Zwei Gefangene im Hungerstreik

Das Evin-Gefängnis in Teheran, August 2008

Das Evin-Gefängnis in Teheran, August 2008

Die iranischen Journalist_innen Sanaz Alahyari und Amirhossein Mohammadifar befinden sich seit dem 4. Juli im Hungerstreik. Damit protestieren sie gegen ihre Inhaftierung und das massive Vorgehen der Behörden gegen Arbeitsrechtsaktivist_innen und Journalist_innen, die über die Proteste in der Zuckerrohrfabrik Haft Tappeh berichtet hatten. Nach Angaben der Gefängnisärzt_innen ist der Gesundheitszustand von Sanaz Alahyari besorgniserregend. Es besteht die ernste Gefahr eines Atemstillstands.

Appell an

Ali Alghasi Mehr

Prosecutor General of Tehran

Office of the Prosecutor

Corner (Nabsh-e) of 15 Khordad Square

Tehran, IRAN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Islamischen Republik Iran

Herrn Ali Akbar Dabiran


Geschäftsträger a.i.

Podbielskiallee 65-67

14195 Berlin


Fax: 030 83 222 91 33

E-Mail: info@iranbotschaft.de

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie auf, Amir Amirgholi, Sanaz Alahyari und Amirhossein Mohammadifar umgehend und bedingungslos freizulassen, da sie gewaltlose politische Gefangene sind, die nur aufgrund der friedlichen Wahrnehmung ihres Rechts auf Meinungsfreiheit –sie berichteten über die Proteste in der Zuckerrohrfabrik Haft Tappeh in der Provinz Khuzestan – inhaftiert sind.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass Sanaz Alahyari und Amirhossein Mohammadifar Zugang zu unabhängigen Ärzt_innen erhalten, die sie entsprechend der Medizinethik versorgen und die Grundsätze der Vertraulichkeit, Patientenautonomie und Einwilligung nach Aufklärung einhalten.

Sachlage

Sanaz Alahyari und Amirhossein Mohammadifar protestieren seit dem 4. Juli mit einem Hungerstreik gegen ihre anhaltende Inhaftierung. Die beiden Journalist_innen werden – wie ihr Kollege Amir Amirgholi – seit Januar 2019 im Teheraner Evin-Gefängnis festgehalten. Zuvor hatten alle drei über Arbeitskämpfe in der südiranischen Provinz Khuzestan (auch Chusestan) berichtet. Dort war es im November 2018 zu einer erneuten Protestwelle in der Zuckerrohrfabrik Haft Tappeh gekommen, bei der die Auszahlung ausstehender Löhne und bessere Arbeitsbedingungen gefordert wurden. Sanaz Alahyaris Gesundheitszustand war bereits vor dem Hungerstreik schlecht. Am 14. Juli gaben Gefängnisärzt_innen an, dass ihr ein Atemstillstand drohen könnte – ein lebensbedrohlicher Zustand.

Sanaz Alahyari leidet seit mindestens zwei Monaten an wiederkehrenden Magenschmerzen, Gewichtsverlust und starkem Zittern in Händen und Beinen. Ihre Angehörigen haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Gefängnisbehörde wiederholt um ihre Verlegung in ein Krankenhaus außerhalb des Gefängnisses gebeten, um sie dort untersuchen zu lassen. Außerdem haben sie in dieser Angelegenheit einen Brief an den Generalstaatsanwalt von Teheran, Ali Alghasi Mehr, sowie den Generalstaatsanwalt des Landes, Mohammad Jafar Montazeri, geschrieben. Ihre Bitten blieben jedoch unbeantwortet. Am 8. Juli hatte sich Sanaz Alahyaris Zustand so verschlechtert, dass sie in das Gefängniskrankenhaus verlegt werden musste. Dort sollte sie intravenös mit Flüssigkeit versorgt werden, was sie jedoch verweigerte. Am 15. Juli war sie mehrere Minuten lang bewusstlos.

Amirhossein Mohammadifar wurde am 14. Juli von mehreren Mitgefangenen, die wegen Gewaltverbrechen verurteilt worden waren, zusammengeschlagen. Dieser Übergriff verstärkt langjährige Bedenken gegen eine gemeinsame Unterbringung von gewaltlosen politischen Gefangenen mit Häftlingen, die eine Strafe wegen Gewaltverbrechen verbüßen. Sowohl aus dem Evin-Gefängnis als auch aus anderen Haftanstalten wird häufig von ungezügelten Gewaltausbrüchen berichtet, die in den Abteilungen für Gewalttäter_innen an der Tagesordnung sind. Diese gehen sowohl vom Personal als auch von den Häftlingen aus. Nach den UN-Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen sind "die verschiedenen Kategorien von Gefangenen in getrennten Anstalten oder Anstaltsabteilungen unterzubringen, unter Berücksichtigung (...) ihrer Vorstrafen, der rechtlichen Gründe ihrer Inhaftierung und der Erfordernisse ihrer Behandlung". Gewalttätige und übergriffige Häftlinge müssen von anderen getrennt untergebracht werden. Das Verhalten der iranischen Behörden verstößt klar gegen diese Bestimmungen, womit sie für die Misshandlung von Amirhossein Mohammadifar verantwortlich sind.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Sanaz Alahyari und ihr Ehemann Amirhossein Mohammadifar sind für das Online-Magazin Gam tätig und berichten über Fragen der sozialen Gerechtigkeit und zum Thema Arbeitsrechte. Sie wurden am 9. Januar 2019 festgenommen und in die Abteilung 209 des Evin-Gefängnisses überstellt, die dem Geheimdienstministerium untersteht. Dort verbrachten sie einige Zeit in Einzelhaft, bevor Sanaz Alahyari in den Frauentrakt und Amirhossein Mohammadifar in die Abteilung 4 des Evin-Gefängnisses verlegt wurden. Bis zu ihrer Verlegung wurden beide ohne Anwesenheit eines Rechtsbeistands verhört. Ihren Angehörigen wurde gesagt, dass sie ihre Rechtsbeistände aus einer Liste von Anwält_innen auswählen müssten, die zuvor von der Obersten Justizautorität bewilligt wurden. Sie weigerten sich jedoch, diese Einschränkung zu akzeptieren.

Nach Informationen von Amnesty International wurde Sanaz Alahyari während ihres Aufenthalts in Abteilung 209 des Evin-Gefängnisses in einer dunklen Zelle festgehalten, in die kein Tageslicht drang. Sie musste auf dem Boden schlafen. Unter Umständen, die Amnesty International nicht bekannt sind, ging ihre Brille kaputt. Die Behörden verweigern ihr jedoch einen Ersatz. Erst 20 Tage nach ihrer Festnahme durfte Sanaz Alahyari Besuch von ihren Angehörigen erhalten. Dabei waren sie durch eine Glasscheibe von einander getrennt. Bei ihrem zweiten Besuch im März 2019 stellten ihre Angehörigen fest, dass Sanaz Alahyaris Augen stark geschwollen waren. Seitdem hat die Journalistin weitere Gesundheitsprobleme entwickelt. Bereits vor Beginn des Hungerstreiks litt sie an wiederkehrenden Magenschmerzen und starkem Zittern in Händen und Beinen. Außerdem hatte sie etwa zehn Kilo abgenommen.

Amir Amirgholi wurde am 14. Januar 2019 von Angehörigen des Geheimdienstministeriums festgenommen und in die Abteilung 209 des Teheraner Evin-Gefängnisses überstellt. Seine Festnahme erfolgte in der Stadt Babolsar in der nordiranischen Provinz Mazandaran. Er wurde 40 Tage lang in Einzelhaft gehalten und anschließend in das Sheyban-Gefängnis der Stadt Ahvaz in der Provinz Khuzestan gebracht. Seine Verlegung erfolgte offenbar aufgrund eines entsprechenden Ersuchens des Geheimdienstministeriums und der Staatsanwaltschaft der Stadt Shush, die in der Nähe von Ahvaz liegt. Diese hatten seit November 2018 bereits zahlreiche Festnahmen von Protestierenden veranlasst, die sich an den friedlichen Arbeitskämpfen der Belegschaft von Haft Tappeh beteiligt hatten. Die südwestliche Provinz Khuzestan ist eines der Wirtschaftszentren des Iran. Es kommt dort immer wieder zu Massenprotesten, die unter anderem von den Stahlarbeitern in Ahvaz und den Arbeitern der Zuckerrohrfabrik Haft Tappeh in Shush getragen werden. Am 28. April wurde Amir Amirgholi zurück in das Evin-Gefängnis verlegt.

Am 29. April 2019 wurden Sanaz Alahyari, Amirhossein Mohammadifar und Amir Amirgholi einzeln von der Staatsanwaltschaft über die gegen sie erhobenen Anklagepunkte informiert. Dazu zählen "Versammlung zur Verschwörung gegen die nationale Sicherheit", "Verbreitung von Propaganda gegen das System", "Verbreitung von Lügen" sowie "Mitgliedschaft in einer Gruppe, die mit dem Ziel gebildet wurde, die nationale Sicherheit zu stören". Die Vorwürfe gegen die Journalist_innen wurden ausschließlich aufgrund ihrer Berichterstattung über die Arbeitskämpfe in der Zuckerrohrfabrik Haft Tappeh erhoben, bei denen die Auszahlung ausstehender Löhne und bessere Arbeitsbedingungen gefordert wurden. Sie haben friedlich ihre Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wahrgenommen. Die Journalist_innen warten derzeit auf ihren Prozess, der in der Abteilung 28 des Teheraner Revolutionsgerichts stattfinden soll.

Gegen mindestens vier weitere Personen wurde im Zusammenhang mit ihrer friedlichen Teilnahme an den Protesten in der Zuckerrohrfabrik Haft Tappeh ein Strafverfahren eingeleitet: gegen die drei Arbeitsrechtsaktivist_innen Esmail Bakhshi, Sepideh Gholian und Ali Nejati, sowie gegen die Journalistin Asal Mohammadi. Esmail Bakhshi und Sepideh Gholian werden seit dem 20. Januar festgehalten. Ihre Festnahme erfolgte offensichtlich als Vergeltungsmaßnahme dafür, dass sie offen über die Folter gesprochen hatten, die sie ihnen zufolge während ihrer Haft im November und Dezember 2018 erleiden mussten (siehe UA-011/2019, MDE 13/9745/2019 vom 29. Januar 2019). Ali Nejati, der ehemalige Vorsitzende und derzeitiges Mitglied des Gewerkschaftsverbandes von Haft Tappeh, wurde am 29. November 2018 festgenommen. Am 28. Januar 2019 wurde er dann, bis zu seiner Verhandlung, gegen Kaution wieder freigelassen. Auch Asal Mohammadi ist für das Online-Magazin Gem tätig. Sie wurde am 8. Dezember 2018 festgenommen und am 5. Januar 2019, bis zu ihrer Verhandlung, gegen Kaution wieder freigelassen. Amnesty International geht davon aus, dass die Strafverfolgungsbehörden die Fälle der vier mit denen von Sanaz Alahyari, Amirhossein Mohammadifar und Amir Amirgholi zusammengelegt haben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie gemeinsam vor Gericht stehen werden.