Zwangsräumung in São Paulo

Über 400 Familien wurden am 16. Juni 2009 aus einem Regierungsgebäude zwangsgeräumt. Mehr als 200 Familien lagern nun unter äußerst schlechten Bedingungen in einem abgeriegelten Gebiet unter einem Viadukt im Zentrum von São Paulo. Unterstützt von örtlichen Nichtregierungsorganisationen, planen die Familien unter dem Viadukt zu bleiben, bis ihnen die Regierung angemessene alternative Unterkünfte anbietet.

Appell an

BÜRGERMEISTER DER STADT SÃO PAULO
Exmo. Prefeito de São Paulo, Sr. Gilberto Kassab
Viaduto do Chá 15, Centro - Edifício Matarazo
01002-020 - São Paulo/SP, BRASILIEN
(korrekte Anrede: Vossa Excelência)
Fax: (0055) 11 3113 8015

MINISTER FÜR MENSCHENRECHTE
Exmo. Ministro da Secretaria Especial de Direitos Humanos
Sr. Paulo Vannuchi
Esplanada dos Ministérios, Bloco T
70064-900 - Brasília – DF, BRASILIEN
(korrekte Anrede: Vossa Excelência)
Fax: (00 55) 61 3226 7980

MINISTER FÜR ÖFFENTLICHE SICHERHEIT
Exmo. Secretário de Estado Sr. Antônio Ferreira Pinto
Rua Líbero Badaró, 39,
12° andar - Centro 01.009-000 - São Paulo/SP BRASILIEN
(korrekte Anrede: Vossa Excelência)
Fax: (00 55) 11 3291-6834

Sende eine Kopie an

VORSITZENDER DES ÖRTLICHEN MENSCHENRECHTSAUSSCHUSSES
Exmo. Presidente da Comissão
Municipal dos Direitos Humanos Dr. José Gregori,
Pátio do Colégio, 5 – Centro – São Paulo – SP,
CEP 01016-040, BRASILIEN
Fax: (00 55) 11 3106 0030

BEWEGUNG FÜR OBDACHLOSE IM ZENTRUM VON SÃO PAULO (MSTC)
Movimento Sem-Teto do Centro,
Avenida São João, 1495 - 2º andar,
Metrô Santa Cecília
São Paulo, SP,
CEP 01211-000, BRASILIEN

Botschaft der Föderativen Republik Brasilien
S.E. Herr Everton Vieira Vargas
Wallstraße 57, 10179 Berlin
Fax: 030–7262 83-20 oder -21
E-Mail: brasil@brasemberlim.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Portugiesisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 4. August 2009 keine Appelle mehr zu verschicken.

PLEASE SEND APPEALS TO ARRIVE AS QUICKLY AS POSSIBLE, IN PORTUGUESE OR YOUR OWN LANGUAGE:

  • expressing concern that over 400 families were forcibly evicted from the INSS building on 16 June and left homeless, and that more than 200 families are living in completely inadequate conditions in an enclosed space under a viaduct;

  • calling on the municipal authorities to immediately provide emergency relief including food, water and access to medical assistance to people who have been made homeless as a result of the forced eviction;

  • calling on the authorities to ensure that all the families who were forcibly evicted are provided with adequate alternative accommodation and compensation for all losses and guaranteed the right to an effective remedy;

  • expressing concern that riot police appear to have used excessive force on 18 June, and asking the authorities to order an immediate, thorough and independent investigation;

  • calling on the authorities to cease all forced evictions immediately, and implement a long-term, detailed housing policy to address homelessness in São Paulo.

Amnesty fordert:

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE UND LUFTPOSTBRIEFE, IN DENEN SIE

  • Ihre Sorge darüber zum Ausdruck bringen, dass über 400 Familien aus dem INSS-Gebäude zwangsgeräumt wurden, und dass über 200 Familien gezwungen sind, unter inakzeptablen Bedingungen auf einem abgeriegelten Gelände unter einem Viadukt zu leben;

  • die Stadtverwaltung auffordern, umgehend Nothilfe zu leisten, was die Versorgung mit Essen, Wasser und den Zugang zu medizinischer Versorgung für Personen beinhaltet, die aufgrund einer Zwangsräumung obdachlos geworden sind;

  • fordern, dass allen Familien, die zwangsgeräumt wurden, eine angemessene alternative Unterkunft, eine Entschädigung für entstandene Verluste und das Recht auf effektive Hilfe garantiert werden;

  • Ihre Sorge darüber zum Ausdruck bringen, dass es seitens der Bereitschaftspolizei am 18. Juni 2009 allem Anschein nach zu exzessiver Gewaltanwendung kam und von den Behörden fordern, dass eine sofortige, gründliche und unparteiische Untersuchung in die Wege geleitet wird;

  • die Behörden auffordern, sämtliche Zwangsräumungen unverzüglich einzustellen und eine langzeitliche, genau umrissene Wohnungspolitik für die Obdachlosen in São Paulo zu initiieren.

Sachlage

Die Familien hatten ein Regierungsgebäude im Besitz der brasilianischen Sozialhilfe INSS bewohnt. Zuvor waren sie alle obdachlos. Laut der Movimento Sem-Teto do Centro (MSTC), einer Bewegung für Obdachlose im Zentrum von São Paulo, stand das Gebäude 20 Jahre leer und war für Sozialwohnungen vorgemerkt. Die Familien erhielten zwar einen Räumungsbefehl, sie wurden aber nicht rechtzeitig informiert. Man teilte ihnen weder mit, wann die Räumung stattfinden würde, noch wurde ihnen eine alternative Unterkunft angeboten. Um nicht mit Gewalt zwangsgeräumt zu werden, verließen die Familien das Gebäude freiwillig. Etwa die Hälfte kam bei Verwandten oder Freunden unter. Aufgrund mangelnder Alternativen errichteten die übrigen, über 200 Familien, ein provisorisches Lager neben der Hauptstraße Avenida Nove de Julho im Zentrum von São Paulo.

Die Stadtverwaltung bot ihnen daraufhin Plätze in kommunalen Hostels an, die die Familien aber ablehnten, da sie nur kurzzeitig zur Verfügung stehen und die Familien aufspalten und Frauen und Kinder von ihren Männern trennen würden. Zusätzlich bieten sie nicht genügend Platz für die gesamte Gruppe.

In der Nacht des 18. Juni 2009 erschien die Bereitschaftspolizei und forderte die Familien auf, das Gelände innerhalb von 40 Minuten zu verlassen. Als sich die Familien weigerten, rückte die Bereitschaftspolizei mit Tränengas, Pfefferspray und Schlagstöcken gegen sie vor. Die Obdachlosen zündeten Matratzen und Möbel an und errichteten mit ihnen eine Straßenblockade. Anschließend flohen sie. Lastwagen der Gemeinde entfernten daraufhin die restlichen Besitztümer der Familien, einschließlich Decken, Töpfe, Pfannen und Öfen. Laut der MSTC wurden bei dieser Auseinandersetzung fünf Obdachlose verletzt, unter ihnen auch ein Kind. Die Polizei gibt an, die Obdachlosen hätten Steine auf sie geworfen und vier Beamte leicht verletzt. Diese Behauptung wird von der MSTC zurückgewiesen.

Die Gruppe, die Alte und Kleinkinder ab neun Monaten umfasst, kehrte vollkommen mittellos in ihr Lager zurück und fürchtete weitere Polizeiaktionen. Sie wechselten sich mit dem Schlafen ab, um Wache zu halten. Am 22. Juni kam die Bereitschaftspolizei zurück, um das Gelände erneut zu räumen. Nach Verhandlungen wurde die Gruppe zu einem abgeriegelten Gelände unter einem Viadukt gebracht, wo es weder Wasser noch Strom gibt. Nichtregierungsorganisationen arbeiten daran, das Gelände bewohnbar zu machen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

In São Paulo herrscht ein permanenter Mangel an Wohnraum für einkommensschwache Familien. Sie sind häufig gezwungen, in den Elendsvierteln am Rand der Stadt zu leben. Die Stadtverwaltung erneuert zurzeit das Zentrum der Stadt, wodurch der Wohnraum für die Armen weiter reduziert wird. Gleichzeitig stehen viele Gebäude leer, von denen viele über ihren Verkehrswert hinaus mit ausstehenden Steuerzahlungen und Nutzungskosten belastet sind. Mit der Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen haben arme Familien nun begonnen, diese Häuser zu besetzen.

Das Prestes Maia-Gebäude, das seit über acht Jahren leer gestanden hatte, wurde 2002 von über 400 Familien besetzt und wurde dadurch zu einer Cause Célèbre der Obdachlosenbewegung. Nach internationalem Druck stellte die Stadtverwaltung 2007 einigen Familien Wohnraum zur Verfügung und übernahm bei anderen einen Teil der Mietkosten. Dies wurde seinerzeit als Sieg für die Bewegung angesehen, allerdings hat die Stadtverwaltung ihre Unterstützung bereits für 300 der Familien wieder eingestellt.