Urteil erwartet

Der Menschenrechtler 'Abdulhakim al-Fadhli, ein Angehöriger der Gemeinschaft der Bidun ("Staatenlose"), wurde am 2. August aus dem Kuwaiter Zentralgefängnis entlassen, nachdem er eine dreimonatige Haftstrafe wegen missbräuchlicher Nutzung seines Smartphones verbüßt hatte. Er erwartet nun ein Urteil des Kassationsgerichts für Ordnungswidrigkeiten, das voraussichtlich am 22. September über eine separate Anklage bezüglich "illegaler Versammlung" entscheiden wird.

Appell an

EMIR DES STAATES KUWAIT
His Highness
Sheikh Sabah al-Ahmad al-Jaber Al Sabah
Al Diwan Al Amiri
P.O. Box 1, al-Safat 13001
KUWAIT
(Anrede: Your Highness / Eure Hoheit)
Fax: (00 965) 2243 0559
E-Mail: amirsoffice@da.gov.kw

ERSTER STELLVERTRETENDER PREMIERMINISTER
His Excellency
Sheikh Mohammed Khaled Al-Hamad Al-Sabah
Ministry of the Interior
P.O. Box 12500
Shamiya 71655
KUWAIT
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 965) 2249 6570
E-Mail: info@moi.gov.kw

Sende eine Kopie an

VORSITZENDER DER PARLAMENTARISCHEN
MENSCHENRECHTSKOMMISSION
Parliamentary Human Rights Committee
National Assembly
P.O. Box 716
al-Safat 13008
KUWAIT
Fax: (00 965) 2243 6331
E-Mail: ipu-grp@kna.kw (Betreff: FAO Chairperson of the Parliamentary Human Rights Committee)

BOTSCHAFT DES STAATES KUWAIT
S. E. Herrn Monther Bader Sulaiman Aleissa
Griegstraße 5-7
14193 Berlin
Fax: 030-8973 0010
E-Mail: info@kuwait-botschaft.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 16. September 2016 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

LUFTPOSTBRIEFE, FAXE UND E-MAILS MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Lassen Sie bitte die Anklage wegen "illegaler Versammlung" gegen 'Abdulhakim al-Fadhli fallen, da sie sich lediglich auf die friedliche Wahrnehmung seiner Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit bezieht.

  • Bitte leiten Sie sofort eine unparteiische und unabhängige Untersuchung zu den Vorwürfen ein, 'Abdulhakim al-Fadhli sei gefoltert und auf andere Weise misshandelt worden. Bitte stellen Sie sicher, dass im Falle hinreichender Beweise strafrechtliche Ermittlungen und faire Verfahren gegen Personen eingeleitet werden, denen Folter und andere Misshandlungen zur Last gelegt werden.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Calling on Kuwaiti authorities to drop the charge of "illegal gathering" against 'Abdulhakim al-Fadhli as it stems solely from the peaceful exercise of his rights to freedom of expression and association.

  • Urging them to open a prompt, impartial and independent investigation into his allegations of torture and other ill-treatment, and, if there is sufficient admissible evidence, prosecute those suspected of responsibility in fair proceedings that meet international fair trial standards

Sachlage

Der gewaltlose politische Gefangene 'Abdulhakim al-Fadhli wurde am Abend des 2. August aus dem Kuwaiter Zentralgefängnis entlassen, nachdem er den Rest einer dreimonatigen Haftstrafe verbüßt hatte. Man brachte ihn kurz vor seiner Entlassung jedoch nicht in das Gebäude, in das Häftlinge normalerweise kurz vor ihrer Freilassung gebracht werden, sondern man verband ihm die Augen, legte ihm Handschellen an und brachte ihn in eine Einrichtung der Staatssicherheit in Süd-Surra, südlich von Kuwait. Dort wurde 'Abdulhakim al-Fadhli zwei Stunden lang von zwei Beamt_innen zu seinen geplanten Aktivitäten nach seiner Freilassung befragt. 'Abdulhakim al-Fadhli war am 15. März in Abwesenheit vor einem Gericht der ersten Instanz wegen missbräuchlicher Nutzung seines Smartphones im Zusammenhang mit Social-Media-Apps zu drei Monaten Haft verurteilt worden. Die bereits in Haft verbrachte Zeit wurde ihm dabei angerechnet.

Am 22. September wird das Kassationsgericht für Ordnungswidrigkeiten voraussichtlich sein Urteil in einem separaten Verfahren gegen 'Abdulhakim al-Fadhli sprechen. Der Vorwurf lautet auf "illegale Versammlung" und bezieht sich ausschließlich auf seine friedliche Teilnahme an einer "illegalen Versammlung" am 10. Dezember 2012 in Taima, westlich von Kuwait-Stadt, wofür er ursprünglich zu einem Jahr in Haft und anschließender Ausweisung aus Kuwait verurteilt worden war. Das Kassationsgericht betrachtete den Fall damals als eine Strafsache. Im Rechtsmittelverfahren hatte der technische Ausschuss des Obersten Justizrats die strafrechtlichen Anklagen jedoch in Anklagen wegen Ordnungswidrigkeiten umgewandelt. Deshalb werden Schuldspruch und Strafmaß derzeit vom Kassationsgericht für Ordnungswidrigkeiten geprüft. Als 'Abdulhakim al-Fadhli am 14. Juni auf den Transport vom Gericht zurück ins Gefängnis wartete, wurde er von drei Polizisten geschlagen und an der linken Stirnseite verletzt. Er reichte Beschwerde bei der Gefängnisverwaltung ein und wurde am darauffolgenden Tag von einem Arzt untersucht. Seine Misshandlungsvorwürfe wurden bisher jedoch nicht untersucht.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Kuwaitische Sicherheitskräfte nahmen den Menschenrechtler und Angehörigen der Gemeinschaft der Bidun 'Abdulhakim al-Fadhli am Abend des 18. April fest, als er an einer friedlichen privaten Versammlung vor dem Wohnhaus des ehemaligen Parlamentsmitglieds und gewaltlosen politischen Gefangenen Musallam Al Barrak teilnahm. Er war in Block 4 des Zentralgefängnisses von Kuwait inhaftiert, einem Hochsicherheitstrakt. Der Menschenrechtsverteidiger ist direkt nach seiner Festnahme 59 Tage lang in den Hungerstreik getreten, um gegen seine Inhaftierung und das Strafmaß zu protestieren. Er wurde während dieser Zeit drei Mal täglich von einem Arzt untersucht und durfte regelmäßig Telefongespräche führen. 'Abdulhakim al-Fadhli war bereits am 24. Februar 2014 festgenommen worden und verbrachte drei Monate im Zentralgefängnis von Kuwait in Haft. Er hat angegeben, nach seiner Festnahme vier Stunden lang geschlagen und mit Vergewaltigung bedroht worden zu sein. Zudem habe man ihn ohne einen Rechtsbeistand verhört. Einem Staatsanwalt gegenüber gab er an, Polizist_innen hätten ihn gezwungen, ein "Geständnis" zu unterschreiben. Während seiner Inhaftierung soll er zudem anderweitig körperlich und seelisch misshandelt worden sein, unter anderem indem man ihm eine Plastiktüte über den Kopf gezogen habe.

Es leben derzeit mehr als 100.000 Bidun in Kuwait. Viele von ihnen sind in Kuwait geboren und gehören Familien an, die dort bereits seit vielen Generationen leben. Trotz 2015 angekündigter Reformen sind Angehörige der Gemeinschaft der Bidun gegenüber kuwaitischen Staatsbürger_innen weiterhin schwerwiegenden Einschränkungen hinsichtlich des Zugangs zu Arbeitsplätzen, Gesundheitsleistungen, Bildung und staatlicher Unterstützung ausgesetzt. Gegen Demonstrationen der Bidun, bei denen sie ihre Rechte einfordern, wird häufig mit Gewalt und Unterdrückung vorgegangen. Weitere Informationen hierzu finden Sie in dem englischen Bericht: The 'Withouts’ of Kuwait: Nationality for stateless Bidun, unter http://amnesty.org/en/library/info/MDE17/001/2013/en/.

Bis 1986 waren die Bidun in ihrem Status kuwaitischen Staatsangehörigen gleichgestellt. Seitdem ist es Tausenden Bidun jedoch nicht mehr möglich, staatliche Dienstleistungen wahrzunehmen, für die man kuwaitische Ausweisdokumente benötigt, weil sie nur über vorläufige Papiere verfügen, deren Erneuerung im Ermessen der kuwaitischen Behörden liegt. Tausende weitere Bidun verfügen über gar keine Ausweispapiere und sind oftmals auf Almosen angewiesen, um überleben zu können. Der Einbürgerungsprozess, für den eine Regierungsbehörde zuständig ist, die den Status "illegaler" Einwohner_innen klären soll, ist undurchsichtig und basiert auf sich ständig ändernden Kriterien. Die Behörde bewertet Fälle und spricht Empfehlungen an einen Ausschuss aus, der letztendlich darüber entscheidet, ob den Betroffenen die Staatsbürgerschaft zugesprochen wird.

Aufgrund der Diskriminierung, die sie erfahren, akzeptieren Angehörige der Bidun, die im öffentlichen Sektor arbeiten dürfen, häufig niedrigere Löhne und schlechtere Arbeitsbedingungen als kuwaitische Staatsbürger_innen. Bidun zahlen zudem oftmals mehr für grundlegende medizinische Behandlungen, da sie diese nicht in staatlichen Einrichtungen wahrnehmen können. Obwohl es einen staatlichen Bildungsfonds gibt, der auch Bidun-Familien zugänglich ist, müssen Angehörige der Bidun ihre Kinder zum Teil auf kostenpflichtige Schulen schicken, da sie größtenteils von kostenfreien staatlichen Schulen ausgeschlossen werden. Im April 2011 sagte die Regierung zu, die Rechte der Bidun stärken zu wollen. Bisher ist es jedoch bei Versprechungen geblieben. In der Folge wird Zehntausenden Bidun noch immer das Recht auf eine Staatsangehörigkeit verwehrt, das in internationalen Menschenrechtsnormen festgeschrieben ist.

Von den Protesten inspiriert, die 2011 im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika ausbrachen, begann die Bidun-Gemeinschaft im Februar 2011 mit friedlichen Demonstrationen, um die kuwaitische Staatsangehörigkeit zu fordern. Die Sicherheitskräfte lösten die Kundgebungen gewaltsam auf und nahmen zahlreiche Protestierende fest. Einige von ihnen wurden wegen ihrer Teilnahme an den Demonstrationen angeklagt.

Der Premierminister von Kuwait sicherte Amnesty International am 18. Oktober 2012 zu, dass die Regierung 34.000 Bidun als kuwaitische Staatsangehörige anerkennen und die übrigen Fälle innerhalb von fünf Jahren bearbeiten werde.

Im November 2014 hat Kuwait bekannt gegeben, dass Zehntausende Bidun die Möglichkeit haben könnten, eine "wirtschaftliche Staatsbürgerschaft" der Komoren zu erhalten. Auf der Grundlage dieser Regelung könnten die Bidun dann als ausländische Staatsangehörige in Kuwait verbleiben (s. www.amnesty.org/en/latest/news/2014/11/kuwait-playing-games-lives-more-…). Am 16. Mai 2016 haben die Behörden der Komoren ihre Bereitschaft signalisiert, Tausende Bidun aus Kuwait aufzunehmen, wenn dieses Thema von amtlicher Seite behandelt werde.