Drohende Zwangseinweisung

Andrei Bondarenko 2010

Andrei Bondarenko 2010

Ein Gericht in der im Südwesten der Ukraine gelegenen Stadt Vinnicja hat angeordnet, dass sich der Gewerkschafter Andrei Bondarenko einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen muss. Derzeit hält sich Andrei Bondarenko versteckt, weil er befürchtet, wegen seines legitimen gewerkschaftlichen Engagements und seines Einsatzes für die Menschenrechte psychiatrischer Behandlung unterzogen zu werden.

Sende eine Kopie an

BOTSCHAFT DER UKRAINE
I.E. Frau Nataliia Zarudna
Albrechtstraße 26
10117 Berlin
Fax: 030-2888 7163
E-Mail: ukremb@t-online.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Russisch, Ukrainisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 15. Dezember 2010 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE, E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich möchte Sie bitten, Andrei Bondarenko außerhalb von Vinnicja und unter Hinzuziehung von Psychiater_innen der Psychiatrischen Vereinigung der Ukraine sowie des Weltdachverbandes World Psychiatric Association untersuchen zu lassen und ihn bis zur Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Rechtsmittel nicht psychiatrisch zu behandeln.

  • Leiten Sie bitte umgehend eine Untersuchung der zahlreichen Verfahrensunregelmäßigkeiten ein, und klären Sie beispielsweise die Frage, warum sein Rechtsanwalt von der Anhörung am 29. Oktober ausgeschlossen worden ist.

  • Ich möchte Sie zudem an Ihre Verpflichtung erinnern, Menschenrechtsverteidiger_innen eine Tätigkeit frei von Behinderungen zu ermöglichen und sie vor "Gewalt, Drohungen und Racheakten" zu schützen.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Asking for Andrei Bondarenko to be given psychiatric examination outside the Vinnytsya Region to ensure impartiality, with the participation of a psychiatrist from the Ukrainian Psychiatric Association and the World Psychiatric Association, and that he not be subjected to any treatment until he has exhausted all legal remedies;

  • Asking for an investigation into the numerous irregularities in this case, for example the fact that his lawyer was excluded from the hearing on 29 October;

  • Reminding the authorities that they have an obligation not only to ensure that human rights defenders can carry out their activities unhindered but also to protect them against any "violence, threats, retaliation.

Sachlage

Bei Andrei Bondarenko ist in der Vergangenheit niemals eine psychische Erkrankung diagnostiziert worden. Er wurde drei Mal untersucht, zuletzt im Oktober 2010. Und jedes Mal wurde ihm geistige Gesundheit bescheinigt. Die Staatsanwaltschaft nannte als Begründung für ihren Antrag auf eine psychiatrische Untersuchung des Gewerkschafters sein "überzogenes Bewusstsein für die eigenen und die Rechte anderer und seine ungezügelte Bereitschaft, diese Rechte auf unrealistische Weise zu verteidigen".

Im Jahr 2007 beantragte die Staatsanwaltschaft Vinnicja zwei Mal bei Mitarbeiter_innen des Gesundheitsamts der Stadt, Andrei Bondarenko auch gegen seinen Willen psychiatrisch untersuchen zu lassen. Der erste Antrag wurde im Juli von einem Richter mit dem Hinweis abgelehnt, dass das Krankenhaus den Antrag nicht vorschriftsmäßig formuliert habe. Nachdem Andrei Bondarenko einen Psychiater des Krankenhauses von Vinnicja aufgesucht und dieser ihm geistige Gesundheit bescheinigt hatte, wurde im August auch der zweite Antrag abgelehnt.

Im Januar 2009 wurde Andrei Bondarenko vor seinem Haus festgenommen und angeklagt, der Anordnung der Polizei, sich auszuweisen, nicht Folge geleistet zu haben. Er wurde zu zehn Tagen Verwaltungshaft verurteilt, am siebten Tag jedoch erneut einem Gericht vorgeführt. Dort legte die psychiatrische Klinik der Region zum dritten Mal einen Antrag auf Untersuchung seiner geistigen Verfassung vor. Aus dem Krankenhaus verlautbarte, Andrei Bondarenko habe zu einem früheren Zeitpunkt selbst eine psychiatrische Untersuchung beantragt – was der Gewerkschafter bestreitet - und es wurde eine Vollmacht vorgelegt, die die Ärzt_innen des Krankenhauses ermächtigt, bei der Anhörung vor Gericht die Interessen Andrei Bondarenkos zu vertreten. Nachdem die Gerichtsverhandlung vertagt worden war, reiste Andrei Bondarenko im August in die 100 Kilometer südlich von Vinnicja gelegene Stadt Gaisin, um dort mittels einer psychiatrischen Untersuchung seine geistige Gesundheit nachweisen zu können. Diese wurde ihm attestiert, woraufhin der Antrag auf Untersuchung von Andrei Bondarenko abgewiesen wurde. Gegen diese Entscheidung legte die Staatsanwaltschaft jedoch Rechtsmittel ein. Andrei Bondarenko reiste daraufhin am 22. Oktober in die Nachbarregion nach Zhitomyr, um dort ein drittes psychiatrisches Gutachten einzuholen, dass seine geistige Gesundheit attestieren sollte. Am 29. Oktober gab der zuständige Richter in nicht öffentlicher Sitzung dem Antrag auf eine psychiatrische Untersuchung von Andrei Bondarenko statt. Er selbst wohnte der Sitzung nicht bei, war aber von einem Rechtsanwalt und zwei weiteren Personen vertreten. Den Rechtsanwalt verwies die Jury des Gerichtssaals.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Andrei Bondarenko hatte im Jahr 2006 während seiner Anstellung in der Fabrik in Vinnicja dort eine Gewerkschaft eingeführt. Daraufhin war ihm gekündigt worden, seine gewerkschaftliche Arbeit hatte er dennoch fortgesetzt. Im Jahr 2009 wurde er Stellvertretender Vorsitzender der unabhängigen ukrainischen Gewerkschaft Trdyashchi (Arbeiter). Andrei Bondarenko hat sich unermüdlich für die Rechte der arbeitenden Bevölkerung von Vinnicja eingesetzt und stellte daher eine Gefahr für örtliche Magnat_innen bei der Durchsetzung ihrer Interessen dar. Er hat sich nicht gescheut, unverantwortliches Handeln von Amtsträger_innen öffentlich bekannt zu machen. Im August 2010 rief er die Nichtregierungsorganisation Movement for a Corruption Free Vinnytsya Region Prosecutor’s Office ins Leben.

Vor allem die Arbeit von Andrei Bondarenko mit den in der Zuckerindustrie Beschäftigten scheint den Behörden ein Dorn im Auge gewesen zu sein. Die Arbeiter_innen haben lediglich eine Anstellung von wenigen Monaten nach der Ernte der Zuckerrüben und erhalten häufig ihren Lohn nicht. Viele dieser Fabriken befinden sich im Besitz von Scheinfirmen. Ihre tatsächlichen Inhaber_innen sind einflussreiche Ortsansässige mit vielfach hohen Positionen in der Verwaltung. Andrei Bondarenko hat eine Kampagne gestartet mit dem Ziel, die Auszahlung der Löhne der Beschäftigten in diesen Firmen über die Gerichte einzuklagen. Nach Auskunft eines Staatsanwalts hat er allein im Jahr 2008 rund 80 solcher Verfahren angestrengt.