Iran: Protestierende gefoltert und inhaftiert

Collage aus zwei Fotos. Links ist ein Foto von Habib Afkari im Smoking und rechts daneben ist ein Foto von Vahid Afkari, der ein blaues Poloshirt trägt. Beide schauen in die Kamera.

Die Brüder Habib und Vahid Afkari aus dem Iran

Die Brüder Vahid Afkari und Habib Afkari sind im Adelabad-Gefängnis in Shiraz Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt. Seit September 2020 werden sie in fensterlosen Zellen in Einzelhaft gehalten, ohne Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung, frischer Luft, Telefonanrufen oder Besuchen von Angehörigen zu haben. Die Behörden haben sie 2018 nach ihrer Teilnahme an Protesten willkürlich festgenommen. Sie wurden Opfer des Verschwindenlassens und über Monate wiederholt gefoltert. In grob unfairen Verfahren verurteilte ein Gericht sie zu langen Haftstrafen.

Appell an

Oberste Justizautorität

Ebrahim Raisi

c/o Embassy of Iran to the European Union

Avenue Franklin Roosevelt No. 15

1050 Brüssel

 BELGIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Islamischen Republik Iran

S.E. Herrn Mahmoud Farazandeh

Podbielskiallee 65-67

14195 Berlin

Fax: 030 83 222 91 33

E-Mail: info@iranbotschaft.de

Amnesty fordert:

  • Hiermit fordere ich Sie auf, Vahid Afkari und Habib Afkari freizulassen, da sie willkürlich inhaftiert sind, ihre unfairen Schuldsprüche und Strafen aufzuheben und alle gegen sie im Zusammenhang mit ihrer friedlichen Teilnahme an Protesten erhobenen Anklagen fallenzulassen. Bis zu ihrer Freilassung müssen sie unter Bedingungen festgehalten werden, die internationalen Standards für die Behandlung von Gefangenen entsprechen. Dazu gehört auch der Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung und zu ihren Familien.
  • Sollten sie wegen international anerkannter Straftaten angeklagt werden, sorgen Sie bitte dafür, dass die Wiederaufnahmeverfahren den internationalen Standards eines fairen Verfahrens entsprechen und erzwungene Geständnisse ausschließen. Leiten Sie unverzüglich unabhängige und unparteiische Untersuchungen ihrer Folter- und anderer Misshandlungsvorwürfe ein und sorgen Sie dafür, dass alle Personen, die dafür strafrechtlich verantwortlich sein könnten, in fairen Verfahren ohne Anwendung der Todesstrafe vor Gericht gestellt werden.

 

Sachlage

Die Brüder Vahid Afkari und Habib Afkari wurden 2018 nach ihrer Teilnahme an Protesten in Shiraz festgenommen und zu langen Haftstrafen verurteilt. Ihnen und ihren Rechtsbeiständen zufolge handelte es sich dabei um friedliche Proteste. Wie sie berichten, wurden sie am 5. September 2020 im Adelabad-Gefängnis in Shiraz brutal geschlagen und anschließend in Einzelhaft überstellt. Offensichtlich handelte es sich dabei um Vergeltungsmaßnahmen, weil sie sich nach dem Verbleib ihres Bruders Navid Afkari erkundigt hatten. Dieser war am 3. September aus der Todeszelle an einen unbekannten Ort gebracht worden. Er wurde am 12. September 2020 im Geheimen hingerichtet. Seither befinden sich die Brüder in fensterlosen Zellen, zusammen oder zeitweise auch allein. Die Gefängnisbehörden verweigern ihnen den Zugang zu nennenswertem Kontakt mit anderen Häftlingen, zu frischer Luft, Telefonanrufen und Besuchen von Angehörigen. Darüber hinaus wird ihnen bewusst eine angemessene medizinische Versorgung verweigert, auch für folterbedingte Verletzungen. Beide leiden an chronischen Wirbelsäulenschmerzen. Habib Afkari benötigt aufgrund von Zahnschmerzen außerdem eine spezielle zahnärztliche Behandlung.

Am 17. September 2018 nahm die Ermittlungseinheit der iranischen Polizei (Agahi) Vahid Afkari und Navid Afkari fest und beschuldigte sie grundlos verschiedener friedlicher sowie gewalttätiger Aktivitäten, die als Gefahr für die "nationale Sicherheit" eingestuft wurden. Außerdem wurden sie beschuldigt, am 2. August 2018 einen Angehörigen des Geheimdienstes erstochen zu haben, vermeintlich aus Rache, weil dieser an der Unterdrückung von Protesten beteiligt war, die zuvor an diesem Tag in Shiraz stattgefunden hatten. Am 13. Dezember 2018 nahmen Angehörige des Geheimdienstministeriums Habib Afkari unter Einsatz von Gewalt fest, nachdem sie ihn wiederholt gewarnt hatten, keine Erkundigungen zum Verbleib seines Bruders anzustellen. Er wurde im Zusammenhang mit Protesten verschiedener friedlicher und gewaltsamer Aktivitäten beschuldigt. Die Brüder beteuerten vor Gericht und in schriftlichen Eingaben wiederholt ihre Unschuld und sagten, sie seien durch Folter zu einem "Geständnis" gezwungen worden. Dessen ungeachtet und trotz des Mangels an glaubwürdigen Beweisen wurde Vahid Afkari in mehreren grob unfairen Verfahren zu 33 Jahren und neun Monaten Haft sowie 74 Stockhieben und Habib Afkari zu 15 Jahren und acht Monaten Haft sowie 74 Stockschlägen verurteilt.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Vahid Afkari und Habib Afkari beteuern, dass sie friedlich an Protesten teilgenommen haben, die zwischen Ende Dezember 2017 und Anfang Januar 2018 sowie zwischen Ende Juli und Anfang August 2018 in Shiraz in der Provinz Fars stattgefunden haben. Die Protestierenden hatten zu verschiedenen Bereichen Kritik geäußert, die von Klagen über Armut und Korruption bis hin zur offenen Ablehnung des Systems der Islamischen Republik reichten, das von vielen Demonstrierende als "klerikale Diktatur" bezeichnet wurde.

Nach eingehender Prüfung der Gerichtsunterlagen und anderer juristischer Dokumente zu den Fällen von Vahid Afkari und Habib Afkari ist Amnesty International zu dem Schluss gekommen, dass ihre Schuldsprüche und Strafmaße juristisches Unrecht darstellen. Die Behörden haben die Rechte von Vahid Afkari und Habib Afkari auf ein faires Verfahren verletzt. Dazu gehören auch die Rechte auf Zugang zu wirksamer Unterstützung durch einen unabhängigen Rechtsbeistand ihrer Wahl; auf unverzügliche Unterrichtung über die gegen sie erhobenen Vorwürfe; das Recht zu schweigen und darauf, sich nicht selbst zu belasten; auf Anfechtung der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung vor einem unabhängigen, unparteiischen Gericht; auf Schutz vor Folter und anderer Misshandlung; die Rechte auf genügend Zeit und angemessene Einrichtungen, um eine Verteidigung vorzubereiten sowie auf vollen Zugang zu relevanten Beweisen; das Recht, Zeugen zu benennen, zu vernehmen und ins Kreuzverhör zu nehmen; das Recht, die Echtheit von Beweisen anzufechten; das Recht auf eine faire, öffentliche Verhandlung vor einem zuständigen, unabhängigen und unparteiischen Gericht sowie das Recht auf eine angemessene Überprüfung von Schuldspruch und Strafmaß durch ein höheres Gericht.

Vahid Afkari und Habib Afkari wurden im September bzw. Dezember 2018 festgenommen und im Anschluss für jeweils 12 bzw. 35 Tage Opfer des Verschwindenlassens. In schriftlichen Stellungnahmen sowie vor Gericht gaben sie an, zwischen ihrer Festnahme und dem Abschluss der Ermittlungen im April 2019 wiederholt gefoltert und anderweitig misshandelt worden zu sein, um ein "Geständnis" zu erzwingen. Wie sie erklärten, wurden sie in verlängerter Einzelhaft gehalten, wiederholt geschlagen, getreten oder mit Stöcken und Kabeln verprügelt, wobei sie die Augen verbunden hatten. Außerdem wurden sie psychologisch gefoltert, indem man ihnen drohte, sie zu töten oder Angehörige ihrer Familie zu inhaftieren, zu töten, sexuell zu missbrauchen oder diesen anderen Schaden zuzufügen. Habib Afkari berichtete, dass Angehörige des Geheimdienstes ihn außerdem mehrere Tage hintereinander an einem Stuhl ketteten und seinen Kopf mit Plastikfolie umwickelten, sodass er Erstickungsangst hatte. Laut einem ärztlichen Attest vom 30. Oktober 2019 war Habib Afkaris linke Schulter ausgekugelt und sein linkes Handgelenk sowie einer seiner Zehen waren gebrochen. Vahid Afkari unternahm am 26. Oktober 2018 und am 2. April 2019 einen Suizidversuch; beide Male versäumten es die Behörden, ihm eine angemessene physische und psychische Versorgung zuteilwerden zu lassen und brachen seine Krankenhausbehandlung entgegen schriftlicher ärztlicher Warnungen vorzeitig ab. Die wiederholten Anfragen der Brüder, ihren Foltervorwürfen nachzugehen, wurden abgelehnt und ignoriert.

Bei sieben der acht Anklagepunkte, in denen Habib Afkari im Juli 2019 vom Strafgericht 2 von Shiraz und im Juni 2020 vom Revolutionsgericht von Shiraz für schuldig befunden wurde, und bei fünf der sechs Anklagepunkte, in denen Vahid Afkari im Juli 2019 vom Strafgericht 2 von Shiraz und im Dezember 2020 vom Revolutionsgericht von Shiraz schuldig gesprochen wurde, handelt es sich um vage und zu weit gefasste Anklagepunkte im Zusammenhang mit der "nationalen Sicherheit". Dies sind international nicht anerkannte Anklagen, die immer wieder benutzt werden, um die Ausübung der Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung im Iran zu kriminalisieren. Zu ihnen gehören "Störung der öffentlichen Ordnung", "kriminelles" Verhalten, das unter den Tatbestand der "Verdorbenheit auf Erden" fällt, "Beleidigung des Religionsführers", "Widerstand gegen Beamt_innen im Dienst", "Beleidigung von Beamt_innen im Dienst", "Mitgliedschaft in einer Gruppe zum Zweck der Störung der nationalen Sicherheit" und "Versammlung und Absprache zur Begehung von Verbrechen gegen das Leben und Eigentum von Menschen". Einige der vermeintlichen Aktivitäten, die in der Anklage der Staatsanwaltschaft angeführt wurden, betrafen friedliches Verhalten wie die "wiederholte" Teilnahme an Protesten und Sprechchören bei Protesten, die von den Behörden als "rechtswidrig" bezeichnet wurden, sowie das Beschreiben von Wänden mit Slogans. Bei den anderen angeführten Aktivitäten handelte es sich um Diskussionen, die die Brüder nach Angaben der Behörden zu verschiedenen Zeitpunkten im Jahr 2018 über mögliche Brandstiftungen und Anschläge zum Kampf gegen das System der Islamischen Republik geführt haben sollen, ohne diese jedoch tatsächlich durchzuführen. Die Behörden liefern keinerlei Beweise für diese Behauptungen und verlassen sich allein auf die erzwungenen "Geständnisse" der Angeklagten.

Die einzigen Anklagepunkte, bei denen es sich um international anerkannte Straftaten handelt, sind "Beihilfe zum Mord" im Fall von Vahid Afkari, auf die 25 Jahre seiner Haftstrafe entfallen, und im Fall von Habib Afkari "vorsätzliche Zufügung von Verletzungen mit einem scharfen Gegenstand", auf die acht Monate seiner Haftstrafe entfallen. Wie Recherchen von Amnesty International zeigen, konnten die Strafverfolgungsbehörden keine glaubwürdigen Beweise für diese Anklagen vorlegen. Vahid Afkari und Habib Afkari wurden im Oktober 2019 vom Strafgericht 1 in Fars bzw. im Juli 2019 vom Strafgericht 2 in Shiraz im Wesentlichen auf der Grundlage ihrer durch Folter erzwungenen "Geständnisse" zu diesen Anklagepunkten für schuldig befunden. Bei der Ablehnung der Anträge von Vahid Afkari, seine durch Folter verfälschten "Geständnisse" als Beweismittel auszuschließen und Ermittlungen anzuordnen, sagte das Strafgericht 1 der Provinz Fars, er und sein Bruder Navid Afkari hätten die Foltervorwürfe "unter dem Einfluss dessen erhoben, was ihnen [von Insassen] im Gefängnis vermittelt wurde, mit dem Gedanken, durch das Leugnen der Realität möglicherweise einer Bestrafung entgehen zu können".