Sorge um Hungerstreikende

Zeichnung einer Figur hinter Gefängnisgittern

Eine Akademikerin und ein Grundschullehrer befinden sich in der türkischen Hauptstadt Ankara in Untersuchungshaft. Sie protestieren in einem langen Hungerstreik gegen ihre Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst.

Appell an

Justizminister

Mr Abdulhamit Gül

Ministry of Justice

Adalet Bakanlığı

06659 Ankara

TÜRKEI

Sende eine Kopie an

Parlamentarischer Ausschuss für Menschenrechte

Mustafa Yeneroğlu, Commission Chairperson

TBMM İnsan Hakları İnceleme Komisyonu

Bakanlıklar, 06543 Ankara, TÜRKEI

Fax: (00 90) 312 420 24 92

E-Mail: insanhaklarikom@tbmm.gov.tr

BOTSCHAFT DER REPUBLIK TÜRKEI

S.E. Herrn Ali Kemal Aydin

Tiergartenstr. 19-21, 10785 Berlin


Fax: 030-275 90 915


E-Mail: botschaft.berlin@mfa.gov.tr

Amnesty fordert:

Schreiben Sie bitte E-Mails, Faxe oder Luftpostbriefe mit folgenden Forderungen

  • Ich fordere Sie höflich und mit Nachdruck auf, Nuriye Gülmen und Semih Özakça umgehend und bedingungslos freizulassen, da sie offenbar nur aufgrund ihres friedlichen Protests inhaftiert sind.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass sie vor Folter und anderen Misshandlungen geschützt werden und Zugang zu unabhängigem medizinischen Fachpersonal erhalten, das ihnen eine gesundheitliche Versorgung in Übereinstimmung mit der ärztlichen Ethik einschließlich der Prinzipien der Vertraulichkeit, Autonomie und der informierten Zustimmung gewährt.
  • Ich möchte Sie daran erinnern, dass die beiden lediglich eine friedliche Form des Protests ausüben und die türkischen Behörden die Verpflichtung haben, ihr Recht auf Meinungsfreiheit zu respektieren, zu der auch diese Form des Protests gehört.

Sachlage

Die Akademikerin Nuriye Gülmen und der Grundschullehrer Semih Özakça sind am 23. Mai in Ankara in das Sincan-Gefängnis verlegt worden. Sie befinden sich in einem langen Hungerstreik, mit dem sie gegen ihre Entlassung aus dem öffentlichen Dienst protestieren. Es besteht Sorge um ihre Wohlergehen, auch deshalb, weil sie gezwungen werden könnten, ihren Hungerstreik aufzugeben.

Am frühen Morgen des 22. Mai veröffentlichten die Akademikerin Nuriye Gülmen und der Grundschullehrer Semih Özakça in sozialen Medien, dass sie zuhause festgenommen und dann in Polizeigewahrsam gebracht worden seien. Am 23. Mai ordnete ein Gericht in Ankara an, sie im Sincan-Gefängnis in Ankara in Untersuchungshaft zu nehmen.

Nuriye Gülmen und Semih Özakça protestierten seit November 2016 am Menschenrechtsdenkmal im Zentrum von Ankara gegen ihre Entlassung per Präsidialerlass. Während der ersten Monate ihres Sitzprotests wurden sie mehrfach von der Polizei festgenommen. Am 9. März traten Nuriye Gülmen und Semih Özakça im Polizeigewahrsam in den bis heute andauernden Hungerstreik. Sie wurden am 14. März 2017 freigelassen, setzten ihren Hungerstreik jedoch am Menschenrechtsdenkmal in Ankara fort.

Ein Gericht in Ankara akzeptierte am 2. Mai eine Anklage wegen "Propaganda für eine terroristische Vereinigung". Am 23. Mai entschied das Gericht, Nuriye Gülmen und Semih Özakça in Untersuchungshaft zu nehmen, da sie "trotz ihrer Strafverfolgung darauf bestehen, ihre Aktion für die Terrorgruppe DHKP-C [Revolutionary People’s Liberation Party-Front, eine verbotene linksgerichtete bewaffnete Gruppe] fortzusetzen" und dass sie "das Vorgehen der Justiz schädigen werden, wenn man sie nicht in Untersuchungshaft nehme". Die beiden bestreiten jede Verbindung zu DHKP-C.

Amnesty International befürchtet, dass Nuriye Gülmen und Semih Özakça zwangsernährt werden könnten. Paragraf 82 des Gesetzes Nr. 5275 über die Durchführung von Urteilen gestattet es den Gefängnisbehörden, auf Entscheidung der Gefängnisärzte hin Gefangene im Hungerstreik zwangszuernähren. Eine solche Behandlung kann grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleichkommen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Nuriye Gülmen und Semih Özakça wurden wie mehr als 100.000 weitere Angestellte im öffentlichen Dienst durch einen Präsidialerlass entlassen, ohne dass es eine individuelle Begründung für ihre Entlassung gegeben hätte. Amnesty International stellte die willkürliche Natur dieser Entlassungen und den Mangel an effektiven Einspruchsmechanismen in dem englischsprachigen Bericht No End In Sight: Purged Public Sector Workers Denied A Future In Turkey (siehe https://www.amnesty.org/en/documents/eur44/6272/2017/en/) detailliert dar. Die Behörden haben diese Entlassungen mit den vagen und allgemeingehaltenen Gründen im Präsidialerlass gerechtfertigt: Die entlassenen Personen "sind Mitglieder einer terroristischen Vereinigung, haben eine Verbindung zu einer solchen Vereinigung oder stehen mit ihr im Kontakt".

Wie Nuriye Gülmen und Semih Özakça haben auch andere entlassene Angestellten des Öffentlichen Dienstes weder eine Begründung erhalten noch stehen ihnen wirksame Mittel zum Anfechten der Entscheidung zur Verfügung. Die Entlassung ohne angemessenes Verfahren ist nicht das einzige Problem, sie sind darüber hinaus auch von allen Formen öffentlicher Leistungen ausgeschlossen worden. Das heißt, viele der Entlassenen können ihre berufliche Laufbahn nicht weiterverfolgen und ihren Lebensunterhalt nicht ohne die Hilfe von Freund_innen und Familie sichern. Sie können auch nicht ins Ausland gehen, um dort zu arbeiten, da die türkischen Behörden ihre Pässe für ungültig erklärt haben. Amnesty International fordert ein Ende der willkürlichen Entlassungen und die umgehende Einrichtung eines wirksamen Rechtsmittelverfahrens, mit dem Einspruch gegen die Entlassung eingelegt werden kann.

Amnesty International unterstützt weder Hungerstreiks noch versucht die Organisation, Hungerstreikende davon zu überzeugen, diese Form des Protests einzustellen. Die Organisation lehnt jede Bestrafung von Hungerstreikenden wegen des Ablehnens der Nahrungsaufnahme ebenso wie Versuche, sie zum Abbruch des Hungerstreiks zu zwingen, ab. Derartige Maßnahmen verstoßen gegen das Recht von Hungerstreikenden auf freie Meinungsäußerung und können auch grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleichkommen. Die Behörden haben die Verpflichtung, das Recht auf Leben und Gesundheit von Gefangenen zu gewährleisten, und müssen sicherstellen, dass Hungerstreikende wie andere Gefangene angemessenen Zugang zu qualifiziertem Gesundheitspersonal und Diagnostik, medizinischer Beratung und jeder Behandlung erhalten, die sie basierend auf diese Diagnose aus freien Stücken beginnen möchten.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Urging the Turkish authorities to immediately and unconditionally release Nuriye Gülmen and Semih Özakça as they appear to be detained solely in connection to their peaceful protest.
  • Calling on them to ensure that they are protected from torture and other ill-treatment and that they have access to independent medical professionals to provide health care in compliance with medical ethics, including the principles of confidentiality, autonomy and informed consent.
  • Reminding them that they are engaging in a peaceful form of protest and the Turkish authorities have an obligation to respect their right to freedom of expression, including their right to protest.