Drohende Zwangsernährung

Turkmenistan
© Universität Texas
Der turkmenische Staatsbürger Mansur Mingelov war in einem unfairen Verfahren zu 22 Jahren Haft verurteilt worden. Am 19. Mai trat er in den Hungerstreik. Ihm droht nun die Zwangsernährung.
Appell an
GENERALSTAATSANWALT
Amanmyrat Khallyyev
Ul. 2005 (Seidi) 4
744000 Ashgabat, TURKMENISTAN
(Anrede: Dear Prosecutor General / Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt)
PRÄSIDENT
Gurbanguly Berdymukhamedov
Presidential Palace
744000 Ashgabat, TURKMENISTAN
(Anrede: Dear President / Sehr geehrter Herr Präsident)
Fax: (00 993) 12 93 51 12
(bitte faxen Sie zwischen 11.00 und 16.00 Uhr MEZ)
Sende eine Kopie an
INNENMINISTER
Isgender Mulikov
Ul. 2033 (pr. Mahtumkuli) 85
744000 Ashgabat, TURKMENISTAN
Fax: (00 993) 12 39 1944 (bitte faxen Sie zwischen 11.00 und 16.00 Uhr MEZ)
BOTSCHAFT VON TURKMENISTAN
Herr Annamammet Annayev
Geschäftsträger a.i., Botschaftsrat
Langobardenallee 14
14052 Berlin
Fax: 030-3010 2453
E-Mail: info@botschaft-turkmenistan.de
Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Turkmenisch, Russisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 3. Juli 2014 keine Appelle mehr zu verschicken.
Amnesty fordert:
LUFTPOSTBRIEFE UND FAXE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN
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Ich bitte Sie eindringlich, das Recht von Gefangenen auf Meinungsfreiheit zu respektieren und Hungerstreikende nicht zu bestrafen bzw. dazu zu zwingen, den Hungerstreik zu beenden. Sorgen Sie bitte auch dafür, dass hungerstreikende Insassen jederzeit Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung haben.
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Veranlassen Sie bitte umgehend ein Wiederaufnahmeverfahren für Mansur Mingelov, das den internationalen Standards für faire Verfahren entspricht. Hierzu zählt auch der Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl.
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Leiten Sie bitte unverzüglich eine unparteiische und wirksame Untersuchung aller Foltervorwürfe ein und stellen Sie alle für Folter oder Misshandlung Verantwortlichen vor Gericht.
- Ich bitte Sie außerdem, die Drangsalierung und Einschüchterung von Mansur Mingelov und seinen Familienangehörigen einzustellen.
PLEASE WRITE IMMEDIATELY
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Calling on the authorities to respect the right of prisoners to freedom of expression, and not to seek to punish them for carrying out a hunger strike or to coerce them to end it and to ensure that any hunger striking prisoner has access at all times to adequate health care.
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Calling on the authorities to instigate a prompt retrial of Mansur Mingelov in line with international fair trial standards, including allowing him access to a lawyer of his choice.
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Urging the authorities to initiate a prompt, impartial and effective investigation into all allegations of torture and that any State Drug Control Service officers found responsible for torture and/or ill-treatment are brought to justice.
- Calling on the authorities to stop harassment and intimidation of Mansur Mingelov and his relatives.
Sachlage
Der 39-jährige Mansur Mingelov, der der ethnischen Gruppe der Belutschen angehört, verbüßt derzeit eine 22-jährige Freiheitsstrafe im Gefängnis LBK/11 in Seidi in der Provinz Lebap im Nordosten von Turkmenistan. Am 19. Mai teilte er der Gefängnisleitung mit, dass er fortan weder feste noch flüssige Nahrung zu sich nehmen werde. So möchte Mansur Mingelov seiner Forderung nach einem Treffen mit Vertreter_innen der Generalstaatsanwaltschaft und des Nationalen Instituts für Demokratie und Menschenrechte, welches dem Präsidenten untersteht, Gewicht verleihen. Zudem möchte er eine Wiederaufnahme seines Verfahrens erreichen. Am 20. Mai besuchte ein Staatsanwalt aus Türkmenabat im Osten des Landes Mansur Mingelov im Gefängnis und drohte ihm mit Zwangsernährung, wenn er seinen Hungerstreik weiterführen sollte. Die Zwangsernährung eines geistig zurechnungsfähigen Hungerstreikenden ohne ärztliche Aufsicht und ohne plausible medizinische Gründe ist unvertretbar. Eine Zwangsernährung unter diesen Umständen könnte grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleichkommen.
Vertraulichen Quellen zufolge weist Mansur Mingelov alle Vorwürfe von sich und beteuert seine Unschuld. Er ist im Gefängnis zunehmendem Druck ausgesetzt, seitdem er öffentlich sein unfaires Verfahren und seine möglicherweise rechtswidrige Verlegung in das Hochsicherheitsgefängnis Ovadan-Depe angeprangert hat. Die Gefängnisbehörden drohten ihm damit, Familienbesuche zu verbieten und die Größe von Paketen einzuschränken, die er erhalten darf. Am 29. April statteten Angehörige des Staatsdienstes für die Sicherheit und den Schutz einer gesunden turkmenischen Gesellschaft (State Service for Security Protection of Healthy Society of Turkmenistan), dem ehemaligen staatlichen Drogenbekämpfungsdienst, dem Vater von Mansur Mingelov einen Besuch ab. Die Beamt_innen nahmen sein Mobiltelefon an sich, übertrugen alle Kontakte und Textnachrichten, und gingen wieder.
Mansur Mingelov wurde am 6. Juni 2012 in Verbindung mit einer Strafsache, die seinen Bruder betraf, festgenommen. Sein Bruder war einen Tag zuvor festgenommen worden. Mansur Mingelov soll am Tag seiner Festnahme von Angehörigen des Staatsdienstes für die Sicherheit und den Schutz einer gesunden turkmenischen Gesellschaft geschlagen worden sein. Er wurde zudem Zeuge, wie sein Bruder während des Verhörs von Sicherheitskräften geschlagen wurde. Beide Männer wurden in einem unfairen Verfahren am 10. September 2012 zu Haftstrafen verurteilt.
Hintergrundinformation
Mansur Mingelov und sein Bruder wurden in einem unfairen Verfahren am 10. September 2012 zu Haftstrafen verurteilt. Ihnen wird vorgeworfen, Minderjährige in unangemessene Handlungen involviert, pornografisches Material hergestellt und verteilt sowie Drogen geschmuggelt, hergestellt oder vertrieben zu haben (Paragrafen 156, 164, 254 und 292 des turkmenischen Strafgesetzbuchs). Vertraulichen Quellen zufolge soll Mansur Mingelov angegeben haben, den ihm von staatlicher Seite zugewiesenen Rechtsbeistand nur zweimal getroffen zu haben – nach ihrem ersten Treffen erst wieder bei der Gerichtsverhandlung. Während seiner Untersuchungshaft und im Laufe des Prozesses durfte Mansur Mingelov weder seine Familienangehörigen anrufen noch den Rechtsbeistand wechseln. Nach seiner Festnahme wurde er gegen seinen Willen für 15 Tage in ein Drogenrehabilitationszentrum verlegt. Am 22. Juni 2012 wurde er entlassen und legte bei der Generalstaatsanwaltschaft und dem turkmenischen Präsidenten Beschwerde gegen die Folter und Misshandlung seines Bruders ein. Dies führte zur Entlassung zweier Polizeibeamt_innen. Zwischen dem 25. Juni und dem 2. August 2012 – als er erneut festgenommen wurde – sammelte Mansur Mingelov Beweise dafür, dass auch andere Personen gefoltert und misshandelt wurden. Bei den meisten der mutmaßlichen Opfer handelt es sich um Belutschen aus der Provinz Mary welaýaty im Südosten Turkmenistans.
Mansur Mingelov hat bisher elf Fälle von Folter und anderer Misshandlung dokumentiert, die Angehörige der Gemeinschaft der ethnischen Belutschen in der Provinz Mary welaýaty betreffen. Die Informationen zu den Fällen brannte er auf CDs und schickte diese an die US-amerikanische Botschaft in der turkmenischen Hauptstadt Aşgabat sowie an die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und die Generalstaatsanwaltschaft. Mansur Mingelov zufolge erheben die Betroffenen unter anderem folgende Anschuldigungen gegen Angehörige der Sicherheitskräfte: Folter oder andere Misshandlung durch Verletzen der Knochen mit einem Meißel, Ziehen des Hodensacks mit einer Kneifzange, Elektroschocks sowie Prügel unter Einsatz von Stuhlbeinen und Plastikflaschen. Mansur Mingelov berichtet zudem, beim Staatsdienst für die Sicherheit und den Schutz einer gesunden turkmenischen Gesellschaft in Aşgabat einen Kasten mit Werkzeug gesehen zu haben, das speziell für Folterungen gedacht ist.
Einige turkmenische Menschenrechtsverteidiger_innen und Journalist_innen im Exil haben angegeben, dass Folter und Misshandlung in Turkmenistan ein sehr großes Problem ist. Es herrscht jedoch ein Klima der Angst, so dass kaum jemand Fälle von Folter oder Misshandlungen in Haft anzeigt oder nach der Entlassung aus dem Gefängnis darüber spricht.
Soweit bekannt, wurde in Turkmenistan noch nie jemand für den Straftatbestand der Folter strafrechtlich verfolgt. Auch gab es noch nie einen Fall, in dem durch Folter oder andere Misshandlung erlangte Beweise vor Gericht nicht zugelassen worden wären. Der UN-Ausschuss gegen Folter merkte in seinen abschließenden Beobachtungen zu Turkmenistan an, dass "das Fehlen umfassender und aufgeschlüsselter Daten zu Beschwerden, Untersuchungen, Strafverfolgungen und Verurteilungen in Fällen von Folter und Misshandlung durch Ordnungskräfte ein Erkennen möglicher Missbrauchsmuster, die beseitigt werden müssten, stark erschwert". Der Ausschuss empfahl daher den turkmenischen Behörden, klare statistische Daten zu sammeln und zu veröffentlichen.
Amnesty International hat in den vergangenen zehn Jahren Berichte über Folter und andere Misshandlungen in Turkmenistan erhalten, die unter anderem folgende Methoden enthielten: das Einführen von Nadeln unter die Fingernägel; Elektroschocks; Erstickung mittels einer Plastiktüte oder Gasmaske ohne Luftzufuhr; sexuelle Gewalt; gewaltsame Verabreichung psychotroper Substanzen; Schläge mit Schlagstöcken, Knüppeln oder mit Wasser gefüllten Plastikflaschen; Faustschläge; Tritte; Vorenthalten von Essen und Trinken; sowie das Aussetzen extremer Kälte. In jüngster Zeit hat Amnesty International zudem Berichte über Schläge, Vergewaltigungen und die gewaltsame Verabreichung von Drogen in Gefängnissen erhalten.
Der UN-Ausschuss gegen Folter drückte in seinen abschließenden Beobachtungen vom Juni 2011 Besorgnis über Berichte aus, dass grundlegende Schutzmechanismen gegen Folter wie beispielsweise das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand unmittelbar nach der Festnahme nicht eingehalten werden.