Algerien: Urteil gegen Journalisten bestätigt

Das Foto zeigt Ihsane El Kadi lächelnd im Anzug mit Krawatte vor einem Banner sitzen, auf dem unter anderem die Wörter "Radio" und "Maghreb" stehen.

Der algerische Journalist Ihsane El Kadi (undatiertes Foto)

Am 12. Oktober 2023 bestätigte auch der Oberste Gerichtshof von Algerien die siebenjährige Haftstrafe gegen Ihsane El Kadi. Damit wies das Gericht die zwei Rechtsmittel zurück, die von den Rechtsbeiständen des bekannten Journalisten eingelegt worden waren, und folgte der vorangegangenen Entscheidung des Berufungsgerichts von Algier. Ihsane El Kadi war wegen seiner journalistischen Tätigkeit verurteilt worden, er ist seit dem 24. Dezember 2022 inhaftiert. Er muss umgehend aus dem Gefängnis El Harrach, in dem er sich aktuell befindet, freigelassen werden. Amnesty International fordert nun eine Begnadigung durch den Präsidenten.

Appell an

Präsident
Abdelmadjid Tebboune
Présidence de la République
Place Mohammed Seddik Benyahiya, El Mouradia
Algier 16000
ALGERIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Demokratischen Volkrepublik Algerien
S. E. Herrn Larebi El Hadj Ali
Görschstr. 45–46
13187 Berlin
Fax: 030 4809-8716
E-Mail: info@algerische-botschaft.de 

 

Amnesty fordert:

  • Bitte begnadigen Sie Ihsane El Kadi. 
  • Darüber hinaus fordere ich Sie höflich auf, dem gezielten Vorgehen gegen unabhängige Medien und Journalist*innen sowie der Zensur durch vage formulierte Paragrafen im Strafgesetzbuch, um das Recht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken, ein Ende zu setzen.

Sachlage

Die andauernde Inhaftierung von Ihsane El Kadi gibt Anlass zu großer Sorge. Der Journalist war in zwei Gerichtsverfahren zu insgesamt mehr als sieben Jahren Haft verurteilt worden: 2022 wegen eines Artikels, den er 2021 über die Rolle der nicht anerkannten Partei Rachad in der Protestbewegung Hirak geschrieben hatte, zu sechs Monaten, und 2023 wegen Investitionen in sein Medienunternehmen sowie seiner Tätigkeit als Journalist zunächst zu fünf Jahren. Die zweite Strafe wurde später im Berufungsverfahren von fünf auf sieben Jahre erhöht, von denen zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden. Beide Urteile beruhen auf erfundenen und vagen Anschuldigungen, die mit den internationalen Menschenrechtsnormen unvereinbar sind und die von den algerischen Behörden dazu genutzt werden, den Journalismus zu kriminalisieren. 

Am 12. Oktober 2023 wies der Oberste Gerichtshof Algeriens zwei Rechtsmittel der Rechtsbeistände von Ihsane El Kadi zurück. Die erste Kassationsbeschwerde richtete sich gegen die Verurteilung von Ihsane El Kadi wegen der Entgegennahme ausländischer Gelder in der Absicht, "die Staatssicherheit zu gefährden". Dieser Vorwurf steht im Zusammenhang mit Geld, das er von seiner Tochter erhalten und in sein Medienunternehmen investiert hat. 

Das zweite Rechtsmittel bezog sich auf eine frühere Verurteilung von Ihsane El Kadi zu einer sechsmonatigen Haftstrafe wegen eines von ihm veröffentlichten Artikels, in dem er die Rolle der nicht anerkannten politischen Partei Rachad in der Protestbewegung Hirak untersucht hatte. Im März 2021 wurde Ihsane El Kadi von der Gendarmerie von Bab Jdid vorgeladen, nachdem das Kommunikationsministerium wegen dieses Artikels Anzeige gegen ihn erstattet hatte. Im Juni 2022 wurde er wegen "Veröffentlichung falscher Informationen" gemäß Paragraf 196 (bis) zu sechs Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe verurteilt. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass es in diesem Fall keine Wiederaufnahme des Verfahrens geben wird, obwohl Artikel 54 der Verfassung besagt, dass "Pressedelikte nicht mit Freiheitsstrafen belegt werden können".

Der 64-jährige Ihsane El Kadi ist seit über einem Jahr auf der Grundlage von falschen Anschuldigungen willkürlich im Gefängnis von El Harrach inhaftiert. Die lange Inhaftierung hat seine Gesundheit massiv beeinträchtigt.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Ihsane El Kadi ist Journalist sowie Leiter und Gründer der Mediengruppe Interface Médias, zu dem der Sender Radio M und die Nachrichtenwebsite Maghreb Émergent gehören. Er hat die algerischen Behörden in mehreren Artikeln offen kritisiert. Diese reagierten mit Schikanen und nahmen seine Mediengruppe ins Visier. 2020 wurden sowohl die Website von Radio M als auch die von Maghreb Émergent in Algerien gesperrt. Ihsane El Kadi war seit 2021 mehrfach von Sicherheitsdiensten in die Generaldirektion für Innere Sicherheit in Algier vorgeladen und dort befragt worden.

Sicherheitskräfte in Zivil hatten Ihsane El-Kadi am 24. Dezember 2022 ohne Haftbefehl in seiner Wohnung in Zemmouri, 40 Kilometer östlich von Algiers, festgenommen. Seine Festnahme erfolgte unmittelbar nach der Veröffentlichung eines Artikels, in dem er seine Prognosen für die nächsten Präsidentschaftswahlen 2024 abgegeben und die Rolle der algerischen Armee bei der Unterdrückung der freien Meinungsäußerung in Algerien erläutert hatte. Später führten ihn Sicherheitsbeamt*innen in Handschellen zu den Büroräumen von Radio M und Maghreb Émergent. Dort forderten sie die Mitarbeiter*innen zum Gehen auf, beschlagnahmten Computer und andere Materialien und versiegelten die Türen, ohne ihm eine Erklärung zu geben oder ihn darüber zu informieren, aus welchen Gründen er festgenommen wurde. Er wurde fünf Tage lang von Sicherheitsbeamt*innen festgehalten und zu seinen Veröffentlichungen befragt. Am 29. Dezember 2022 ordnete ein Ermittlungsrichter am erstinstanzlichen Gericht von Sidi M'hamed in Algier die Inhaftierung von Ihsane El Kadi im Gefängnis von El Harrach an, nachdem die Staatsanwaltschaft ihn wegen mehrerer Verstöße gegen das Strafgesetzbuch angeklagt hatte. Zu den Vorwürfen gehörte die Entgegennahme von Geldern, "die der Sicherheit des Staates schaden könnten", die Entgegennahme ausländischer Gelder "für politische Propaganda" und die Verbreitung von Propaganda "mit dem Ziel, dem nationalen Interesse zu schaden" – eine Anklage, die später fallen gelassen wurde. Der Richter beschuldigte ihn auch auf der Grundlage der Verordnung 77-3 aus dem Jahr 1977, laut der für die Beschaffung finanzieller Mittel eine vorherige Genehmigung durch den Gouverneur oder das Innenministerium erforderlich ist. Am 15. Januar 2023 verlängerte das Gericht von Sidi M'hamed die Untersuchungshaft von Ihsane El Kadi ohne Anwesenheit seines Rechtsbeistands und verstieß damit gegen sein Recht auf ein faires Verfahren.

Bereits im Februar und März 2022 war Ihsane El Kadi von zwei algerischen Gerichten wegen "Terrorismus" und anderer Anklagen strafrechtlich verfolgt worden, weil er Verbindung zu Zaki Hannache und Tahar Khouas hatte, zwei Menschenrechtsverteidigern, die mehrere Wochen in Algerien inhaftiert waren. Die Anklagen gegen ihn wurden fallen gelassen, doch wurde er im Juni 2022 in einem dritten Fall zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Das Kommunikationsministerium hatte wegen eines Artikels, den er 2021 über die Rolle der nicht anerkannten Partei Rachad in der Protestbewegung Hirak geschrieben hatte, Klage gegen ihn eingereicht.

Am 2. April 2023 verurteilte das Gericht von Sidi M'hamed in Algier Ihsane El Kadi zu fünf Jahren Haft, von denen zwei zur Bewährung ausgesetzt wurden, und einer Geldstrafe von 700.000 algerischen Dinar (etwa 4.700 Euro). Außerdem ordnete es die Auflösung seines Medienunternehmens, das zu den letzten unabhängigen Medien des Landes gehört, und die Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 10 Millionen Dinar (etwa 67.500 Euro) als Schadensersatz an die algerische Regulierungsbehörde für audiovisuelle Medien an. Diese hatte zuvor eine Zivilklage gegen Interface Médias wegen "Nutzung eines audiovisuellen Kommunikationsdienstes ohne Genehmigung" erhoben. Ihsane El Kadi wurde verurteilt, weil er Geld, das ihm seine Tochter schickte, in sein Medienunternehmen investierte und seiner Tätigkeit als Journalist nachging. Am 18. Juni 2023 verkündete das Berufungsgericht Algier sein Urteil in einem Berufungsverfahren, das die Rechtsbeistände von Ihsane El Kadi eingeleitet hatten. Es bestätigte den Schuldspruch und erhöhte seine Strafe von fünf auf sieben Jahre, von denen zwei zur Bewährung ausgesetzt wurden. Das Berufungsgericht erkannte die Menschenrechtsverstöße, die seit seiner Festnahme gegen Ihsane El Kade begangen wurden, nicht an und sorgte auch nicht für Abhilfe.

Am 16. Januar 2023 haben mehrere UN-Sonderberichterstatter*innen, darunter der Sonderberichterstatter für das Recht auf freie Meinungsäußerung und der Sonderberichterstatter für Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, in einer Mitteilung an den algerischen Präsidenten ihre Besorgnis über die Festnahme und Inhaftierung von Ihsane El Kadi zum Ausdruck gebracht. Sie äußerten sich besorgt über die mögliche Verletzung der Standards für ein faires Verfahren, die unklare Rechtsgrundlage der Anschuldigungen gegen Ihsane El Kadi und die Schwere der in den Paragrafen 95 und 95 bis des Strafgesetzbuchs vorgesehenen Strafen. Sie äußerten ihre tiefe Besorgnis darüber, dass die algerischen Behörden Sicherheitsmaßnahmen missbrauchen, um die freie Meinungsäußerung in den Medien zu verhindern. Die Ständige Vertretung Algeriens bei den Vereinten Nationen antwortete am 15. März 2023, dass Ihsane El Kadi "in Anwendung der Grundsätze der Legalität, des fairen Verfahrens und der Achtung der Würde und der Menschenrechte und in Übereinstimmung mit Paragraf 1 der Strafprozessordnung in den Genuss aller Rechte gekommen ist, die ihm als Angeklagtem gesetzlich zustehen." Er sei festgenommen worden, "weil er verdächtigt wurde, die oben genannten Taten begangen zu haben, und nicht wegen seiner journalistischen Tätigkeit". 

Seine Verurteilung ist ein klarer Verstoß gegen sein Recht auf freie Meinungsäußerung und das jüngste Beispiel dafür, dass die algerischen Behörden kritische Stimmen und unabhängige Medien immer stärker unterdrücken. In den vergangenen zwei Jahren wurden Dutzende Journalist*innen, Blogger*innen, Aktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen schikaniert, bedroht und unrechtmäßig inhaftiert, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung wahrgenommen haben.