Amnesty Journal 31. März 2015

Duldsamkeit

Kriege, Terror und Katastrophen haben die Zahl der Menschen, die auf der Flucht sind, ansteigen lassen. Mehr als 50 Millionen sind es weltweit. 53 von ihnen sollen in der norddeutschen Provinz untergebracht werden. Nicht viel mehr suchen in Island Zuflucht. Die Nöte und Probleme sind die gleichen, wie zwei Dokumentarfilme zum Thema Flucht zeigen.

Von Jens Dehn

Beobachtungen aus der Provinz, so könnte man "Willkommen auf Deutsch" untertiteln. Zwei Dörfer im Landkreis Harburg sind Schauplatz des Dokumentarfilms von Hauke Wendler und Carsten Rau. Tespe hat rund 4.000 Einwohner, Appel kaum mehr als 400.

In diesen Orten sollen Asylbewerber untergebracht werden, weil die Quote es so will: Wenn Flüchtlinge in Deutschland ankommen, werden sie vom Bund auf die Länder verteilt, die Länder verteilen sie auf die Landkreise und die Landkreise müssen geeignete Grundstücke und Unterkünfte finden.

Dass das nicht immer im Einklang mit den Anwohnern geschieht, ist unschwer zu erahnen. Besonders prekär gestaltet sich die Situation in Appel: Hier soll die verhältnismäßig hohe Anzahl von 53 Flüchtlingen in die kleine Dorfgemeinschaft integriert werden.

Der Landkreis Harburg liegt zwischen der Lüneburger Heide und Hamburg. 240.000 Menschen leben hier, die Arbeitslosigkeit liegt bei gerade einmal fünf Prozent. Keine NPD-Hochburg, sondern die westdeutsche Mehrheitsgesellschaft wollten die ­Filmemacher Wendler und Rau unter die Lupe nehmen, mit all ihren Ängsten, Vorurteilen, aber auch privaten Hilfsinitiativen.

Anfang 2015 wird "Willkommen auf Deutsch" in ausgewählte Kinos kommen. Nicht selbstverständlich für einen Dokumentarfilm und ein Beleg dafür, wie aktuell die Thematik ist. "Die Flüchtlingszahlen steigen seit zwei Jahren wieder rapide an und wir denken, dass man jetzt frühzeitig anfangen muss, das Thema in der Mitte der Gesellschaft aufzugreifen", sagt Wendler.

Eine Situation wie zu Beginn der neunziger Jahre, als der Slogan "Das Boot ist voll" auch von weiten Teilen der bürgerlichen Presse aufgegriffen wurde und damit Ängste geschürt wurden, dürfe es nicht noch einmal geben. "Völlig unabhängig davon, dass Flüchtlinge auf unsere Hilfe angewiesen sind, bringen sie ja auch viel mit, sie sind nicht die am schlechtesten ausgebildeten Leute. Das geht in der Diskussion aber viel zu oft unter", sagt Wendler.

"Willkommen auf Deutsch" ist spürbar um Ausgewogenheit bemüht. Die Situation einer Flüchtlingsfamilie wird ebenso geschildert wie die Standpunkte der Bürgerinitiative oder der mitunter undankbare Job der Mitarbeiter des Landkreises. Das ist die Stärke des Films: Wendler und Rau zeichnen ein detailliertes Bild, ohne dabei die Distanz zu verlieren oder zu emotionalisieren.

So wird der teils unverhohlene Alltagsrassismus keineswegs verschwiegen, doch sagt dem Zuschauer andererseits auch sein Verstand, dass 50 Asylbewerber in einem 400-Seelen-Dorf für das soziale Gefüge einfach zu viele sind. Die Flüchtlinge selbst sitzen bei dem bürokratischen Geschacher zwischen allen Stühlen, ihre individuellen Schicksale können dabei leicht untergehen.

Exemplarisch hierfür stehen eine Mutter aus Tschetschenien und ihre sechs Kinder. Sie sind die ersten Asylbewerber, die in Tespe untergebracht wurden. Der langfristige Aufenthalt ist noch längst nicht gesichert. Die Mutter ist dem psychischen Druck nicht gewachsen und befindet sich im Krankenhaus, die 21-jährige Tochter ist allein verantwortlich für ihre fünf jüngeren Brüder. Unterstützung erhält sie durch eine ortsansässige Rentnerin, die im Haushalt hilft und das Bürokratendeutsch übersetzt.

Wendler und Rau haben frühzeitig Kontakte geknüpft, mehr als 20 Nichtregierungsorganisationen haben sie auf Bundesebene angesprochen, auch Amnesty International. "Wir stellen den Film gerne kostenfrei zur Verfügung, wenn die Leute vor Ort eine anschließende Diskussion organisieren", erklärt Hauke Wender.

"Unsere Hoffnung ist, dadurch Leute zu erreichen, die sich sonst nicht mit der Thematik beschäftigen, gerade in kleinen Orten, außerhalb der Großstädte." Zu besprechen gibt es einiges, nachdem man "Willkommen auf Deutsch" gesehen hat.
Nicht weniger Gesprächsbedarf besteht auch nach "Haus der Hoffnung", wenngleich der isländische Dokumentarfilm einen anderen Ansatz wählt. Die Regisseure Kolfinna Baldvinsdóttir und Ingvar A. Thórisson konzentrieren sich ganz auf die Flüchtlinge und ihren täglichen Kampf um Anerkennung und das Recht, in Island bleiben zu dürfen.

Baldvinsdóttir war schon in ganz Europa beruflich unterwegs, als Journalistin, vor allem aber im Auftrag der EU-Kommission. Im Kosovo und in Italien hatte sie sich bereits mit Verfolgung, Flucht und Integration beschäftigt, ehe ihr das Thema quasi vor der eigenen Haustür wiederbegegnete.

Im Jahr 2010 haben in Schweden 32.000 Menschen Asyl beantragt, in Norwegen 10.000. In Island waren es ganze 51. Diese niedrige Zahl erklärt sich teils durch die geographische Lage des Landes: Island liegt fernab vom europäischen Festland, innerhalb des Schengenraums kann es im Grunde nie das Erstaufnahmeland sein, so wie es Italien oder Griechenland oft sind.

Jene, die dennoch den Weg auf die Insel finden, werden im Fit Hostel untergebracht, das nicht weit vom Flughafen Keflavik entfernt liegt. Die Menschen, die hier stranden, kommen aus ­Afghanistan oder dem Iran, aus dem Sudan oder – mit Touristenvisum – aus Russland. Geflohen vor Krieg und Misshandlungen, warten sie auf einen Bescheid, ob sie bleiben können oder zurückmüssen. Eigentlich nur als Zwischenhalt gedacht, müssen die Flüchtlinge teils mehrere Jahre in der Unterkunft ausharren, ehe Behörden und Justiz über ihr Schicksal entscheiden.

Es ist dieses quälende, zermürbende Warten, das "Haus der Hoffnung" auf sehr eindrucksvolle Art in den Fokus rückt. "Meine Seele ist müde", erklärt ein Mann, der seit vier Jahren in der Unterkunft ausharrt, während er zum Nichtstun verdammt ist.

Baldvinsdóttir hat sich den Bewohnern des Fit Hostels behutsam genähert, sie hat sich viel Zeit gelassen, um die Menschen kennenzulernen und schließlich ihr Vertrauen zu gewinnen. "Eigentlich wollte ich ein Buch über die Situation der Flüchtlinge schreiben", sagt sie. "Doch dann habe ich ihn mit seiner wunderbaren Kamera getroffen …" Der Mann mit der Kamera ist Ingvar A. Thórisson, ein renommierter Dokumentarfilmer aus Reykjavík.

Drei Jahre lang sind die beiden regelmäßig ins Fit Hostel gefahren, um mit den Bewohnern zu reden. 60 Stunden Rohmaterial sind dabei herausgekommen. "Jeder unserer Protagonisten", so Thórisson, "ist sehr stolz, Teil dieses Films zu sein. Für sie war es großartig, zu sehen, dass man eine Stimme haben kann. Dass man seine Meinung sagen kann, ohne bestraft zu werden."

Kolfinna Baldvinsdóttir ergänzt: "Das Schöne an dem Film ist, dass er tatsächlich etwas bewegt hat. Wir haben es geschafft, die Leute in die Medien zu bekommen. Die Aktivisten, die sich für eine Änderung der Asylpolitik einsetzen, wurden immer mehr und sichtbarer. Die Politiker wurden aufmerksam."

Dass sich in Island etwas tut, ist auch bitter nötig. Bis 2008 erhielt von rund 600 Flüchtlingen nur eine Person Asyl. Nachdem die UNO Island aufgefordert hatte, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, wurden Quoten eingeführt. 2014 haben 172 Menschen auf der Insel Asyl beantragt. Wie viele von ihnen bleiben dürfen, ist noch nicht entschieden, doch ihre Chancen haben sich zumindest verbessert. So hat "Haus der Hoffnung" einiges bewirkt – ein wichtiger Film für Island.

Der Autor arbeitet als freier ­Filmjournalist.

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