Syrischen Flüchtlingen droht Abschiebung

AktivistInnen in Lesvos/ Griechenland demonstrieren gegen die aktuelle Flüchtlingspolitik

AktivistInnen in Lesvos/ Griechenland demonstrieren gegen die aktuelle Flüchtlingspolitik

Zwei syrische Flüchtlinge sind die ersten, die auf der Grundlage des Abkommens zwischen der Türkei und der EU in die Türkei abgeschoben werden sollen, nachdem ihre Asylanträge von den griechischen Behörden abgelehnt wurden. Sie befinden sich gegenwärtig in Polizeigewahrsam auf der griechischen Insel Lesbos und sind in unmittelbarer Gefahr, in die Türkei abgeschoben zu werden, wo ihre Sicherheit und ihr Schutz nicht gewährleistet werden können.

Appell an

POLIZEICHEFIN
Zacharoula Tsirigoti
P. Kanellopoulou 4
10177, Athens, GRIECHENLAND
(Anrede: Dear General / Sehr geehrte Frau Tsirigoti)
Fax: (00 30) 210 697 7102
E-Mail: tsirigoti@astynomia.gr

Sende eine Kopie an

MINISTER FÜR MIGRATION (ALTERNIEREND)
Ionnis Mouzalas
Stadiou 27
10183, Athens, GRIECHENLAND
Fax: (00 30) 213 136 4418
E-Mail: gram.anaplypourgou@ypes.gr

BOTSCHAFT DER HELLENISCHEN REPUBLIK
S.E. Herrn Theodoros Daskarolis
Jägerstraße 54/55
10117 Berlin
Fax: 030-206 264 44
E-Mail: info@griechische-botschaft.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Englisch oder auf Deutsch. Da Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 18. Juli 2016 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte stellen Sie sicher, dass M.F. und J.B. nicht in die Türkei abgeschoben werden und ihre Asylanträge auf ihre Begründetheit geprüft werden.

  • Ich bitte Sie eindringlich, alle Rückführungen von Asylsuchenden und Flüchtlingen in die Türkei mit der Begründung, dort seien sie sicher, einzustellen.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Urging the Greek authorities to ensure that M.F and B.J. are not returned to Turkey and to examine the substance of their asylum claims in Greece.

  • Calling on them to immediately halt the return of all asylum-seekers and refugees to Turkey who would be returned on the grounds that it is safe.

Sachlage

Die syrischen Flüchtlinge M.F. und J.B. (aus Sicherheitsgründen werden ihre vollständigen Namen nicht genannt) sind von den griechischen Behörden darüber informiert worden, dass ihre Asylanträge abgelehnt wurden. Die beiden Männer sind deshalb in unmittelbarer Gefahr, in die Türkei abgeschoben zu werden.
Die Flüchtlinge waren nach der am 18. März erfolgten Unterzeichnung des Abkommens zwischen der EU und der Türkei auf der Insel Lesbos angekommen und hatten bei den zuständigen griechischen Behörden einen Asylantrag gestellt. Auf der Grundlage dieses Abkommens können die griechischen Behörden Asylsuchende und Flüchtling in die Türkei zurückschieben, wenn sie davon ausgehen, dass sie in der Türkei sicher sind.

Die Asylanträge beider Männer wurden in der ersten Instanz und im Rechtsmittelverfahren mit der Begründung abgelehnt, die Türkei sei "ein sicherer Drittstaat" für sie.

Die Recherchen von Amnesty International haben jedoch ergeben, dass die Türkei kein sicheres Land für Flüchtlinge und Asylsuchende ist, wenn sie dorthin abgeschoben werden. Flüchtlinge und Asylsuchende, darunter syrische Staatsangehörige, sind aus der Türkei in ihre Herkunftsländer abgeschoben worden, wo sie der Gefahr schwerer Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Innerhalb der Türkei erhalten die meisten Asylsuchenden und Flüchtlinge keine staatliche Unterstützung bzw. haben nicht die Möglichkeit, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen. Folglich leben viele von ihnen unter extrem schlechten und ärmlichen Bedingungen.

M.F. und J.B. befinden sich derzeit auf einer Polizeiwache auf Lesbos und können jederzeit abgeschoben werden, da die nationalen und internationalen Rechtsmittel, die ihre Rechtsbeistände eingelegt haben, nicht garantieren können, dass ihre Abschiebung gestoppt werden kann.

Hintergrundinformation

Hintergrund

J.B. und M.F. sind syrische Staatsangehörige. J.B. ist ein Christ armenischer Abstammung. Er floh über den Libanon aus Syrien und traf am 6. April 2015 in der Türkei ein. Dort wurde ihm vorübergehender Schutz gewährt und er arbeitete einige Monate im informellen Sektor. Er traf am 6. Mai 2016 in Griechenland ein und stellte dort am 13. Mai einen Asylantrag. Das Ergebnis des Asylverfahrens wurde ihm am 3. Juni mitgeteilt. Der Berufungsausschuss der Asylstelle befand, dass J.B. Verbindungen zur Türkei hergestellt habe und die Türkei deshalb ein sicheres Land für ihn sei. Der Ausschuss vertrat außerdem die Auffassung, dass die Türkei das Prinzip des Non-Refoulement (Nicht-Zurückweisung) beachte, also das Prinzip, niemanden in ein Land abzuschieben oder zurückzuschicken, in dem ihm oder ihr schwere Menschenverletzungen drohen. Der Ausschuss hielt somit seine erstinstanzliche Entscheidung, die Begründetheit des Asylantrags nicht zu prüfen, aufrecht.

M.F. traf am 29. März 2016 auf Lesbos ein und stellte am 5. Mai einen Asylantrag. Er gab an, aus der Türkei geflohen zu sein, weil er Drohungen von Mitgliedern der bewaffneten Gruppierung "Islamischer Staat" erhalten habe. M.F wurde am 1. Juni über die Entscheidung des Berufungsausschusses für Asylangelegenheiten informiert. Wie im Fall von J.B.lehnte der Ausschuss es ab, die Begründetheit seines Asylbegehrens zu prüfen, und erklärte J.B. habe Verbindungen zur Türkei, weil er eine Aufenthaltsgenehmigung (bis zum Juli 2016) besitze und dort auch gearbeitet habe. Somit sei die Türkei ein sicheres Land für ihn.

Dies sind die ersten bekannt gewordenen Fälle, in denen Asylanträge im Berufungsverfahren für unzulässig erklärt wurden. In einigen vorherigen Fällen hatte der griechische Berufungsausschuss befunden, dass die Türkei kein sicheres Land für syrische Asylbewerber_innen sei, weil sie in Gefahr seien, von dort abgeschoben zu werden, da die Türkei Flüchtlingen keinen Schutz auf der Grundlage des internationalen Flüchtlingsrechts biete. Die Türkei verweigert allen nicht-europäischen Flüchtlingen den vollen Flüchtlingsschutz und damit eine langfristige Integration.

Am 18. März 2016 unterzeichneten die Türkei und die EU ein weitreichendes Abkommen, um die Migration einzudämmen (siehe: http://www.amnesty.de/2016/3/22/historischer-rueckschlag-fuer-die-rechte-von-fluechtlingen). Gegen die Zahlung von bis zu 6 Milliarden Euro und eine Anzahl politischer Zugeständnisse der EU willigte die Türkei ein, alle "irreguläre Migrant_innen", die nach dem 20. März auf griechischen Inseln eintreffen, zurückzunehmen.

Die Hauptrechtfertigung für das EU-Türkei-Abkommen ist die Annahme, dass die Türkei ein sicheres Land ist, in das Asylsuchende und Flüchtlinge zurückgeschickt werden können. Die Recherchen von Amnesty International haben jedoch ergeben, dass Ende 2015 und Anfang 2016 aus der Türkei Menschen nach Afghanistan (siehe: http://www.amnesty.de/2016/3/23/tuerkei-schiebt-widerrechtlich-fluechtlinge-nach-afghanistan-ab), in den Irak (siehe: https://www.amnesty.org/en/documents/eur44/3022/2015/en/) und nach Syrien zurückgeschoben wurden (siehe: https://www.amnesty.de/2016/4/1/tuerkei-schiebt-massenhaft-syrische-fluechtlinge-ab).

Nach Angaben der griechischen Polizei sind zwischen Anfang 2016 und dem 20. Mai 1.048 "irreguläre Migrant_innen" auf Grundlage des Rückübernahmeabkommens zwischen Griechenland und der Türkei und weitere 441 auf Grundlage des EU-Türkei-Abkommens in die Türkei zurückgeschickt worden. Die griechischen Behörden erklären, dass es sich bei den Abgeschobenen um abgelehnte Asylsuchende, Migrant_innen ohne Ausweispapiere oder Menschen, die freiwillig zurückkehrten, gehandelt habe.

Die meisten der 441 Menschen, die auf der Grundlage des Abkommens aus Griechenland abgeschoben wurden, sind in Haft genommen worden und einigen wurde der Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigert – beispielsweise im Flüchtlingslager Düziçi in der türkischen Provinz Osmaniye (siehe: https://www.amnesty.de/urgent-action/ua-118-2016/fluechtlinge-willkuerlich-inhaftiert und https://www.amnesty.de/urgent-action/ua-118-2016-1/freigelassen). Die Ermittlungen von Amnesty International haben Ende 2015 ergeben, dass im Flüchtlingslager Düziçi Menschen unter Druck gesetzt – oder sogar gezwungen wurden – in den Irak oder nach Syrien zurückzukehren, obwohl ihnen dort schwere Menschenrechtsverletzungen drohten.