überdies für die im Jahre 2003 gegründete nichtstaatliche Menschenrechtsorganisation "Turkmenistan Helsinki Foundation" (THF), die Menschenrechtsverletzungen an turkmenischen Oppositionellen dokumentiert und veröffentlicht. Mitglieder dieser Organisation gehen in Turkmenistan ein großes Risiko ein. Sie werden vom turkmenischen Sicherheitsdienst ständig beobachtet und regelmäßig bedroht.

Im Frühjahr 2006 recherchierte Amanklitschew mit Kollegen aus Frankreich und Großbritannien für einen Bericht über die Menschenrechtslage in Turkmenistan. Im Juni 2006 wurde er verhaftet. Der Minister für Nationale Sicherheit erklärte dazu im staatlichen Fernsehen, Amanklitschew habe "auf Anweisung von Vaterlandsverrätern und Zentren der Destabilisierung im Ausland versucht, verleumderische Informationen über Turkmenistan zu sammeln und Unzufriedenheit unter den Menschen zu schüren". Ferner habe er in der Ukraine gelernt, "wie man geheimdienstliche Informationen sammelt und Sabotage in Turkmenistan verübt, sowie Methoden, wie sie in der `Orangenen Revolution´ in der Ukraine angewandt wurden". Tatsächlich hatte der Journalist in Polen und der Ukraine lediglich an Schulungskursen über Menschenrechtsthemen teilgenommen. Die staatlich kontrollierte Tageszeitung "Neutrales Turkmenistan" weitete die Vorwürfe des Vaterlandsverrates auf Chadschijew und Muradowa aus, die kurz nach Amanklitschew ebenfalls festgenommen wurden.

Die Situation in Haft

Amnesty International hat mehrere Hinweise darauf, dass die drei Journalisten in der Untersuchungshaft gefoltert wurden, um Geständnisse der Spionagetätigkeit und Beschuldigungen zu erzwingen. Ihre Anwälte wurden unter Druck gesetzt, die Verwandten nicht über die Haftumstände zu informieren.

Die Prozessbedingungen

Nach Ansicht von Amnesty International wurden die Vorwürfe gegen die Journalisten willkürlich konstruiert und könnten einem fairen Verfahren nach internationalen Normen nicht standhalten. Die Verteidiger von Amanklitschew, Chadschijew und Muradowa erhielten die Anklageschrift erst bei Prozessbeginn. Weder internationale Beobachter noch die Familienangehörigen der Angeklagten durften den Gerichtssaal betreten. Beamte des Ministeriums für nationale Sicherheit filmten jeden, der sich dem Gericht näherte und notierten die Namen der Anwesenden. Bis heute haben weder Anwälte noch Angehörige eine Kopie des Urteils erhalten.

Das Urteil

Die Richter benötigten für die Urteilsfindung am 25. August 2006 weniger als zwei Stunden. Ogulsapar Muradowa wurde zu sechs, Annakurban Amanklitschew und Sapardurdi Chadschijew wurden zu sieben Jahren Haft verurteilt. Doch das Urteil gegen die drei Journalisten beruhte nicht auf den ursprünglichen und in der Anklageschrift aufgeführten Vorwürfen der Spionage und des Landesverrats, sondern nach § 287 II des turkmenischen Strafgesetzbuches auf der "illegalen Beschaffung, dem Besitz oder Verkauf von Munition und Schusswaffen". Demnach soll Sapardurdi Chadschijew Patronen in seinem Sommerhaus gefunden und sie im Haus von Ogulsapar Muradowas an Annakurban Amanklitschew verkauft haben.

Amanklitschew und Chadschijew haben Revision eingelegt. Doch für Muradowa käme eine Wiederaufnahme des Verfahren zu spät: Sie starb im September 2006 in Haft, offenbar an den Folgen von Folter. Laut ihrer Familie hatte Muradowa eine tiefe Kopfwunde und innere Blutungen an Leber und Niere, denen sie nach tagelangem Leiden erlag.

Die Menschenrechtslage

Die Verletzung bürgerlicher, politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte kommt in Turkmenistan häufig vor. Seit Jahren werden viele Oppositionelle ins Exil getrieben, unter Hausarrest gestellt, willkürlich festgenommen, nach unfairen Gerichtsverfahren zu Haftstrafen verurteilt, gefoltert und misshandelt oder zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen. Ebenso verfolgt werden Menschen- und Bürgerrechtsaktivisten, Mitglieder religiöser Minderheiten sowie ihre Familienangehörigen. Unabhängige politische Parteien existieren nicht. Tausende Personen stehen Berichten zufolge auf "Schwarzen Listen", die sie daran hindern, das Land zu verlassen.

Die aktuelle Entwicklung

Seit Anfang 2006 haben die Repressionsmaßnahmen gegenüber Dissidenten und ihren Familienangehörigen deutlich zugenommen. Neu ist, dass die turkmenischen Behörden besonders auch Menschenrechtsverteidiger verfolgen, indem sie diese des "Landesverrats" und der "Spionage" bezichtigen.

Eine Welle der Repression hatte es zunächst nach dem angeblichen Attentat auf Präsident Saparmurad Nijasow im November 2002 gegeben. Die Regierung ließ zahlreiche Menschen verhaften, deren Häuser durchsuchen und Eigentum beschlagnahmen oder sie anderweitig schikanieren. Viele wurden allein wegen familiärer Beziehungen zu Oppositionellen Opfer der Repressionen. Amnesty International geht davon aus, dass die im Zuge der Repressionswelle inhaftierten Personen in der Haft gefoltert und misshandelt wurden. Mindestens 59 Personen wurden zum Teil in Abwesenheit zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Diese Prozesse verletzten in hohem Maße internationale Standards für faire Verfahren. Die Verurteilten werden bis heute in Isolationshaft gehalten. Amnesty International befürchtet, dass sie weiterhin gefoltert werden. Mindestens zwei der Verurteilten starben 2003 – offenbar infolge von Folter, Misshandlung und harten Haftbedingungen.

Insbesondere in den Untersuchungshaftanstalten Turkmenistans sind Folter und Misshandlung weit verbreitet. Die Verantwortlichen bleiben regelmäßig unbestraft. Die Bedingungen in Gefängnissen bleiben hinter internationalen Standards zurück. Überfüllung und unhygienische Zustände sollen üblich sein. Amnesty International erhält immer wieder Berichte über zweifelhafte Todesfälle in Haft.

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