Ägypten: Student erneut in unfairem Verfahren verurteilt

Porträt eines Mannes mit dunklen Locken und Brille, der in die Kamera lächelt.

Der ägyptische Student Ahmed Samir Santawy (Archivaufnahme)  

Am 4. Juli sprach ein Staatssicherheitsgericht den ägyptischen Forscher Ahmed Samir Santawy wegen "Veröffentlichung falscher Informationen" schuldig und verurteilte ihn zu drei Jahren Haft. Die Verurteilung basiert allein auf Social-Media-Posts, in denen Menschenrechtsverletzungen in Ägypten und der Umgang der Regierung mit der Pandemie kritisiert wurden. Urteile von Staatssicherheitsgerichten sind nicht anfechtbar. Ahmed Samir Santawy ist ein gewaltloser politischer Gefangener, der seit Februar 2021 willkürlich in Haft ist und umgehend und bedingungslos freigelassen werden muss.

Appell an

President Abdelfattah al-Sisi

Office of the President

Al Ittihadia Palace

Cairo

ÄGYPTEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Arabischen Republik Ägypten

S. E. Herrn

Khaled Mohamed Galaleldin Abdelhamid

Stauffenbergstraße 6-7

10785 Berlin 

Fax: 030-477 1049

E-Mail: embassy@egyptian-embassy.de

Amnesty fordert:

  • Machen Sie die Verurteilung und das Strafmaß gegen Ahmed Samir Santawy rückgängig und lassen Sie ihn umgehend und bedingungslos frei, da er ein gewaltloser politischer Gefangener ist, der lediglich aufgrund der friedlichen Wahrnehmung seiner Menschenrechte inhaftiert ist.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass er bis zu seiner Freilassung Zugang zu seinen Familienangehörigen, Rechtsbeiständen und angemessener Gesundheitsversorgung erhält, wenn nötig auch außerhalb des Gefängnisses.

Sachlage

Der Forscher und Anthropologie-Masterstudent Ahmed Samir Santawy wurde am 4. Juli 2022 in einem Wiederaufnahmeverfahren vor einem Staatssicherheitsgericht für schuldig befunden, "falsche Informationen veröffentlicht zu haben, um den Staat, seine nationalen Interessen und die öffentliche Ordnung zu untergraben und Panik in der Bevölkerung zu verbreiten". Hierbei handelt es sich um dieselbe Anklage, auf deren Grundlage er ursprünglich am 22. Juni 2021 verurteilt wurde. Die damalige vierjährige Gefängnisstrafe wurde nun in eine dreijährige Haftstrafe umgewandelt. Verfahren vor Staatssicherheitsgerichten sind von Natur aus unfair und nicht anfechtbar – sie müssen lediglich vom Präsidenten autorisiert werden.

Am 16. Februar 2022 ordnete Präsident Abdel Fattah al-Sisi ein Wiederaufnahmeverfahren gegen Ahmed Samir Santawy an, das am 21. Februar vor einem Staatssicherheitsgericht begann. In beiden Prozessen wurde gegen das Recht des Angeklagten auf ein faires Gerichtsverfahren verstoßen. So wurde ihm beispielsweise das Recht vorenthalten, den Schuldspruch und das Strafmaß von einem höheren Gericht überprüfen zu lassen. Zudem war er nicht in der Lage, seine Verteidigung angemessen vorzubereiten, da seine Rechtsbeistände sich während des Ermittlungs- und Gerichtsverfahrens nicht mit ihm alleine treffen durften. Auch die Verurteilung in diesem neuen Verfahren basiert ausschließlich auf Social-Media-Posts, in denen Menschenrechtsverletzungen in ägyptischen Gefängnissen sowie der Umgang der Regierung mit der Pandemie kritisiert wurden. Ahmed Samir Santawy streitet ab, der Verfasser der Posts zu sein. Unabhängig davon, wer die Beiträge verfasst hat, verstößt die Kriminalisierung der Verbreitung von Informationen auf der Grundlage vager Begriffe wie "Falschinformationen" gegen das in der ägyptischen Verfassung garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung und gegen internationale Menschenrechtsabkommen.

Ahmed Samir Santawy wird im Tora-Gefängniskomplex südlich von Kairo festgehalten. Dort befindet er sich im Gefängnis Tora Farm (Mazraet), wo er sich eine kleine fensterlose Zelle mit einem Mitgefangenen teilt. Bei seinem letzten Familienbesuch am 16. Juli gab er an, seit Tagen an hohem Fieber und Brechreiz zu leiden. Gleichzeitig gibt es Berichte über einen erneuten Covid-19-Ausbruch in dem Gefängnis und die Schließung des Gefängniskrankenhauses. Aus gut informierten Quellen hat Amnesty International erfahren, dass die Behörden weder Ahmed Samir Santawy noch andere kranke Insassen des Tora-Gefängniskomplexes in den vergangenen Wochen in Krankenhäuser außerhalb des Gefängnisses verlegt haben.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Ahmed Samir Santawy ist als Masterstudent der Anthropologie an der Central European University (CEU) in Wien eingeschrieben. Seine Forschungsarbeit konzentriert sich auf die Geschichte reproduktiver Rechte in Ägypten. Er wurde am 1. Februar 2021 bei einem Urlaub in Ägypten festgenommen und wird seither willkürlich festgehalten. Am 6. Februar 2021 wurde Ahmed Samir Santawy der Staatsanwaltschaft der Staatssicherheit (SSSP) vorgeführt, eine Sondereinheit der Staatsanwaltschaft, die sich mit Fällen der "Staatssicherheit" befasst. In den fünf Tagen zuvor galt er als "verschwunden". Die SSSP ordnete seine Inhaftierung bis zum Abschluss der Ermittlungen im Fall Nr. 65/2021 an. Grundlage dafür waren unbegründete Terrorismusvorwürfe auf der Basis geheimer Ermittlungen des Geheimdienstes (National Security Agency – NSA), die weder er noch seine Rechtsbeistände einsehen durften. Am 22. Mai 2021 eröffnete die SSSP ein neues strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen ihn mit der Fallnummer 774/2021. Sechs Tage später wurde in diesem neuen Fall der Prozess gegen ihn eröffnet.

Bei seiner Anhörung vor der SSSP am 22. Mai 2021 sagte Ahmed Samir Santawy aus, dass er am Tag zuvor vom stellvertretenden Gefängnisdirektor des Liman-Tora-Gefängnisses geschlagen worden sei. Seine Rechtsbeistände beantragten seine Verlegung in eine gerichtsmedizinische Einrichtung, um die Verletzungen untersuchen zu lassen. Der willkürlich inhaftierte Menschenrechtsanwalt und ehemalige Parlamentsabgeordnete Zyad el-Elaimy befindet sich ebenfalls nur wegen seiner friedlichen politischen Aktivitäten und der Wahrnehmung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung im Liman-Tora-Gefängnis in Haft. Auch seine Familie legte bei der Staatsanwaltschaft Beschwerde ein und gab an, dass Zyad el-Elaimy und Ahmed Samir Santawy am 21. Mai von Gefängnisbeamt*innen geschlagen wurden. Am 25. Mai wies das Innenministerium diese Vorwürfe zurück und behauptete, sie seien von Medienkanälen in Umlauf gebracht worden, die der verbotenen Muslimbruderschaft nahestehen. Bisher ist keine Untersuchung der Misshandlungsvorwürfe eingeleitet worden. Auch die Angaben von Ahmed Samir Santawy gegenüber der Staatsanwaltschaft bezüglich seines Verschwindenlassens und seiner Folter und Misshandlung nach der Festnahme am 1. Februar 2021 durch NSA-Angehörige sind nicht untersucht worden.

Ahmed Samir Santawy trat im Juni 2021 für 40 Tage in den Hungerstreik, um gegen seine ursprüngliche Verurteilung vom 22. Juni 2021 zu protestieren. Am 28. Januar 2022 stellte die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen fest, dass die ägyptische Regierung Ahmed Samir Santawy entgegen internationaler Menschenrechtsnormen willkürlich inhaftiert habe, und forderte seine umgehende Freilassung.

Dass gegen Urteile von Sondergerichten keine Rechtsmittel eingelegt werden können, verweigert Angeklagten das wichtige Verfahrensrecht, ihre Verurteilung und das Strafmaß von einem höheren Gericht überprüfen zu lassen. Die Verurteilung von Ahmed Samir Santawy wegen Social-Media-Posts durch ein Sondergericht vermittelt eine erschreckende Botschaft über die Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit in Ägypten und den Einsatz solcher Gerichte als Instrument der Unterdrückung. Bevor in Ägypten der Ausnahmezustand im Oktober 2021 aufgehoben wurde, stellte die SSSP monatelang Dutzende Oppositionspolitiker*innen sowie Menschenrechtler*innen und Aktivist*innen wie z. B. Abdelmoneim Aboulfouttoh, Ezzat Ghoneim, Alaa Abdel Fattah, Zyad el-Elaimy, Mohamed al-Baqer und Mohamed Radwan "Oxygen" vor Staatssicherheitsgerichte. Doch auch noch nach der Aufhebung des Ausnahmezustands sind zahlreiche Oppositionelle, Kritiker*innen und Menschenrechtler*innen vor Staatssicherheitsgerichten schuldig gesprochen und in grob unfairen Verfahren zu zwischen drei und 15 Jahren Haft verurteilt worden. Paragraf 19 des Gesetzes über den Ausnahmezustand sieht vor, dass laufende Verfahren auch nach der Aufhebung des Ausnahmezustands fortgesetzt werden können.

Pauschale Verbote der Informationsverbreitung, die auf vagen und mehrdeutigen Begriffen wie "Falschnachrichten" oder "Verbreitung von Fehlinformationen" beruhen, sind mit internationalen Menschenrechtsnormen und -standards unvereinbar, da sie nicht den Prinzipien der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit entsprechen. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat festgestellt, dass allgemeine Verbote der Äußerung einer irrigen Meinung oder einer Missinterpretation von Ereignissen gegen Artikel 19 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte verstoßen, dessen Vertragsstaat Ägypten ist. Nach internationalem Recht ist eine Inhaftierung willkürlich, wenn sie aus der Ausübung von Menschenrechten resultiert oder auf der Grundlage eines unfairen Verfahrens erfolgt. Dies gilt auch dann, wenn die Inhaftierung unter nationalem Recht zulässig ist.