Russland: Anwältin aus Anwaltskammer ausgeschlossen

Das Bild zeigt das Porträtbild einer Frau

Die krimtatarische Menschenrechtsverteidigerin und Anwältin Lilia Hemedzhy

Lilia Hemedzhy, die als Anwältin Krimtatar*innen vertritt, ist aus der tschetschenischen Anwaltskammer in Russland ausgeschlossen worden. Dies ist eine Vergeltungsmaßnahme für ihre Arbeit auf der von Russland besetzten Krim. Zuvor war ihr Gesuch für einen Wechsel in die Anwaltskammer der Krim willkürlich abgelehnt worden. Durch den Ausschluss aus der Anwaltskammer kann sie Krimtatar*innen in strafrechtliche Verfahren nicht länger vertreten.

Appell an

Präsident der tschetschenischen Anwaltskammer

Shamkhan Katayev

21 Abdally 2 Ben Al-Husein Street

Grozny, 364016

RUSSISCHE FÖDERATION

Sende eine Kopie an

Botschaft der Russischen Föderation

S. E. Herrn Sergej J. Netschajew

Unter den Linden 63-65

10117 Berlin

Fax: 030-2299 397

E-Mail: info@russische-botschaft.de

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie und die Anwaltskammer der Tschetschenischen Republik daher höflich und mit Nachdruck auf, sich für Ihre Kollegin Lilia Hemedzhy einzusetzen und ihr die notwendige Unterstützung und den rechtlichen Beistand zu geben, um die schädigenden und einschüchternden Praktiken zu unterbinden, die darauf abzielen, sie an der Ausübung ihrer Tätigkeit als Anwältin für muslimische Mandant*innen auf der Krim zu hindern.
  • Unterstützen Sie das Berufungsverfahren von Lilia Hemedzhy bis zur letzten Instanz und legen Sie im Namen Ihrer Anwaltskammer Berufung gegen die Entscheidung des Bezirksgerichts Zheleznodorozhnyi in Simferopol auf der Krim ein.

Sachlage

Der Rechtsanwältin Lilia Hemedzhy wurde am 15. Juli 2022 die Zulassung entzogen, weil sie in Ausübung ihres Berufs auf der Krim Mitglieder der muslimischen Gemeinschaft der Krimtatar*innen vertreten hatte. Diese Entscheidung wurde zunächst zurückgenommen, doch dann focht die Anwaltskammer der Krim den Widerruf der Entscheidung vor einem Gericht auf der Krim an.

Lilia Hemedzhy ist wiederholt von den russischen De-facto-Behörden der Krim unter Druck gesetzt worden, Angehörige der Gemeinschaft der Krimtatar*innen nicht mehr rechtlich zu vertreten. Ihr wurde von Strafverfolgungsbehörden mit dem Ausschluss aus der Anwaltskammer gedroht. Zu diesem Zweck wurden Beschwerden gegen sie bei der Anwaltskammer eingereicht, in denen sie zu Unrecht der Missachtung des Gerichts, wiederholter Verstöße gegen das Gerichtsverfahren, Diskussionen mit dem*der Vorsitzenden Richter*in und Nichtbeachtung der Anweisungen von Gerichtsbediensteten beschuldigt wurde. In der Zwischenzeit lehnte die Anwaltskammer der Krim ihren Antrag auf Zulassung in dieser regionalen Anwaltskammer willkürlich ab und reichte vor dem Bezirksgericht von Simferopol (Krim) eine Klage gegen Lilia Hemedzhy als Mitglied der tschetschenischen Anwaltskammer ein. In dieser Klage wird auch darauf bestanden, die ursprüngliche Entscheidung der Qualifizierungskommission der tschetschenischen Anwaltskammer für ungültig zu erklären, die Lilia Hemedzhy die berufliche Qualifikation bescheinigt hatte.

Das Urteil des Krim-Gerichts vom 20. März 2023 gegen Lilia Hemedzhy führt dazu, dass ihre Mandant*innen, in der Mehrzahl Muslim*innen, sich ohne wirksame rechtliche Vertretung der strafrechtlichen Verfolgung durch die örtlichen Behörden gegenüber sehen. Das Urteil beraubt sie ihres Menschenrechts auf ein faires Verfahren und des Rechts auf freie Religionsausübung. Die Entscheidung hat auch eine erhebliche abschreckende Wirkung auf die Menschen, die auf der Krim wie auch in der Russischen Föderation in juristischen Berufen tätig sind. Lilia Hemedzhy bereitet derzeit einen Einspruch gegen ihren Ausschluss aus der Anwaltskammer vor.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Der Schutz von Rechtsanwält*innen vor Einschüchterung, Schikanen oder Beeinflussung, auch durch Ausschlussverfahren zur Entziehung ihrer Zulassung, ist eine wesentliche Voraussetzung für die Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Rechtspflege und des Rechts auf ein faires Verfahren. In den UN-Grundprinzipien betreffend die Rolle der Rechtsanwälte (angenommen vom Achten Kongress der Vereinten Nationen für Verbrechensverhütung und die Behandlung Straffälliger, Havanna, Kuba, 27. August bis 7. September 1990) wird darauf hingewiesen, dass ein "angemessener Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, auf die alle Menschen Anspruch haben, handele es sich um wirtschaftliche, soziale und kulturelle oder bürgerliche und politische Rechte, voraussetzt, dass alle Menschen einen effektiven Zugang zu den von einer unabhängigen Rechtsanwaltschaft geleisteten Diensten erhalten". In diesen UN-Grundprinzipien wird zudem ausgeführt: "Der Staat stellt sicher, dass die Rechtsanwält*innen a) in der Lage sind, alle ihre beruflichen Aufgaben ohne Einschüchterung, Behinderung, Schikanen oder unstatthafte Beeinflussung wahrzunehmen; b) in der Lage sind, zu reisen und sich mit ihren Mandant*innen frei zu beraten, sowohl im eigenen Lande als auch im Ausland; und c) wegen Handlungen, die mit anerkannten beruflichen Pflichten, Verhaltensregeln und Ehrenpflichten im Einklang stehen, keine strafrechtliche Verfolgung oder verwaltungsmäßige, wirtschaftliche oder andere Sanktionen erleidet oder damit bedroht wird."

Lilia Hemedzhy ist eine der wenigen Anwält*innen, die krimtatarischen Aktivist*innen im Kampf gegen ihre Verfolgung und für Gerechtigkeit unterstützen, und das in einem Umfeld, in dem Jurist*innen, die Dienstleistungen für Krimtatar*innen erbringen, Schikanen und Verfolgung ausgesetzt sind. Als Reaktion auf den ständigen Druck und die Versuche, sie an ihrer Arbeit als Menschenrechtsanwältin zu hindern, die Krimtatar*innen und die muslimische Gemeinschaft auf der Krim vertritt, hat sie eine Schule für Pflichtverteidiger*innen gegründet, in der sie ihre Erfahrungen und ihr Wissen mit anderen teilt.

Lilia Hemedzhy gehört auch zu den Gründungsmitgliedern der Organisation Krim-Solidarität, die am 9. April 2016 als Reaktion auf die politische und religiöse Verfolgung der Krimtatar*innen durch die russischen Behörden auf der Krim gegründet wurde. Ziel des Zusammenschlusses von Aktivist*innen, Rechtsbeiständen und Angehörigen von Inhaftierten ist es, deren Zugang zu rechtlicher, finanzieller, medizinischer oder sonstiger Unterstützung zu gewährleisten. Angesichts der Verfolgung kritischer Stimmen und der fehlenden freien Medienberichterstattung über die Situation auf der Krim seit 2014 versucht die Organisation außerdem, über die dortigen anhaltenden Menschenrechtsverletzungen zu informieren. Mehrere bekannte Mitglieder der Krim-Solidarität befinden sich nach konstruierten Vorwürfen im Gefängnis.

Die Gemeinschaft der Krimtatar*innen machte vor der russischen Besetzung und rechtswidrigen Annektierung der Halbinsel im Jahr 2014 durch die Russische Föderation etwa zwölf Prozent der dortigen Bevölkerung aus. Unter den Kritiker*innen der diskriminierenden russischen Maßnahmen im Bereich der Religions- und Glaubensfreiheit finden sich zahlreiche einflussreiche Krimtatar*innen; weshalb die De-facto-Behörden die gesamte Gemeinschaft der Krimtatar*innen als illoyal betrachten und sie mit Vergeltungsmaßnahmen ins Visier nehmen. Menschen, die sich seit 2014 zu den Menschenrechtsverletzungen auf der Krim äußern, werden verfolgt. Dazu gehören das Verschwindenlassen von Personen, Schikanen, Einschüchterungen, willkürliche Festnahmen, Folter und andere Misshandlungen sowie die strafrechtliche Verfolgung und langjährige Inhaftierung nach unfairen Gerichtsverfahren aufgrund politisch motivierter Anschuldigungen.