Pakistan: Menschenrechtler vor Militärgericht

Porträtfoto von Idris Khattak

Am 28. Januar 2021 lehnte das Hohe Gericht in Peschawar den Antrag von Idris Khattak auf ein Verfahren vor einem Zivilgericht ab und bestätigte stattdessen, dass seine anstehende Verhandlung vor einem Militärgericht stattfinden soll. Seinen Rechtsbeiständen und Angehörigen liegen kaum Informationen über das gegen ihn eingeleitete Verfahren vor. Dem Menschenrechtler drohen ein unfairer Prozess, eine lange Gefängnisstrafe oder sogar die Todesstrafe.

Appell an

Imran Khan

Prime Minister’s Office

Constitution Avenue G-5/2

Islamabad, PAKISTAN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Islamischen Republik Pakistan

S. E. Herrn Mohammad Faisal

Schaperstr. 29

10719 Berlin


Fax: 030–2124 4210

E-Mail: mail@pakemb.de

 

Amnesty fordert:

  • Informieren Sie bitte die Familienangehörigen von Muhammad Idris Khattak unverzüglich über dessen momentanen Aufenthaltsort.
  • Veranlassen Sie bitte, dass ein Zivilgericht über die Rechtmäßigkeit der Festnahme und Inhaftierung von Muhammad Idris Khattak urteilt.
  • Gewähren Sie ihm außerdem bitte unverzüglich Zugang zu seiner Familie und seinem Rechtsbeistand.

Sachlage

Es besteht große Sorge um das Leben und die Sicherheit von Muhammad Idris Khattak, einem 56-jährigen Menschenrechtsverteidiger und ehemaligen Berater von Amnesty International. Seit er am 13. November 2019 von Männern in Zivil verschleppt wurde, ist er ein Opfer des Verschwindenlassens. Erst sieben Monate später informierten die Behörden seine Familie über seinen Verbleib: Sie gaben zu, ihn in ihrem Gewahrsam zu haben.

Seitdem gelangen nur wenige Informationen zu dem Fall in die Öffentlichkeit. Am 7. Oktober 2020 durfte der Wissenschaftler seine Tochter Talia Khattak 20 Minuten lang treffen. Dieser Kontakt ist der einzige zu seiner Familie, der ihm seit seinem "Verschwinden" gewährt wurde. Die Trennung von seinen Angehörigen – die seinen derzeitigen Aufenthaltsort nach wie vor nicht kennen – ist eine grausame Strafe.

Die derzeitige Regierung unter Imran Khan hat den Familien von Verschwundenen in der Vergangenheit ihre Unterstützung gezeigt. Regierungsvertreter_innen haben sich sogar entsprechenden Demonstrationen angeschlossen. Doch die Rechte von Idris Khattak werden weiterhin verletzt und bisher wurde niemand für das, was ihm und seiner Familie angetan wird, zur Rechenschaft gezogen.

Die Nachricht, dass der Fall von Idris Khattak vor einem Militärgericht verhandelt werden soll, ist beunruhigend. Die pakistanischen Militärgerichte sind intransparent und missachten die Menschenrechte. Ein ordnungsgemäßes Verfahren wäre dort nicht gewährleistet. Gemäß Pakistans internationalen Menschenrechtsverpflichtungen darf er als Zivilist nicht vor ein Militärgericht gestellt werden. Die ihm drohende Todesstrafe untermauert diese Bedenken.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Bei einer Anhörung vor dem Hohen Gericht in Peshawar am 13. Januar 2021 erhob die Familie Khattak Einspruch dagegen, dass der Fall von Idris Khattak vor einem Militärgericht verhandelt werden soll: Als Zivilist müsse er vor ein ziviles Gericht gestellt werden. Mit einem am 28. Januar 2021 veröffentlichten Beschluss wurde der Einspruch zurückgewiesen. Am 30. Januar 2021 folgte die Begründung dieser Entscheidung, mit der weitere Einzelheiten zur Anklage gegen Idris Khattak bekannt wurden. Die Vorwürfe gegen ihn umfassen mehrere Anklagepunkte, die sich auf Spionage beziehen. Außerdem wird ihm ein Verhalten "zum Nachteil der Sicherheit oder der Interessen des Staates" vorgeworfen. Die Vorwürfe stützen sich auf Abschnitt 3 des Gesetzes über Staatsgeheimnisse (Official Secrets Act – OSA) sowie Abschnitt 59 des pakistanischen Armeegesetzes von 1952. Diese sehen vor, dass Fälle, in denen Zivilpersonen wegen bestimmter Straftaten unter dem OSA angeklagt sind, vor einem Militärgericht verhandelt werden.

Bei der "Straftat", die Idris Khattak zur Last gelegt wird, scheint es sich um ein Treffen mit Michael Semple im Juli 2009 zu handeln – das weit über ein Jahrzehnt vor seinem Verschwindenlassen stattfand. In dem Gerichtsbeschluss wird Michael Semple als MI6-Agent bezeichnet. Zum Zeitpunkt des Treffens war Michael Semple Mitarbeiter am Carr Center for Human Rights der Universität Harvard und seit 20 Jahren ein hochrangiger UN- und EU-Diplomat in Afghanistan. Er wurde 2008 wegen "unbefugter Aktivitäten" aus Afghanistan ausgewiesen. Michael Semple ist derzeit Professor an der Queen's University in Belfast.

Der Gerichtsbeschluss erwähnt weder das Verschwindenlassen von Idris Khattak noch die Verantwortung, die die Behörden dafür tragen, dass er von seiner Familie getrennt wurde und seine Familie im Unklaren darüber gelassen wurde, ob er überhaupt noch am Leben war.

Die Behörden sahen sich unter Druck und erlaubten Talia, der Tochter von Idris Khattak, am 7. Oktober 2020 ein 20-minütiges Treffen mit ihm. Während des überwachten Treffens durfte sie nicht in ihrer Muttersprache Paschtu mit ihm sprechen (in der sie sich normalerweise unterhalten) und konnte ihm keine Fragen zum Fall stellen. Er sagte ihr, dass die Anschuldigungen gegen ihn "fingiert" seien.

Seitdem gibt es keinen Kontakt mehr zwischen ihm und seiner Familie oder seinem Rechtsbeistand, und er wird weiterhin willkürlich festgehalten. Es gibt zwar Belege dafür, dass Idris Khattak am Leben ist, aber sein aktueller Aufenthaltsort ist unbekannt. Nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, zu dessen Vertragsstaaten Pakistan gehört, dürfen Zivilpersonen nicht vor Militärgerichte gestellt werden.

Muhammad Idris Khattak hat in der Vergangenheit als Berater für Amnesty International und andere internationale Menschenrechtsorganisationen gearbeitet. Über Jahre hinweg dokumentierte er Menschenrechtsverletzungen und humanitäre Krisen in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa und den ehemaligen Stammesgebieten unter Bundesverwaltung.

Muhammad Idris Khattak verschwand, als sein Mietwagen am 13. November 2019 auf dem Heimweg aus Islamabad in der Nähe des Autobahnkreuzes Swabi in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa angehalten wurde. Außer ihm befand sich nur der Fahrer im Fahrzeug, mit dem Muhammad Idris Khattak bereits häufiger gereist war. Auch dieser wurde verschleppt. Die Familie von Muhammad Idris Khattak erfuhr von dessen "Verschwinden" erst, als der Fahrer in der Nacht zum 15. November freigelassen wurde.

In der Nacht vom 16. Juni 2020 gab das Verteidigungsministerium zu, dass Idris Khattak in Gewahrsam gehalten wird. Einen Tag später wurde diese Information in einer Anhörung des Joint Investigation Teams bestätigt.

In Pakistan wird das Verschwindenlassen häufig als Instrument benutzt, um abweichende Meinungen und Kritik an militärischen Maßnahmen zu unterdrücken. Zu den Einzelpersonen und Gruppen, die Opfer des Verschwindenlassens werden, gehören Sindhis, Belutsch_innen, Paschtun_innen, Schiit_innen, politische Aktivist_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen, Mitglieder und Unterstützer_innen religiöser und nationalistischer Gruppen, mutmaßliche Mitglieder bewaffneter Gruppen und Angehörige von in Pakistan verbotenen religiösen und politischen Organisationen.

Das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen definiert erzwungenes Verschwinden als "die Festnahme, den Entzug der Freiheit, die Entführung oder jede andere Form der Freiheitsberaubung durch Bedienstete des Staates oder durch Personen oder Personengruppen, die mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates handeln, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen, oder der Verschleierung des Schicksals oder des Verbleibs der verschwundenen Person, wodurch sie dem Schutz des Gesetzes entzogen wird".

Die derzeitige Regierung unter Imran Khan hat versprochen, das Verschwindenlassen gesetzlich unter Strafe zu stellen. Bisher gab es allerdings keine entsprechenden Gesetzesvorlagen im Parlament. Laut Shireen Mazari, der Ministerin für Menschenrechte, hat die Regierung die Absicht, das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen zu unterzeichnen, doch gab es in dieser Hinsicht noch keine Fortschritte. Stattdessen wird die Praxis des Verschwindenlassens im Land weiterhin straflos fortgesetzt.