Minderjähriger Rohingya stirbt in Haft

Rohingya children playing

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Nachdem es 2016 bei großangelegten Sicherheitseinsätzen im Norden des myanmarischen Bundesstaates Rakhine zu zahlreichen Festnahmen gekommen war, ist nun ein Minderjähriger im Gewahrsam gestorben. Dies gibt Anlass zur Sorge um die Sicherheit von Hunderten inhaftierten Angehörigen der ethnischen Gruppe der Rohingya. Ihnen drohen Folter und andere Misshandlungen sowie unfaire Gerichtsverfahren.

Appell an

Lt. Gen. Kyaw Swe

Ministry of Home Affairs

Office No. 10

Nay Pyi Taw

MYANMAR

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik der Union Myanmar

I. E. Frau Yin Yin Myint

Thielallee 19

14195 Berlin

Amnesty fordert:

  • Geben Sie umgehend Informationen über das Schicksal und den Verbleib aller Personen bekannt, die während der Sicherheitseinsätze im Norden des myanmarischen Bundesstaates Rakhine inhaftiert wurden. Garantieren Sie bitte, dass die Inhaftierten menschenwürdig behandelt werden und unverzüglich wirksamen und regelmäßigen Zugang zu ihren Familien, Rechtsbeiständen und angemessener medizinischer Versorgung erhalten.
  • Lassen Sie alle Inhaftierten bitte sofort frei, sofern sie nicht umgehend einer international als Straftat anerkannten Handlung angeklagt werden. Wenn Minderjährige einer international als Straftat anerkannten Handlung angeklagt werden, sollten sie für die Dauer ihres Verfahrens in die Obhut ihrer Eltern bzw. ihres Vormunds gegeben werden.
  • Bitte leiten Sie eine unabhängige, unparteiische und wirksame Untersuchung der Todesfälle in Gewahrsam und der Folter- und Misshandlungsvorwürfe ein. Wenn hinreichende Beweise vorliegen, müssen die Verantwortlichen in fairen Verfahren ohne Rückgriff auf die Todesstrafe vor Gericht gestellt werden.

Sachlage

Nachdem es 2016 bei großangelegten Sicherheitseinsätzen im Norden des myanmarischen Bundesstaates Rakhine zu zahlreichen Festnahmen gekommen war, ist nun ein Minderjähriger im Gewahrsam gestorben. Dies gibt Anlass zur Sorge um die Sicherheit von Hunderten inhaftierten Angehörigen der ethnischen Gruppe der Rohingya. Ihnen drohen Folter und andere Misshandlungen sowie unfaire Gerichtsverfahren.

Am 5. Juni 2017 erklärte das Büro der Staatsrätin Daw Aung San Suu Kyi (De-facto-Regierungschefin) in einer Stellungnahme, dass Mammud Rawphi, der zwischen 13 und 15 Jahre alt war, am 2. Februar "während der Behandlung einer Magenschleimhautzündung" gestorben sei. Er war am 12. November 2016 festgenommen worden und befand sich seither im "Camp 3" der Grenzpolizei in Haft. Damit beläuft sich die Zahl der Personen, die in Haft gestorben sind, nachdem sie bei den Sicherheitseinsätzen im Norden des Bundesstaates Rakhine festgenommen worden waren, auf insgesamt acht Männer und Jungen. Zwar wurde in mindestens einem dieser Todesfälle eine Untersuchung eingeleitet, die Ergebnisse sind bisher jedoch nicht veröffentlicht worden.

Laut dem Büro der Staatsrätin befinden sich derzeit fünf Minderjährige im "Camp 3" der Grenzpolizei in Haft, während ihre Gerichtsverfahren wegen Mordes, Mitgliedschaft in einer rechtswidrigen Vereinigung und anderer Vergehen noch vor einem Jugendgericht andauern. Glaubwürdigen Berichten zufolge werden mindestens sechs weitere während der Sicherheitseinsätze festgenomme Minderjährige im Gefängnis von Buthidaung im Bundesstaat Rakhine festgehalten. Es wird befürchtet, dass diesen Minderjährigen vor einem Erwachsenengericht der Prozess gemacht wird.

Am 9. Oktober 2016 hatten Unbekannte Polizeiaußenstellen im Norden des Bundesstaates Rakhine angegriffen, neun Grenzpolizist_innen getötet und Waffen und Munition gestohlen. Die Minderjährigen sind nur einige von mehreren Hundert Personen, die seither von Behörden festgenommen wurden und gegen die dann "rechtliche Schritte eingeleitet" wurden. Bisher wurden keine offiziellen Informationen über die Identität, die Vorwürfe und den Aufenthaltsort dieser Personen herausgegeben. Sie alle sind in Gefahr, gefoltert und anderweitig misshandelt zu werden. Ihnen drohen unfaire und zum Teil geheime Gerichtsverfahren. Manche der Betroffenen scheinen Opfer des Verschwindenlassens geworden zu sein.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am 9. Oktober 2016 griffen Unbekannte Polizeiaußenstellen im Norden des Bundesstaates Rakhine an, töteten neun Grenzpolizist_innen und stahlen Waffen und Munition. Nach den Überfällen leiteten die Sicherheitskräfte eine umfassende Sicherheitsoperation ein. Sie riegelten das Gebiet ab, sodass nun weder die Medien noch humanitäre Organisationen oder unabhängige Menschenrechtsbeobachter_innen Zutritt haben. Seit Beginn der Sicherheitseinsätze hat Amnesty International eine ganze Reihe von Menschenrechtsverletzungen gegen die ethnische Gruppe der Rohingya dokumentiert, die von Sicherheitskräften und insbesondere Angehörigen des Militärs begangen werden. Hierzu zählen rechtswidrige Tötungen, willkürlicher Schusswaffeneinsatz gegen Zivilpersonen, willkürliche Festnahmen, Folter und andere Misshandlungen, Vergewaltigungen und andere sexuelle Straftaten sowie die großangelegte Zerstörung von Gebäuden der Rohingya, die Plünderung von Eigentum und die willkürliche Beschlagnahmung wichtiger Ausweispapiere. Weitere Informationen finden Sie in dem englischsprachigen Amnesty-Bericht Myanmar: "We are at breaking point" - Rohingya: Persecuted in Myanmar, neglected in Bangladesh, online unter: https://www.amnesty.org/en/documents/asa16/5362/2016/en.

Die genaue Anzahl von Menschen, die während der Sicherheitseinsätze festgenommen wurde, ist unbekannt. Im Januar 2017 wurde die Zahl von einem staatlichen Untersuchungsausschuss auf 485 Personen beziffert. Am 19. Februar erklärten die staatlichen Medien jedoch, dass 585 Personen festgenommen worden seien und dass 39 von ihnen vor Gericht gestellt würden, weil sie "Menschen getötet, öffentliches Eigentum zerstört und mit illegalen Organisationen kommuniziert" hätten. Gegen die übrigen Personen würde ermittelt. Im Juni 2017 äußerte der Sonderberichterstatter über die Menschenrechtssituation in Myanmar vor dem UN-Menschenrechtsrat Bedenken bezüglich der inhaftierten Minderjährigen im Norden des Bundesstaates Rakhine und appellierte an die myanmarische Regierung, den Tod von Mammud Rawphi zu untersuchen.

Myanmar ist Vertragsstaat des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention) und ist daher völkerrechtlich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Minderjährige nicht willkürlich ihrer Freiheit beraubt werden. Gemäß der Kinderrechtskonvention muss Myanmar sicherstellen, dass die Festnahme oder Inhaftierung von Minderjährigen stets nur als letztes Mittel und für den kürzestmöglichen Zeitraum erfolgt. Die Betroffenen müssen zudem menschenwürdig und ihrem Alter entsprechend behandelt werden. Myanmar muss zudem sicherstellen, dass festgenommene bzw. inhaftierte Minderjährige Zugang zu rechtlichem Beistand und regelmäßigen Kontakt zu ihrer Familie haben.

Laut internationalen Menschenrechtsstandards liegt im Fall eines Freiheitsentzugs die Verantwortung für das Schicksal der Inhaftierten bei den zuständigen Behörden, welche die körperliche Unversehrtheit der Inhaftierten zu gewährleisten haben. Sollte eine Person im Gewahrsam sterben, so muss ungeachtet der vermuteten Todesursache umgehend eine unparteiische und unabhängige Untersuchung vorgenommen worden. Der Staat ist nicht nur dann für Todesfälle im Gewahrsam verantwortlich, wenn staatliche Akteure den Tod durch Misshandlung herbeigeführt haben, sondern auch dann, wenn die Behörden ihrer Verpflichtung zum Schutz der Rechte von Häftlingen nicht nachkommen, beispielsweise dann, wenn Gefangene infolge schlechter Haftbedingungen oder fehlender medizinischer Behandlung sterben. Die UN-Grundsätze für die effektive Verhinderung und Untersuchung von außergerichtlichen, willkürlichen und summarischen Hinrichtungen fordern von Staaten die umgehende Durchführung gründlicher und unparteiischer Untersuchungen, wenn sich ein vermeintlich unnatürlicher Todesfall in Haft ereignet. Im Rahmen dieser Untersuchungen sollten Beweise gesammelt, eine Autopsie vorgenommen und Augenzeugenberichte eingeholt werden, um Ursache, Art und Zeitpunkt des Todes festzustellen und dafür zu sorgen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Ergebnisse und Methoden sollten veröffentlicht werden.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY:

  • Immediately disclose the fate and whereabouts of all individuals detained during the security operations in northern Rakhine State and ensure that they are treated humanely, allowed effective, prompt and regular access to their family, lawyers of their own choosing and adequate medical care.
  • Immediately release all detainees unless they are promptly charged with an internationally recognizable offence. Where children have been charged with an internationally recognizable offence, release them into the custody of their parent or guardian while their trials are ongoing.
  • Undertake independent, impartial and effective investigations into deaths in custody and allegations of torture or other ill-treatment by the security forces and bring all those suspected to be responsible to justice in trials which meet international standards of fairness, without recourse to the death penalty.