Immer noch verschwunden

Ein Mann trägt ein rotes T-shirt und einen blauen Turban um den Kopf gewickelt.

Der pakistanische Menschenrechtsverteidiger Seengar Noonari

Der Verbleib des pakistanischen Menschenrechtsverteidigers und unabhängigen Researchers Muhammad Idris Khattak ist nach seinem "Verschwinden" am 13. November 2019 weiterhin ungeklärt. Er ist Diabetiker und benötigt täglich Medikamente. Damit ist er angesichts der COVID-19-Pandemie besonders stark gefährdet. Seine Töchter befürchten, dass ihr Vater in Gefahr ist, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden.

Appell an

Premierminister

Imran Khan

Prime Minister’s Office

Constitution Avenue G-5/2

Islamabad

PAKISTAN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Islamischen Republik Pakistan
Schaperstr. 29
10719 Berlin
Fax: 030-2124 4210
E-Mail:
mail@pakemb.de

Amnesty fordert:

  • Bitte informieren Sie die Familie von Muhammad Idris Khattak sofort über seinen Aufenthaltsort.
  • Sorgen Sie dafür, dass er unverzüglich freigelassen oder vor ein ziviles Gericht gestellt wird, um über die Rechtmäßigkeit seiner Festnahme oder Inhaftierung zu entscheiden.

Sachlage

Es besteht große Sorge um das Leben und die Sicherheit von Muhammad Idris Khattak, einem 56-jährigen Menschenrechtsverteidiger und ehemaligen Berater von Amnesty International. Er soll am 13. November 2019 von Männern in Zivil mitgenommen und Opfer des Verschwindenlassens geworden sein.

Als Menschenrechtler und unabhängiger Researcher hat Muhammad Idris Khattak in der pakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa und den ehemaligen Stammesgebieten unter Bundesverwaltung Menschenrechtsverletzungen dokumentiert.

Amnesty International hat keine Informationen darüber, ob und inwiefern Muhammad Idris Khattak, der Diabetiker ist und täglich Medikamente benötigt, vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus geschützt wird. Seine Töchter Shumaisa und Talia machen sich sehr große Sorgen um ihn.

Das Verschwindenlassen ist eine der grausamsten Strafen. Den Aufenthaltsort und das Schicksal eines nahestehenden Menschen nicht zu kennen, wie es bei der Familie von Muhammad Idris Khattak der Fall ist, sorgt für viel Kummer und Leid. Fälle des Verschwindenlassens wirken sich schon lange negativ auf die Menschenrechtsbilanz Pakistans aus. Zum 30. Juni 2019 lagen der von der pakistanischen Regierung eingerichteten Untersuchungskommission für Fälle des Verschwindenlassens 2.141 ungelöste Fälle vor.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Muhammad Idris Khattak hat in der Vergangenheit als Berater für Amnesty International und andere internationale Menschenrechtsorganisationen gearbeitet. Seit Jahren dokumentiert er Menschenrechtsverletzungen und humanitäre Krisen in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa und den ehemaligen Stammesgebieten unter Bundesverwaltung.

Er befand sich am 13. November 2019 auf dem Heimweg aus Islamabad, als sein Mietwagen in der Nähe des Autobahnkreuzes Swabi in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa angehalten wurde. Außer ihm befand sich nur der Fahrer im Fahrzeug, mit dem Muhammad Idris Khattak bereits häufiger gereist war. Auch dieser wurde am 13. November verschleppt. Die Familie von Muhammad Idris Khattak erfuhr von dessen "Verschwinden" erst, als der Fahrer in der Nacht zum 15. November freigelassen wurde.

Gemäß dem von seiner Familie eingereichten Antrag auf polizeiliche Registrierung des Falls haben vier Männer in Zivil Muhammad Idris Khattak und seinem Fahrer schwarze Säcke über den Kopf gestülpt und sie an einen geheimen Ort gebracht.

Menschen, die Opfer des Verschwindenlassens werden, droht Folter oder gar der Tod. Die körperlichen und seelischen Folgen sind auch nach ihrer Freilassung noch spürbar. Das Verschwindenlassen ist ein Instrument der Unterdrückung, das sich nicht nur gegen einzelne Personen und Familien sondern auch gegen ganze Bevölkerungsgruppen richtet. Verschwindenlassen ist ein Verbrechen nach dem Völkerrecht. Wird Verschwindenlassen in Verbindung mit einem großflächigen oder systematischen Angriff begangen, stellt es ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.

In Pakistan wird das Verschwindenlassen häufig als Instrument benutzt, um abweichende Meinungen und Kritik an militärischen Maßnahmen zu unterdrücken. Zu den Einzelpersonen und Gruppen, die Opfer des Verschwindenlassens werden, gehören Sindhis, Belutsch_innen, Paschtun_innen, Schiit_innen, politische Aktivist_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen, Mitglieder und Unterstützer_innen religiöser und nationalistischer Gruppen, mutmaßliche Mitglieder bewaffneter Gruppen und Angehörige von in Pakistan verbotenen religiösen und politischen Organisationen.

Amnesty International sind 2019 fortlaufend Berichte über das Verschwindenlassen und die willkürliche Festnahme von Dissident_innen, Studierenden und anderen Bürger_innen aus dem ganzen Land zugegangen. Im Januar 2019 "verschwand" der politische Dissident Ahmad Mustafa Kanju aus seinem Haus in Rahim Yar Khan in der Provinz Punjab. Im Oktober 2019 wurde Suleman Farooq Chaudhry, ein junger Ingenieur, der sich in den sozialen Netzwerken kritisch zur Regierung geäußert hatte, außerhalb Islamabads festgenommen. Der Aufenthaltsort beider Männer ist ihren Familien nach wie vor nicht bekannt.

Nach dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen bedeutet Verschwindenlassen die "Festnahme, der Entzug der Freiheit, die Entführung oder jede andere Form der Freiheitsberaubung durch Bedienstete des Staates oder durch Personen oder Personengruppen, die mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates handeln, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen, oder der Verschleierung des Schicksals oder des Verbleibs der verschwundenen Person, wodurch sie dem Schutz des Gesetzes entzogen wird".

Die derzeitige Regierung unter Imran Khan hat versprochen, das Verschwindenlassen gesetzlich unter Strafe zu stellen. Bisher gab es allerdings keine entsprechenden Gesetzesvorlagen im Parlament. Laut Shireen Mazari, der Ministerin für Menschenrechte, hat die Regierung die Absicht, das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen zu unterzeichnen, doch gab es in dieser Hinsicht noch keine Fortschritte. Stattdessen wird die Praxis des Verschwindenlassens im Land weiterhin straflos fortgesetzt.