Amnesty Journal Pakistan 02. April 2009

Sie tanzen nicht mehr

Gefährliche Cover:  Ein Verkäufer sortiert die Auslagen seines CD-Shops in Peshawar neu.

Gefährliche Cover: Ein Verkäufer sortiert die Auslagen seines CD-Shops in Peshawar neu.

Sie versuchen, die Menschen zum Lachen zu bringen, tanzen und singen für sie, doch ihr eigenes Leben wird immer schwieriger. Einige pakistanische Unterhaltungskünstler haben ihre Berufung bereits mit dem Tod bezahlt. Wie einst Afghanistan droht nun Pakistan die Talibanisierung.

Als der pakistanische Komiker Alamzeb Mujahid Ende Januar in Peshawar eine Pressekonferenz gab, erkannten die meisten seiner Fans ihn kaum wieder. Der 40-jährige Künstler, der in seiner langen Karriere in über 300 Fernsehshows und Theaterstücken mitgewirkt und halb Pakistan zum Lachen gebracht hat, war ernst und wortkarg. Er verkündete, dass er in Zukunft den Pfad der "Wahrheit und Gerechtigkeit" gehen werde und einer islamischen Missionsgruppe namens "Tablighi Jamaat" beigetreten sei. "Gott der Allmächtige wird mir helfen, eine bessere Einkommensquelle zu finden als die bisherige", sagte er. Dann war die Pressekonferenz zu Ende.

Mujahid war kurz zuvor entführt und mehrere Tage gefangen gehalten worden. Die Aufgabe seines Berufs schien für ihn der einzige Weg, dem sicheren Tod zu entkommen. Zwar hat der Komiker die Identität seiner Entführer nie preisgegeben, doch es besteht wenig Zweifel daran, dass die Taliban hinter Mujahids überraschender Kehrtwende stecken. Die radikalen Islamisten, die bisher vor allem Afghanistan unsicher gemacht haben, überziehen seit mehr als einem Jahr auch Pakistans Nordwestprovinz mit Gewalt und Terror.

Allein im einst idyllischen Swat-Tal zerstörten sie im vergangenen Jahr 169 Mädchenschulen und töteten 1.200 Menschen, darunter Politiker, Journalisten und bildende Künstler. Im Dezember überlebte der Sänger Sardar Yousufzai schwer verletzt einen Mordversuch. Wie viele Künstler gehört er einer Tradition an, die unter dem Volk der Paschtunen, das auf beiden Seiten der afghanisch-pakistanischen Grenze lebt, lange dominant war: dem moderaten, mystischen Islam der Sufis. Musik und Tanz ­gehören hier zur religiösen Praxis – die Taliban lehnen beides strikt ab.
Yousufzai und seine Band waren gerade auf dem Rückweg von einem Auftritt bei einer Hochzeit, als Bewaffnete ihr Auto anhielten und ohne Warnung zu feuern begannen. Ein Harmonium-Spieler starb, vier weitere Musiker wurden verletzt. "Ich habe unglaubliche Angst", sagt Yousufzai. "Ich traue mich nicht mehr nach Hause und schon gar nicht aufzutreten."

Auch der Komiker Zardad Khan erhält regelmäßig Morddrohungen per Telefon. "Was soll ich machen?", fragt er. "Ich versuche, die Menschen zum Lachen zu bringen, aber mein eigenes Leben wird immer elender." Früher hat er im Monat in fünf bis sechs TV-Produktionen mitgewirkt, in den vergangenen Monaten war es nur noch eine einzige – und er musste dafür nach ­Lahore fahren, weil es in der Provinzhauptstadt Peshawar inzwischen zu unsicher ist, zu drehen.

Doch selbst Lahore, Pakistans Kulturmekka, ist nicht mehr ­sicher vor den Fanatikern. In den vergangenen Monaten explodierten mehrere Bomben in der Nähe eines beliebten Kulturzentrums. "Diese Plage hat sich überall festgesetzt. Ich glaube nicht, dass die Regierung sie noch kontrollieren kann", sagt Sayed Aqil Shah, Kulturminister der nord-westlichen Grenzprovinz. Shah weiß, wovon er spricht. Seine Partei, die säkulare Awami National Party (ANP), die auch an der Regierung in Islamabad beteiligt ist, kam 2008 in der Provinz wieder an die Macht, nachdem sechs Jahre lang eine Koalition unter Führung der islamischen Jamia-Ulama-Islam regiert hatte. Damals begann die "Talibanisierung" der Region.

Händler wurden gezwungen, Musik-CDs und Videos aus den Regalen zu nehmen, Werbeplakate, auf denen Frauen zu sehen waren, wurden heruntergerissen oder geschwärzt, Peshawars einziges Theater, die "Nishar Hall", geschlossen. Bei den nächsten Wahlen hatten die Menschen die Islamisten derart satt, dass die ANP eine solide Mehrheit erzielte. Doch gegen die Brutalität der Taliban ist die alteingesessene Partei, deren Leitfigur Baatcha Khan – ein ehemaliger Mitstreiter Mahatma Gandhis und Verfechter des gewaltlosen Widerstandes – ist, machtlos.

Ende Dezember vergangenen Jahres ermordeten die Taliban die Tänzerin Shabana. Ihr von Kugeln durchlöcherter Körper wurde in Mingora, der Hauptstadt Swats, auf dem Grünen Platz gefunden, den die Bewohner inzwischen "Khooni Chowk" ("Blutiger Platz") nennen. Regelmäßig stellen die Taliban hier ihre ermordeten Gegner zu Schau – oder Menschen wie Shabana, die die Warnungen der Fundamentalisten ignorieren und an der Ausübung ihrer Kunst festhalten. Auf Shabanas Leiche lagen Banknoten, CDs und Fotos ihrer Aufführungen.

Wenig später verkündete der lokale Taliban-Kommandant Maulana Shah Dauran über einen illegalen Radiosender, seine Männer würden "jede einzelne Tänzerin" erschießen, die es wage, weiterhin aufzutreten. Die Taliban werfen den Tänzerinnen vor, in Wahrheit Prostituierte zu sein, was auch teilweise stimmt, denn das "älteste Gewerbe" ist in Pakistan illegal. Nach Shabanas Tod war an vielen Türen in Mingoras Banr Bazaar, dem Viertel in dem die Tänzerinnen wohnen, zu lesen: "Bitte nicht klopfen. Wir haben aufgehört zu tanzen." Fayaz, eine Künstlerin, tritt nur noch für Kunden auf, die sie bereits kennt.

Obwohl die pakistanische Armee knapp 15.000 Soldaten im Swat-Tal stationiert hat und die Zahl der Taliban auf 2.000 bis maximal 4.000 geschätzt wird, konnte sie den Terror nicht besiegen. Viele Menschen vermuten deshalb, dass dies gar nicht gewollt ist, weil Teile der Streitkräfte mit den Fundamentalisten sympathisieren. Mitte Februar wusste sich die Regierung der nord-westlichen Grenzprovinz keinen anderen Rat, als eine Art Friedensabkommen mit den Taliban einzugehen, das den Islamisten erlaubt, die islamische Sharia in Swat einzuführen.

Die Lage der Künstler in der Region wird sich deshalb auf absehbare Zeit kaum verbessern. "Wir sind uns voll bewusst über die Bedrohung paschtunischer Künstler", sagt Kulturminister Sayed Aqil Shah. "Aber die Lage ist heute so, dass auch die Leben unserer Minister nicht sicher sind."

Immer mehr Künstler gehen deshalb ins Exil. Wie Haroon Bacha, einer der beliebsten paschtunischen Sänger. Mitte vergangenen Jahres floh der Musiker aus Peshawar nach New York. "Ich habe Drohbriefe, Anrufe und SMS erhalten", sagt er. "Manchmal kamen sie zu mir nach Hause, um zu sagen, dass ich aufhören soll, Musik zu machen. Sonst töten sie mich." Statt vor ausverkauften Häusern in seiner Heimat singt er nun in kleinen Clubs in den USA und bringt Emigranten aus Pakistan und Afghanistan ein Stück Heimat nahe. "Ich kann doch nicht aufhören zu singen", sagt er. "Ich muss für mein Volk etwas tun, für die paschtunische Sprache und unsere reiche Tradition. Ich will der Welt zeigen, dass wir nicht wie die Taliban sind."

Von Britta Petersen
Die Autorin ist Mitglied im Netzwerk Weltreporter.

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