Blog Russische Föderation 13. November 2013

"Sind wir wirklich ausländische Agenten?"

Demonstration in Moskau gegen die Regierung von Wladimir Putin

Im Amnesty-Blog berichtet Valentina Cherevatenko über Russlands hartes Vorgehen gegen die eigene Zivilgesellschaft.

Valentina Cherevatenko ist Leiterin einer russischen Nichtregierungsorganisation, die aufgrund des sogenannten "Agentengesetzes" strafrechtlich verfolgt wird. Seit Verabschiedung des Gesetzes im vergangenen Jahr werden NGOs, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten, unter der vagen Voraussetzung, dass ihre Arbeit als "politisch" einzustufen ist, gezwungen, sich als "ausländische Agenten" registrieren zu lassen.

Wir haben in diesem Jahr das zwanzigjährige Jubiläum unserer NGO gefeiert. Wir, das ist das Frauenbündnis am Don. Der Name kommt von dem breiten Strom nahe unserer Stadt Nowotscherkassk in der südrussischen Region Rostow.

Seit 20 Jahren setzen wir uns gewaltfrei für die Menschenrechte und den Frieden ein. Es war ein Schock, als im März dieses Jahres unsere Büroräume von einer Unzahl verschiedener russischer Behörden durchsucht wurden – Staatsanwaltschaft, Finanzamt, Polizei, Staatssicherheit, Feuerwehr und Wirtschaftsprüfer. Sie wollten angeblich aufgrund des "Agentengesetzes" überprüfen, welche Aktivitäten wir wahrnehmen.

Wir haben unsere Aktivitäten noch nie geheim gehalten, tausende Menschen, denen wir geholfen haben, können dies bezeugen.

Unsere NGO arbeitet mit Anwälten, Menschenrechtsverteidigern und Psychologen zusammen, um Menschen aus der ganzen Region bei einer Reihe von Themen zu beraten, die ihnen in ihrem Alltag, in der Familie, bei der Arbeit, ihrer Wohnsituation oder ihrer Rentenversorgung, Probleme bereiten. Schon mehr als 12.000 Menschen haben sich an uns gewandt.

Über 7000 Personen, Armeeangehörige und Zivilpersonen, Lehrer und Schüler, Abgeordnete und lokale Behörden, Journalisten und Polizisten aus ganz Russland haben an unseren Projekten teilgenommen. In den vergangenen zwanzig Jahren haben wir uns mit den Themen Gewalt gegen Frauen, Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, Frieden und Kooperation verschiedener russischer Völker, Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden sowie mit den Menschenrechten beschäftigt.

Mit der Zeit ist das Bündnis gewachsen und heute sind wir eine der größten NGOs der Region Rostow. Das Frauenbündnis am Don besteht zurzeit aus acht Gruppen und über 60 AktivistInnen in verschiedenen Städten der ganzen Region.

Wir haben Menschen, die nach der Flutkatastrophe in Krymsk im Juli 2012 mittel- und obdachlos waren, materiell und psychologisch unterstützt. Mit der Hilfe von 250 Freiwilligen schickten wir kurz nach Beginn der Überschwemmung LKWs mit Kleidung, Trinkwasser, Hygieneartikeln und Nahrung in den Ort. Und wir organisierten für die Lehrerinnen und Lehrer von Krymsk ein Seminar zur Beratung der Flutopfer.

Seit vergangenem Dezember arbeiten wir an einem Projekt zur Förderung des Dialogs und der Toleranz zwischen den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft. Bei diesem Dialog wollen wir unterschiedlichen Stimmen die Möglichkeit geben, sich zu den großen Themen des täglichen Lebens zu äußern und wir möchten, dass dies in einer zivilisierten, toleranten Art und Weise geschieht. Die Leute sollen lernen, andere Ansichten zu tolerieren.

Sind wir wirklich ausländische Agenten? Für wen sollen wir denn tätig sein, außer für die eigene Bevölkerung? Wie kann man unsere Aktivitäten als "politisch" bezeichnen? Im russischen Recht ist nicht definiert, was "politische Aktivitäten" bedeutet. Dies lässt den Behörden nun freie Hand, NGOs nach eigenem Gutdünken strafrechtlich zu verfolgen!

In den acht Monaten seit der Durchsuchung im März haben wir Stunde um Stunde damit verbracht nachzuweisen, dass wir nichts weiter tun, als ganz normale Menschen in ihrem Alltag zu unterstützen. Ist das eine politische Zielsetzung? Dann sollte es vielleicht einmal die Zielsetzung aller Politiker sein.

Das Frauenbündnis am Don muss sich für nichts schämen und wegen nichts schuldig fühlen. Wir sind stolz auf unsere Arbeit. Aus diesem Grund haben wir bei einem Treffen der ganzen Organisation entschieden, dass die Bezeichnung "ausländische Agenten" auf uns nicht zutrifft und wir uns nicht selbst so bezeichnen werden.

Die Gerichte haben alle Verwaltungsklagen gegen uns fallenlassen. Doch jetzt werden wir strafrechtlich verfolgt, weil wir uns nicht als "ausländische Agenten" registrieren lassen.

Was aus uns wird, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, was aus mir wird, denn meine Arbeit ist mein Leben. Aber eins weiß ich: Jeden Tag rufen uns Menschen an, denen wir geholfen haben, und bieten uns ihre Unterstützung an.

Die Schließung unserer Organisation würde sich auf so viele Menschen auswirken. Es wird furchtbar, wenn die Behörden versuchen, uns zur Schließung zu bewegen, indem sie uns das Leben unmöglich machen.

 

Werden Sie aktiv! Unterzeichnen Sie die Online-Petition von Amnesty International und fordern Sie von Präsident Putin die Rücknahme des "Agentengesetzes" und weiterer Bestimmungen, die die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit einschränken! Hier geht es zur Petition - jetzt mitmachen!

 

Die russische Regierung geht verstärkt repressiv gegen Aktivisten und Andersdenkende vor. Dennoch setzen sich in Russland weiterhin Menschen für die Menschenrechte ein. Zeigen Sie jetzt Solidarität und machen Sie Mut! Schicken Sie online Liebesgrüße nach Russland: liebesgruss.amnesty.de

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