Amnesty Report Côte d'Ivoire 07. April 2021

Côte d'Ivoire 2020

Mehrere Personen demonstrieren mit Amnesty Plakaten und Bildern.

Mitglieder und Unterstützer_innen von Amnesty International Côte d'Ivoire nehmen an den Veranstaltungen des Briefmarathons teil (Archivbild 2018).

Politische Aktivist_innen, Vertreter_innen der Zivilgesellschaft, Journalist_innen und andere Personen, die abweichende Meinungen äußerten, wurden willkürlich festgenommen. Die Regierung verhängte ein Demonstrationsverbot. Bei Protesten und Zusammenstößen in Zusammenhang mit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen wurden zahlreiche Menschen getötet und Hunderte verletzt. Es herrschte weiterhin Straflosigkeit für Menschenrechtsverletzungen, die in der Vergangenheit verübt wurden.

Hintergrund

Präsident Alassane Ouattara kündigte am 6. August 2020 an, dass er für eine dritte Amtszeit kandidieren werde. Im September akzeptierte der Verfassungsrat seine Kandidatur. Dagegen lehnte er 40 weitere Bewerber_innen ab – unter ihnen der ehemalige Präsident Laurent Gbagbo und der ehemalige Regierungschef Guillaume Soro –, zum Teil weil sie nicht im Wählerverzeichnis eingetragen waren. Guillaume Soro war im April 2020 in Abwesenheit wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder zu 20 Jahren Haft verurteilt worden.

Die Oppositionsparteien boykottierten die Präsidentschaftswahl am 31. Oktober und riefen zu zivilem Ungehorsam auf, weil die Verfassung ihrer Ansicht nach keine dritte Amtszeit erlaubte. Präsident Ouattara wurde dennoch wiedergewählt. Am 2. November 2020 kündigte die Opposition an, sie werde einen Nationalen Übergangsrat bilden, der eine Übergangsregierung zum Ziel habe. Zahlreiche Oppositionelle wurden festgenommen, darunter auch Pascal Affi N’Guessan, der ebenfalls für das Präsidentenamt kandidiert hatte. Er wurde u. a. wegen Verschwörung gegen den Staat angeklagt. Am 30. Dezember 2020 kam er frei, stand allerdings weiterhin unter richterlicher Aufsicht.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Politische Aktivist_innen, Journalist_innen und andere Personen, die sich kritisch äußerten, wurden schikaniert und willkürlich festgenommen.

Wie die Organisation Reporter ohne Grenzen mitteilte, wurden die Journalisten Yacouba Gbané und Barthélémy Téhin von der Zeitung Le Temps am 4. März 2020 zu einer Geldstrafe von 5 Mio. CFA-Francs (etwa 7.600 Euro) verurteilt, weil sie in einem Artikel den Umgang der Behörden mit öffentlichen Angelegenheiten kritisiert hatten. Am 31. März wurden der Journalist Vamara Coulibaly von der Zeitung Soir Info und sein Kollege Paul Koffi von der Zeitung Nouveau Réveil wegen "Verbreitung falscher Nachrichten" zu einer Geldstrafe von 2,5 Mio. CFA-Francs (etwa 3.800 Euro) verurteilt. Sie hatten ein Schreiben der Anwälte des inhaftierten Parlamentsabgeordneten Alain Logogon über dessen schlechte Haftbedingungen veröffentlicht.

Im August 2020 nahmen die Behörden politische Aktivist_innen, Vertreter_innen der Zivilgesellschaft und andere Personen willkürlich fest, die zu Protesten aufgerufen oder an friedlichen Kundgebungen gegen die Kandidatur des Präsidenten teilgenommen hatten. Die Koordinatorin der prodemokratischen NGO Alternatives Citoyennes, Pulchérie Edith Gbalet, wurde gemeinsam mit zwei Kollegen in einem Hotel in Abidjan festgenommen. Gegen die drei Aktivist_innen wurde u. a. wegen "Störung der öffentlichen Ordnung" und "Beteiligung an einer aufständischen Bewegung" Anklage erhoben. Außerdem inhaftierten die Behörden fünf weibliche Mitglieder der Oppositionspartei Générations et peuples solidaires, die auf dem Weg zu einer friedlichen Demonstration waren. Alle waren am Jahresende immer noch im MACA-Gefängnis in Abidjan inhaftiert.

Mehrere prominente Oppositionelle wurden im November 2020 de facto unter Hausarrest gestellt, nachdem sie den Nationalen Übergangsrat gebildet hatten.

Am 3. Dezember 2020 wurden zwei Sänger mit den Künstlernamen Yodé und Siro für schuldig befunden, falsche Informationen mit rassistischen Anspielungen verbreitet zu haben, mit dem Ziel, verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufzubringen. Außerdem hätten sie das Gericht missachtet sowie die Justiz und deren Arbeit herabgewürdigt. Grund für den Schuldspruch war ein Konzert, bei dem sie die Unparteilichkeit des Generalstaatsanwalts in Bezug auf die Ermittlungen zu den gewaltsamen Zusammenstößen im Kontext der Wahlen in Zweifel gezogen hatten. Außerdem hatten sie die Rückkehr von Oppositionspolitiker_innen gefordert, die im Ausland lebten. Das Duo wurde zu einer Geldstrafe von 5 Mio. CFA-Francs (etwa 7.600 Euro) und einem Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Im August 2020 wurden mehrere von der Opposition organisierte Demonstrationen unterdrückt. 

In Yopougon, einem Stadtteil von Abidjan, erlaubte die Polizei am 13. August offenbar Gruppen von Männern, die teilweise mit Macheten und Stöcken bewaffnet waren, Demonstrierende zu attackieren.

Nach Angaben des Ministers für Sicherheit und Zivilschutz gab es bei Demonstrationen zwischen dem 10. und dem 14. August fünf Tote und 104 Verletzte. Man habe 68 Personen wegen "Störung der öffentlichen Ordnung, Anstiftung zum Aufruhr, Gewalt gegen Polizeikräfte und Sachbeschädigung" festgenommen.

Das Kabinett verbot am 19. August alle öffentlichen Kundgebungen. Das Verbot wurde bis zum 15. Dezember 2020 mehrmals verlängert. Wahlkampfveranstaltungen durften jedoch stattfinden.

Trotz des Verbots gab es am 21. August 2020 in den Städten Divo im Süden und Bonoua im Südosten des Landes Frauenmärsche, deren Teilnehmende von jugendlichen Gegendemonstranten gewaltsam auseinandergetrieben wurden.

Rechtswidrige Tötungen

Ab August 2020 kam es zwischen Anhänger_innen der Regierungspartei und Anhänger_innen der Opposition zu gewaltsamen Zusammenstößen. Offiziellen Angaben zufolge wurden bei Zusammenstößen vor, während und nach der Präsidentschaftswahl 85 Personen getötet und 484 verletzt.

Nach der gewaltsamen Auflösung von Frauenmärschen in Divo und Bonoua waren die beiden Städte am 21. und 22. August Schauplatz erbitterter Auseinandersetzungen zwischen Anhänger_innen von Präsident Ouattara und Anhänger_innen von Oppositionsparteien. Fünf Menschen wurden getötet, und es kam zu Sachbeschädigungen. Nach Angaben des Ministers für Sicherheit und Zivilschutz wurden vom 19. bis 21. Oktober in der Stadt Dabou mindestens 16 Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt. Der Nationale Menschenrechtsrat gab an, in den zehn Tagen nach der Wahl am 31. Oktober seien 55 Menschen getötet und 282 verletzt worden. Außerdem hätten die gewaltsamen Auseinandersetzungen in verschiedenen Teilen des Landes zur Vertreibung Tausender Menschen geführt, so z. B. in den Städten Yamoussoukro, Tehiri, Tiebissou, Bougouanou, Daoukro und Toumodi.

Folter und andere Misshandlungen

Der Internetaktivist François Ebiba Yapo, auch bekannt als Serge Koffi Le Drone, berichtete, er sei vom 7. bis 11. Mai 2020 im Gewahrsam der Polizeieinheit zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität gefoltert worden. Man habe ihn mit einer Machete auf die Fußsohlen und den Rücken geschlagen und ihn ins Gesicht und in den Bauch geboxt und getreten. Die Behörden erhoben in Zusammenhang mit seinen Beiträgen in sozialen Medien Anklage gegen ihn, u. a. wegen "Gefährdung der nationalen Sicherheit, Störung der öffentlichen Ordnung, Beleidigung und Verleumdung in sozialen Medien". Die Foltervorwürfe wurden nicht untersucht. 

Recht auf Gesundheit

Am 29. März 2020 forderte ein Verbund von Gewerkschaften im Gesundheitswesen die Regierung auf, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um das medizinische Personal vor Corona-Infektionen zu schützen. Die Gewerkschaften erklärten, die medizinische Ausstattung sei unzureichend und das Personal müsse dringend mit persönlicher Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln versorgt werden. Ab April 2020 spendeten private und öffentliche Institutionen, darunter auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Regierung medizinische Ausrüstung. Am 8. April wurden mehr als 2.000 Häftlinge freigelassen, um die Überbelegung in den Gefängnissen abzubauen und das Risiko einer Infektion mit dem Corona-Virus in den Haftanstalten zu verringern.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Im April 2020 entzog die Regierung Einzelpersonen und NGOs das Recht, sich direkt an den Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker zu wenden. Eine Woche zuvor hatte der Gerichtshof angeordnet, der ivorische Haftbefehl gegen Guillaume Soro müsse ausgesetzt werden. Außerdem hatte er die Behörden aufgefordert, 19 Verwandte und Anhänger von Guillaume Soro, die sich seit Ende Dezember 2019 in Untersuchungshaft befanden, vorläufig freizulassen.

Im Verfahren gegen den früheren Präsidenten Laurent Gbagbo und den ehemaligen Minister Charles Blé Goudé hatte der Internationale Strafgerichtshof noch nicht über das Rechtsmittel entschieden, das die Anklagebehörde gegen deren Freisprüche eingelegt hatte.

Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshof von Côte d’Ivoire über ein Gesuch von Menschenrechtsorganisationen, die im April 2019 beantragt hatten, die Amnestieverordnung von 2018 aufzuheben, stand noch aus. Diese Verordnung gewährte mehreren Hundert Personen eine Amnestie, die wegen Verbrechen in den Jahren 2010 und 2011 angeklagt oder verurteilt worden waren.

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