Amnesty Journal Israel und besetzte Gebiete 19. Juli 2010

Endzeitapparate

"Lebanon" ist ein weiterer Film aus Israel, der den ­Libanonfeldzug der israelischen Armee im Jahr 1982 kritisch und künstlerisch radikal in Szene setzt.

Von Jürgen Kiontke

Der Krieg in Brennglasoptik: In seinem Film "Lebanon" verengt Regisseur Samuel Maoz den Blick auf die dramatischen Vorgänge auf ganz drastische Weise: Durch das Zielfernrohr eines Panzers versetzt Moaz den Zuschauer in die Lage junger Soldaten während des Gefechts. Diesen Blickwinkel wird dieses Waffenkammerspiel erst am Schluss verlieren.

Der Film spielt im Jahr 1982, die israelische Armee hat ihren Feldzug im Libanon gestartet. Die naiven Soldaten kommen gerade aus der Ausbildung – bisher hätten sie nur auf Fässer geschossen, beklagt sich der Panzerschütze.

Und nun finden sie sich wieder in einem Feld voller Sonnenblumen am Rande des Krieges. Gemeinsam mit einem Trupp Infanteristen sind sie auf der Suche nach Verstecken der Palästinensischen Befreiungsfront. Blitzschnell kommen die Befehle herein, sofort muss reagiert werden.

Bei ihrem Einsatz macht die unerfahrene Crew grundsätzlich alles falsch, was falsch zu machen ist: Während einer Geiselnahme greift die Mannschaft trotz dringender Aufforderung nicht ein. Paralysiert vom Leid der Opfer ist keinem klar, welcher Knopf der Maschinerie zu drücken ist. Als alles vorbei ist, legt die Einheit jedoch das Gebäude in Schutt und Asche. Und die Geiseln gleich mit.

"Lebanon", das ist ein Antikriegsfilm, der aus den Vorgängen jenes Libanon-Feldzugs ein allumfassendes Bedrohungs­szenario herausfiltern soll. Er stellt Fragen nach Moral, Überforderung und universellen Menschenrechten in kriegerischen ­Situationen. Dafür entwirft Maoz eine klaustrophobische Situation, in der jede Entscheidung falsch ist. Er benutzt eine radikal reduzierte Bildsprache, die sich ganz auf die Geschehnisse in und um die Kriegsmaschine herum konzentriert.

Maoz verwendet Einstellungen und Elemente des sinnentleerten Horrorfilms in der Machart von "The Cube", die er auf ein lebensechtes Szenario überträgt. Der Panzer, das ist hier ein rostiger Endzeitapparat, ein apokalyptischer Sarg. Er vermittelt Tod nach innen wie nach außen.

20 Jahre habe er gebraucht, um ein Drehbuch zu verfassen, so der Regisseur. Er sagt, er habe selbst an diesem Krieg teilgenommen, dort Menschen getötet. Ob solcher Aussagen überkommt einen nicht nur Beklemmung: Der Soldat dreht einen Film über sich selbst im Krieg, die Opfer der Kämpfe tauchen nur kurz vor dem Zielfernrohr auf.

Sollte ausgerechnet dieser Film auch noch preisverdächtig sein? Bei den Filmfestspielen von Venedig ließ sich die Jury um Ang Lee im Jahr 2009 von dieser Authentizität beeinflussen: Film, entschied sie, müsse radikal sein. Und vergab den Hauptpreis, den Goldenen Löwen, an Maoz für sein Erstlingswerk.

"Lebanon". ISR 2009. Regie: Samuel Maoz, Darsteller: Yoav Donat,
Italy Tiran u.a. Start: Herbst 2010

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