Aktuell Deutschland 14. April 2020

Das dröhnende Lachen von nebenan

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht

Volkmar Deile war von 1990 bis 1999 Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. Er verstarb am 2. April 2020. Ein Nachruf von Harald Gesterkamp, Redakteur des Amnesty Journals von 1991 bis 2002.

Die Türen im Bonner Amnesty-Büro standen in den 90er Jahren fast immer offen, und weil mein Büro zwei Zimmer neben dem von Volkmar Deile war, hörte ich schon mal ein dröhnendes Lachen, wenn er telefonierte. Das kam regelmäßig vor, denn Volkmar war bei allem Engagement für die Menschenrechte und trotz seiner intensiven, täglichen Beschäftigung mit schrecklichen Dingen wie Folter, Todesstrafe oder politischer Haft nicht verbissen, sondern ein positiver und lebensfroher Mensch. 

Dieses Lachen habe ich noch in den Ohren, genauso wie seine Stimme, die auf beeindruckende Weise raumfüllend war. Wenn Volkmar das Wort ergriff, war ihm Aufmerksamkeit sicher. Volkmar war eine natürliche Autorität. Er ließ nicht den Chef raushängen, aber er wusste Menschen zu begeistern, für die gute Sache zu motivieren. Dass er Pastor war, kam ihm dabei ganz gewiss zugute.

Volkmar konnte auch lachen, wenn er seltsame Dinge erlebte. Als er einmal einen algerischen Menschenrechtler traf, sagte der wegen seines grauen Vollbarts zu Volkmar: "Sie sehen aus wie meine Feinde in Algerien." Solche Geschichten erzählte er gern.

Volkmar war als Generalsekretär von Amnesty auf jedes Gespräch perfekt vorbereitet. Wenn er Botschaften besuchte oder Botschafter empfing, kannte er die aktuellen Berichte zu den betreffenden Ländern – und zwar nicht nur die Zusammenfassung. Er schrieb seine Reden selbst. Es hätte auch nicht zu ihm gepasst, wenn er andere darum gebeten hätte. Aber er war natürlich dankbar, wenn wir als Redaktion seine Texte bearbeiteten, manchmal kürzten, manchmal etwas lesbarer machten, manchmal das Pastorale herausnahmen. Aber oft war das gar nicht nötig.

Studio-Porträtfoto Volkmar Deile

Volkmar Deile war von 1990 bis 1999 Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland (Archivaufnahme aus dem Jahr 1997). Er verstarb am 2. April 2020.

 

Volkmar hat die Entwicklung von der Mitgliederzeitung "ai-Info" zum Menschenrechtsmagazin "Amnesty Journal" immer unterstützt. Aber er hat sich nicht ins Alltagsgeschäft eingemischt, er setzte darauf, dass wir als Redaktion die richtigen Entscheidungen treffen würden. Er wusste selten, mit welchen Themen wir im folgenden Monat erscheinen würden. Wenn das Heft aus der Druckerei kam, lobte er fast immer unsere Arbeit. Für dieses Vertrauen bin ich sehr dankbar. Wenn wir ihn baten, einen Text zu schreiben, war er immer dazu bereit, bereicherte das Heft mit fundierten politischen Analysen. Lange hatte er keinen Computer im Zimmer, sondern schrieb alles handschriftlich und gab es dann seiner Sachbearbeiterin zum Abtippen. 

Die Menschenrechte waren für Volkmar – gerade nach dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges – die entscheidende politische Leitlinie. Für ihn, der vorher bei Aktion Sühnezeichen und in der Friedensbewegung aktiv war, war der Einsatz für die Menschenrechte zudem eine Verpflichtung, die aus den deutschen Kriegsverbrechen erwuchs. Sein Essay im Journal über den Jahrestag zur Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz und zur daraus entstehenden Notwendigkeit einer an den Menschenrechten orientierten Politik der Gegenwart war wegweisend, sein Text zum 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1998 mit dem schönen Titel "Die unvollendete Revolution" war es ebenso. Er würdigte den Fortschritt, dass Menschenrechte zunehmend einklagbare Rechte geworden waren, verwies aber natürlich auch darauf, dass in der Praxis Menschenrechtsverletzungen weiter an der Tagesordnung waren und oftmals straflos blieben.  

Volkmar Deile hat Amnesty International unheimlich gut getan. Er verkörperte unsere Organisation auf eine beeindruckende und glaubwürdige Art und Weise.

Unsere gemeinsame Zeit bei Amnesty war dennoch die beste Zeit für die Menschenrechte überhaupt. Nach dem Mauerfall erfuhren die sie jenseits aller Ideologien eine enorme politische Aufwertung. Ich bin froh, die Jahre bis zu Volkmars Ausscheiden 1999 gemeinsam mit ihm und vielen anderen mit Inhalten gefüllt zu haben. Zerstört wurde diese beste Zeit durch den 11. September, durch islamistische Terroristen, aber auch durch fatale Reaktionen und Tabubrüche wie Abu Ghraib und Guantánamo, die es Menschenrechtsverletzern aus aller Welt ermöglichten, zu ihrer Entlastung auf die USA und den Westen zu zeigen.

Die Termine, die ich mit Volkmar wahrgenommen habe, bleiben in Erinnerung, natürlich die gemeinsamen Jahresversammlungen oder die Vorstellung des Jahresberichts vor der Bundespressekonferenz. Das gilt auch für einen Besuch in Frankfurt beim Zentralrat der Juden. Unvergessen, wie er dem Taxifahrer, der davon ausging, Amnesty wolle mit dem Zentralrat über Israel und den Nahost-Konflikt sprechen, mal eben sehr sachlich, aber gleichzeitig sehr deutlich erklärte, dass der Zentralrat die Juden in Deutschland vertrete und eben nicht die israelische Botschaft sei und deshalb auch nicht für Israels Politik haftbar gemacht werden könne.

Volkmar konnte fordernd sein, aber er war immer ein fairer Gesprächspartner. Und er war geduldig. Er nahm sich die Zeit, einem neuen Kollegen die Funktionsweise des Internationalen Gerichtshofs oder einer neuen Kollegin sein Vorgehen bei Lobbygesprächen zu erklären. Vielleicht waren es auch andere Zeiten zwischen 1990 und 1999. Das Amnesty-Büro war viel kleiner als heute. Als ich anfing, rotierte im Sekretariat zum Beispiel noch die Telefonvertretung über Mittag zwischen allen Mitarbeiter*innen. Auch dabei machte Volkmar selbstverständlich mit. 

Volkmar Deile hat Amnesty International unheimlich gut getan. Er verkörperte unsere Organisation auf eine beeindruckende und glaubwürdige Art und Weise. Und er war unprätentiös und bescheiden dabei, nicht arrogant und eingebildet, sondern immer zugewandt. Du fehlst!