Menschenrechtler im Hungerstreik

Der ehemalige Gefängnisbedienstete Walid Zarrouk wurde am 24. November wegen "Beleidigung von Beamt_innen" in zwei Fällen zu Haftstrafen verurteilt. Aus Protest gegen seine Verurteilung ist er in den Hungerstreik getreten. Seine Ehefrau Ines Ben Othman wurde am 13. Dezember daran gehindert, Tunesien zu verlassen.

Appell an

JUSTIZMINISTER
Ghazi Jeribi
31, boulevard Bab Bnet, 1006 Tunis, TUNESIEN
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 216) 71 56 18 04
E-Mail: mju@ministeres.tn

PRÄSIDENT
Béji Caïd Essebsi
Presidential Palace, Carthage, Tunis, TUNESIEN
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 216) 71 744 721
E-Mail: contact@carthage.tn

Sende eine Kopie an

PARLAMENTSSPRECHER
Mohamed Ennaceur

Assembly of the Representatives of the People
Bardo 2000, Tunis
TUNESIEN
Fax: (00 216) 71 514 608

BOTSCHAFT DER TUNESISCHEN REPUBLIK
S. E. Herrn Elyes Kasri
Lindenallee 16
14050 Berlin
Fax: 030-3082 06 83
E-Mail: at.berlin@tunesien.tn

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 25. Januar 2017 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

FAXE, E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Lassen Sie Walid Zarrouk bitte umgehend und bedingungslos frei und stellen Sie die Untersuchung gegen Ines Ben Othman ein, da sie beide lediglich wegen der friedlichen Wahrnehmung ihres Rechts auf Meinungsfreiheit ins Visier genommen wurden.

  • Stellen Sie bitte sicher, dass Walid Zarrouk bis zu seiner Freilassung Zugang zu einem qualifizierten Arzt hat, welcher ihn entsprechend der Medizinethik versorgt und somit die Grundsätze der Vertraulichkeit, Patientenautonomie und informierten Zustimmung einhält.

  • Ich fordere Sie zudem höflich auf, Regierungskritiker_innen nicht strafrechtlich zu verfolgen und die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs und Antiterrorgesetzes zu prüfen, um sicherzustellen, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung und andere Rechte nicht verletzt werden.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

Urging the Tunisian authorities to immediately and unconditionally release Walid Zarrouk and drop the investigation into Ines Ben Othman, as they are being targeted solely for the peaceful exercise of their right to freedom of expression.

Calling on them to ensure that, pending his release, Walid Zarrouk is provided with access to a qualified health professional who can provide health care in compliance with medical ethics, including the principles of confidentiality, autonomy and informed consent.

Calling on them to end prosecutions of those who criticize the authorities and review the Penal Code and the counter-terrorism law to ensure they do not arbitrarily restrict human rights, including freedom of expression.

Sachlage

Walid Zarrouk ist ehemaliger Gefängnismitarbeiter und Gründer der NGO Muraqib, welche die Haftbedingungen und die Behandlung von Gefangenen in Gefängnissen und auf Polizeistationen dokumentiert. Er wurde im August 2016 festgenommen und befindet sich seither in Haft. Am 24. November wurde er in zwei Fällen zu Gefängnisstrafen verurteilt, weshalb er nun in den Hungerstreik getreten ist. Laut Angaben seiner Frau Ines Ben Othman und seines Rechtsbeistands weigert er sich auch, Wasser zu trinken und seine Medikamente zu nehmen. Walid Zarrouk leidet an einer Herzerkrankung, und sein Gesundheitszustand verschlechtert sich zusehends. Am 6. Dezember wurde er aus dem al-Rabta-Gefängnis in Tunis, einem Gefängnis für Häftlinge mit gesundheitlichen Beschwerden, in die 35 km entfernte Untersuchungshafteinrichtung von Mornag im Gouvernement Ben Arous verlegt. Ines Ben Othman und sein Rechtsbeistand haben berichtet, dass Walid Zarrouk keine Zeitungen oder Bücher lesen darf und dass sie sich um seine Sicherheit sorgen, da er ein ehemaliger Gefängnismitarbeiter ist, der sich offen zu terrorismusbezogenen Themen äußert und sich eine Zelle mit 13 Personen teilt, denen terrorismusbezogene Straftaten vorgeworfen werden.

Am 24. November wurde Walid Zarrouk in zwei Fällen zu insgesamt 26 Monaten Gefängnis verurteilt. Die erste Anklage lautete auf "Beleidigung von Beamt_innen" gemäß Paragraf 125 des Strafgesetzbuchs. Im zweiten Fall wird ihm unter Paragraf 128 vorgeworfen, "einem Beamten ohne Beweise illegale Handlungen zugeschrieben zu haben, die sich auf die Ausübung seiner Arbeit beziehen". Seine Freiheitsstrafe setzt sich folgendermaßen zusammen: Er erhielt eine 18-monatige Haftstrafe, weil er auf Facebook Kritik an der Art und Weise geübt hatte, in der die Justiz und die Sicherheitskräfte den 2015 verübten Anschlag auf das Bardo-Museum sowie die 2013 erfolgte Tötung des tunesischen Oppositionspolitikers Chokri Belaid untersuchten. Zu weiteren acht Monaten Gefängnis wurde er verurteilt, weil er im Jahr 2013 Beiträge auf Facebook veröffentlicht hatte, in denen er den ehemaligen Justizminister und den Staatsanwalt kritisiert hatte.

Im Juli 2016 waren Walid Zarrouk und Ines Ben Othman festgenommen und vorübergehend festgehalten worden. Ihnen wurde damals in separaten Fällen in Verbindung mit Facebook-Posts vorgeworfen, gemäß Artikel 71 und 78 des Antiterrorgesetzes von 2015 "den Schutz von Personen gefährdet zu haben, die terroristische Straftaten bezeugen oder bestrafen". Diese Vorwürfe sollen jeweils am 15. und 22. Dezember geprüft werden. Am 13. Dezember wollte Ines Ben Othman nach Frankreich reisen, wurde jedoch von einem Angehörigen des Innenministeriums darüber informiert, dass sie nicht ausreisen dürfe. Den Grund dafür erfuhr sie nicht. Seither hat man ihr mitgeteilt, dass sie unter Umständen aus dem Land ausreisen könne, sie aber mit langen Durchsuchungen am Flughafen rechnen müsse.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Im Juli 2016 wurden Walid Zarrouk und Ines Ben Othman festgenommen und in separaten Fällen beschuldigt, gemäß Artikel 71 und 78 des Antiterrorgesetzes von 2015 "den Schutz von Personen gefährdet zu haben, die terroristische Straftaten bezeugen oder bestrafen [einschließlich Richter_innen, Angehörige der Sicherheitskräfte, Opfer und Zeug_innen von Straftaten], ... [und zwar] durch die absichtliche Veröffentlichung von Informationen zu deren Identifizierung". Die Vorwürfe gegen Ines Ben Othman hängen mit einem Artikel zusammen, den sie online geteilt hatte und in dem Polizeiberichte über die Anschläge auf das Bardo-Museum enthalten waren. Die Vorwürfe gegen Walid Zarrouk stehen damit in Verbindung, dass er auf Facebook den Leiter der Antiterroreinheit genannt und kritisiert hatte.

Walid Zarrouk arbeitete früher als Ausbilder der Gefängnis-Hundestaffel. Er sprach sich gegen Folter und andere Misshandlungen aus, die während des Aufstandes 2011, der zum Sturz von Präsident Zine el-Abidine Ben Ali führte, in Gefängnissen verübt wurden. Nach dem Aufstand gründete er den Republikanischen Gefängnisverband, eine Gewerkschaft für Gefängnisbedienstete. Seiner Ehefrau zufolge wurde er gekündigt, nachdem er der Polizei öffentlich Korruption vorgeworfen und den staatlichen Sicherheitsapparat kritisiert hatte. Anschließend verließ er die Gewerkschaft und gründete die NGO Muraqib, um die Haftbedingungen und die Behandlung von Gefangenen in Gefängnissen und auf Polizeistationen zu dokumentieren und Menschenrechtsverstöße innerhalb des Justizwesens aufzudecken.

Amnesty International betrachtet das Antiterrorgesetz von 2015 kritisch. Es enthält eine vage Definition von "Terrorismus" und verlängert die Dauer der Inhaftierung ohne Anklage. Die Garantien für faire Gerichtsverfahren werden geschwächt, indem Gerichte befugt sind, die Identität von Zeugen zu verschweigen. Strafbar sind außerdem Meinungsäußerungen, die nach Auffassung der Behörden "den Terrorismus anpreisen". Es ist besorgniserregend, dass sich Walid Zarrouk und Ines Ben Othman unter Paragraf 71 und 78 des neuen Antiterrorgesetzes verantworten müssen, weil sie im Internet Informationen geteilt bzw. Kritik geäußert haben.

Walid Zarrouk wird seit Längerem von den Behörden für seine offene Kritik an der Regierung, der Justiz und den Sicherheitskräften drangsaliert. Bereits im Jahr 2015 wurde er unter Paragraf 128 des Strafgesetzbuchs für schuldig befunden, "einem Beamten ohne Beweise illegale Handlungen zugeschrieben zu haben, die sich auf die Ausübung seiner Arbeit beziehen", und zu drei Monaten Haft verurteilt. Im Dezember 2015 kam er nach Ableisten seiner Gefängnisstrafe frei. Weitere Informationen finden Sie in UA-241/2015, unter: www.amnesty.de/urgent-action/ua-241-2015/menschenrechtler-haft.

Die Filmregisseurin und Ehefrau von Walid Zarrouk, Ines Ben Othman, wurde im Januar 2015 unter Paragraf 125 wegen "Beleidigung eines diensthabenden Beamten" zu zwei Monaten Haft verurteilt. Weitere Informationen finden Sie in UA-003/2015, unter: www.amnesty.de/urgent-action/ua-003-2015/wegen-beamtenbeleidigung-haft.
Amnesty International kritisiert seit einiger Zeit, dass die tunesischen Behörden sich auf Gesetze berufen, die Beleidigung und Verleumdung unter Strafe stellen, um Regierungskritiker_innen, Journalist_innen, Blogger_innen und Künstler_innen strafrechtlich zu verfolgen. Die Organisation hat die tunesische Regierung bereits in der Vergangenheit aufgefordert, Gesetze zu überprüfen, die das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken. Hierzu zählen auch gewisse Bestimmungen des Strafgesetzbuchs.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist in Artikel 31 der tunesischen Verfassung von 2014 sowie in Artikel 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) festgeschrieben. Tunesien ist Vertragsstaat des IPbpR. Das Recht auf freie Meinungsäußerung beinhaltet auch das Recht, öffentlich Kritik an Staatsbediensteten und staatlichen Einrichtungen zu üben. Laut dem UN-Menschenrechtsausschuss, der die Einhaltung des IPbpR überwacht, sollten öffentliche Funktionsträger_innen sowie öffentliche Einrichtungen bereit sein, ein höheres Maß an Kritik hinzunehmen als "Normalbürger_innen". Bestimmungen oder Gesetze, die Staatsbediensteten besonderen Schutz vor Kritik zusprechen, sind mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung nicht vereinbar. Gewisse Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung können zulässig sein, wenn sie zum Schutz des öffentlichen Interesses oder zum Schutz der Rechte anderer nachweislich erforderlich und verhältnismäßig sind. Diese Einschränkungen sollten jedoch nicht strafrechtlich behandelt oder geahndet werden.