Aktuell 09. September 2013

Gläserner Mensch

Die Dokumente des Whistleblowers Edward Snowden lassen erahnen, dass die Geheimdienste das Recht auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung täglich millionenfach missachten.

Von Maria Scharlau, Referentin für Internationales Recht der deutschen Amnesty-Sektion

Vieles ist noch unklar: in welchem Ausmaß greift der US-Geheimdienst NSA auf Internetdaten zu, welche Programme setzt er zur massenhaften Überwachung ein, und welche Zielgruppen hat er im Visier? Fest steht aber, dass die NSA an Daten von Google, Facebook, Microsoft, Yahoo und Apple gelangen – mutmaßlich sogar über einen direkten Zugriff.

Hier geht es nicht nur um einen politischen Skandal und um den notorischen Missbrauch der Terrorismusbekämpfung, um ungesetzliche Maßnahmen zu rechtfertigen. Es geht um das Menschenrecht auf Privatsphäre und auf informationelle Selbstbestimmung. Danach darf jeder Mensch selbst entscheiden, welche persönlichen Daten er für welche Verwendung freigibt.

Aus der menschenrechtlichen Garantie der Privatsphäre im UNO-Zivilpakt (Art. 19) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8) ergibt sich, dass Staaten nur auf der Basis eines Gesetzes in dieses Recht eingreifen dürfen. Der Eingriff muss zudem erforderlich sein für die Erreichung eines legitimen Ziels. Es reicht nicht aus, dass eine Überwachungsmaßnahme nützlich sein könnte, um eine terroristische Gefahr abzuwehren: Sie muss notwendig sein.

Zwei Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre erschweren jedoch den effektiven Schutz vor ungesetzlicher Überwachung: Weil soziale Netzwerke intensiv genutzt werden, sind massenhaft persönliche Daten verfügbar. Der Datentransfer macht dabei nicht an nationalen Grenzen Halt. Gesetzliche Datenschutzbestimmungen haben mit der exponentiell gewachsenen "Angriffsfläche" nicht Schritt gehalten, internationale Abkommen fehlen.

Zum anderen haben westliche Geheimdienste seit dem 11. September 2001 immer weitergehende Befugnisse und Kapazitäten zur Abwehr terroristischer Gefahren erhalten. Die parlamentarischen Kontrollmechanismen sind dieser Entwicklung aber nicht angepasst worden. Dies gilt für die USA, aber auch für Deutschland, wie der unrühmliche Ausgang des BND-Untersuchungsausschusses zeigt.

Mangels konkreter Einzelfall-Informationen scheidet auch eine wirksame gerichtliche Kontrolle fast immer aus: Das geheime amerikanische FISA-Gericht, das die NSA-Tätigkeiten überwachen soll, hat keinerlei Ermittlungskompetenzen. Alle nötigen Informationen werden von der NSA und dem Justizministerium geliefert.

Weil sich die Geheimdienste also einer Aufklärung entziehen können, wird der genaue Sachverhalt nicht aufgedeckt werden. NSA und BND werden sich weiter hinter pauschalen Erklärungen verstecken, alle Maßnahmen seien gesetzeskonform. Was bleibt, ist der starke Verdacht, dass die Privatsphäre von Millionen Menschen täglich verletzt wird und die Wut darüber, dieser Ausspähung schutzlos ausgeliefert zu sein. Die Bedrohung der Privatsphäre hat weitreichende Konsequenzen: Wer fürchten muss, für die Sicherheitsbehörden zum gläsernen Menschen zu werden, wird sich auch bei politischer Teilhabe zurückhalten.

Dass die Öffentlichkeit überhaupt einen Verdacht haben kann, verdankt sie Edward Snowden. Er ist deshalb in den USA inzwischen wegen Geheimnisverrat und anderer Delikte angeklagt, sein Pass wurde annulliert. Dabei verdienen Whistleblower nicht nur deshalb Schutz, weil sie im Interesse einer
demokratischen Gesellschaft Gesetzesverstöße und Missstände bekannt machen.

Ihr Handeln ist gleichzeitig vom Menschenrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt
Der Fall Snowden zeigt zwei besorgniserregende Entwicklungen US-amerikanischer Politik: Im Kampf gegen den Terrorismus heiligt der Zweck die Mittel, während Gesetzesverstöße der eigenen Behörden nicht aufgearbeitet werden.

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