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Gefangen in der Gewalt
Obwohl sich die politische Lage stabilisiert, sind Frauen im Irak nach wie vor
zahlreichen Übergriffen ausgesetzt. Traditionelle Moralvorstellungen und
diskriminierende Gesetze tragen dazu bei.
Der Tatort: Basra, im Südosten des Iraks. Das Opfer: die 17-jährige Rand ’Abd al Qader. Die junge Frau wurde von ihrem Vater ermordet, weil sie sich mit einem britischen Soldaten angefreundet hatte. Ihre beiden Brüder hatten bei der Tat geholfen. Das war am 16. März 2008. Leila Hussein, die Mutter von Rand ’Abd al Qader, verließ daraufhin ihren Ehemann und zeigte ihn wegen des Mordes an ihrer Tochter an. Zwei Monate später wurde sie auf offener Straße erschossen.
Einzelfälle? Amnesty International widerspricht. "Irakische Frauen und Mädchen sind systematischer Gewalt ausgesetzt", resümiert Amnesty in einem Bericht vom März diesen Jahres. Obwohl sich die politische Lage im Land stabilisiert habe, sei das Maß an Gewalt gegen Frauen weiterhin hoch, heißt es in dem Report "Gefangen in der Gewalt – Frauen im Irak". Auch im autonomen Nordirak hat sich die Situation nicht entschärft. Die kurdische Regionalregierung spricht allein für den Zeitraum zwischen Juli 2007 und Juli 2008 von 102 ermordeten Frauen.
Die Hintergründe für die Aggressionen sind vielfältig: Irakerinnen und Kurdinnen werden vom Vater oder Bruder angegriffen, weil sie sich einer Zwangsheirat entziehen oder einen von der Familie nicht akzeptierten Mann heiraten wollen. Bewaffnete islamistische Gruppen gehen gegen Frauen vor, die ihnen als Politikerinnen, Journalistinnen, Feministinnen oder Andersgläubige ein Dorn im Auge sind. "Zudem werden Frauen an schiitischen oder sunnitischen Kontrollstellen eingeschüchtert und schikaniert, weil sie die strenge Kleiderordnung missachten oder alleine ein Auto fahren", informiert der Bericht.
Nur in den wenigsten Fällen werden die Täter strafrechtlich verfolgt. Auch die Mörder von Rand ’Abd al Qader und Leila Hussein sind auf freiem Fuß. Die Polizisten zeigten Verständnis für die Tat des Vaters und ließen den Mann nach einem kurzen Verhör wieder laufen. Doch nicht nur solche islamisch geprägte Männerkumpanei ist für die Straffreiheit verantwortlich. Bis heute sieht das irakische Gesetzbuch keine harten Konsequenzen für die Mörder vor, wenn diese "ehrenhafte Motive" zur Verteidigung vorbringen können. Den Tätern droht eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten. Ehemänner dürfen sogar explizit zuschlagen, wenn es gilt, "die Ehefrauen zu disziplinieren".
Immerhin: die Regionalregierung im kurdischen Nordirak hat die Klausel "ehrenhafte Motive" seit 2002 aus ihrem Gesetzbuch gestrichen. Frauenrechtlerinnen kämpfen aber auch dort weiterhin gegen das konservative Familienrecht. Lokale Organisationen gingen etwa am vergangenen 25. November, dem Tag gegen Gewalt an Frauen, auf die Straße und forderten ein Verbot von Zwangsehen und Polygamie.
Auch für Amnesty ist klar: Alle Gesetze, die Frauen diskriminieren, müssen abgeschafft und Gewalttaten konsequent verfolgt werden. Wegen ihres schlechten Zugangs zu Ausbildung und Arbeitsmarkt seien Irakerinnen besonders gefährdet, Opfer männlicher Aggressionen zu werden. Amnesty fordert deshalb konkrete Maßnahmen, die Frauen Bildung und Arbeit garantieren. Dafür muss jedoch auch die Regierung in Bagdad neue Wege gehen. Ihr Ressort habe keine Mittel und keine Macht gehabt, erklärte Nawal al Samarrai, nachdem sie im Februar resigniert als Frauenministerin zurücktrat. "Ich war überzeugt, die Bedingungen der Frauen verbessern zu können, aber ich bin gegen Berge geprallt."
Von Wolf-Dieter Vogel.
Die Autor ist Journalist und lebt in Berlin.