Foltervorwürfe im Diyarbakir-Gefängnis untersuchen!

Faltblatt Cover: "Folter stoppen"

Faltblatt Cover: "Folter stoppen"

Am 1. Dezember soll Mehmet Sıddık Meşe von Gefängniswärter_innen in einem Gefängnis der Stadt Diyarbakır brutal geschlagen worden sein. Daraufhin verweigerte man ihm die dringend nötige medizinische Versorgung sowie eine rechtsmedizinische Untersuchung durch unabhängige Fachkräfte. Am 9. Dezember entschied die Staatsanwaltschaft aufgrund des Berichts eines_r Gefängnisärzt_in, kein Strafverfahren einzuleiten.

Appell an

Minister of Justice

Mr. Abdülhamit Gül

Türkiye Cumhuriyeti Adalet Bakanlığı

06659 Kızılay / Ankara

TÜRKEI

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Türkei

S. E. Herrn Ali Kemal Aydın


Tiergartenstr. 19-21

10785 Berlin

Fax: 030-275 90 915

E-Mail: botschaft.berlin@mfa.gov.tr

Amnesty fordert:

  • Stellen Sie bitte sicher, dass Mehmet Sıddık Meşe sofortigen Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung erhält und von unabhängigen Rechtsmediziner_innen untersucht wird.
  • Stellen Sie zudem sicher, dass die Folter- und Misshandlungsvorwürfe sofort unabhängig und unparteiisch untersucht werden und die Verantwortlichen in fairen Verfahren vor Gericht gestellt werden.

Sachlage

Mehmet Sıddık Meşe soll am 1. Dezember 2020 gefoltert und anderweitig misshandelt worden sein. Er wird wegen Betrugsvorwürfen zurzeit im T-Typ-Gefängnis Nr. 3 in Diyarbakır festgehalten. Laut der Zeugenaussage, die er seinem Rechtsbeistand zukommen ließ, brachten ihn am Morgen des 1. Dezember vier Gefängniswachen aus dem Gefängnisschlafsaal in einen separaten Bereich, der als "Aquarium" bekannt ist. Dort schlugen ihm während ungefähr 40 Minuten mindestens vier Wachen mit Holzstöcken auf die bloßen Fußsohlen (Bastonade – Falaka) sowie ins Gesicht und auf den ganzen Körper.

Sein Rechtsbeistand traf sich am 2. Dezember mit Mehmet Sıddık Meşe und konnte bestätigen, dass sein Gesicht aufgeschlagen und geschwollen, beiden Augen blutunterlaufen und seine Füße mit Blutergüssen übersät waren. Mehmet Sıddık Meşe beklagte sich außerdem über Schwindel und starke Schmerzen an den Füssen und am Rücken. Doch er wurde nicht zu einer unabhängigen rechtsmedizinischen Untersuchung ins Krankenhaus gebracht. Vielmehr kam der_die Gefängnisärzt_in in einem medizinischen Bericht zu dem Schluss, dass Mehmet Sıddık Meşe nicht geschlagen worden sei. Für mindestens sieben Tage wurde er auf die Krankenstation des Gefängnisses verlegt, wo die einzige Behandlung im Kühlen mit Eis und kaltem Wasser bestand.

Am 3. Dezember wurde eine Untersuchung der Vorfälle eingeleitet, nachdem der Rechtsbeistand von Mehmet Sıddık Meşe Strafanzeige gegen die Verdächtigen erstattet hatte. Der_die für Gefängnisse zuständige Staatsanwält_in befragte Mehmet Sıddık Meşe am 8. Dezember in einer Videokonferenz in Abwesenheit seines Rechtsbeistandes zu dem Sachverhalt – obwohl dieser ein Gesuch gestellt hatte, dem Verhör beiwohnen zu dürfen. Laut des Rechtsbeistands waren die Aufzeichnungen der gefängnisinternen Überwachungskameras lückenhaft und zeigten nur eine zweiminütige Videoaufnahme. Der_die Staatsanwält_in für Gefängnisse weigerte sich, Mehmet Sıddık Meşe in ein Krankenhaus bringen zu lassen. Der Antrag dazu war Teil der Strafanzeige des Rechtsbeistands und entspricht den Vorgaben des Istanbul-Protokolls, in dem die Richtlinien für wirksame rechtliche und medizinische Untersuchungen bei Folter- und Misshandlungsvorwürfen festgeschrieben sind. Basierend auf Aussagen der beteiligten Gefängniswachen und dem Bericht des_r Gefängnisärzt_in entschied sich die Staatsanwaltschaft am 9. Dezember dazu, wegen mangelnder Beweise kein Strafverfahren einzuleiten.

Hintergrundinformation

Hintergrund

In den vergangenen Jahren haben die Vorwürfe über Folter im Gewahrsam in der Türkei erheblich zugenommen. Im türkischen Recht sind die Staatsanwaltschaften qua ihres Amtes berechtigt, jede Art von Vorwürfen über Folter und andere Formen der Misshandlung zu untersuchen. Beschwerden über Folter und andere Misshandlungen können auch im Büro der Ombudsperson und beim Institut für Menschenrechte und Gleichbehandlung in der Türkei (http://ennhri.org/our-members/turkey/) eingereicht werden. Das Institut für Menschenrechte und Gleichbehandlung hat in der Türkei die Zulassung als nationaler Präventionsmechanismus im Rahmen der Vorgaben des Fakultativprotokolls des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Doch trotz dieser formalen Gegebenheiten setzen die relevanten rechtlichen und anderen Institutionen in der Türkei das absolute Folterverbot nicht durch, sodass die Straflosigkeit bei diesen Verbrechen weit verbreitet ist. 

Sowohl im türkischen Recht als auch in internationalen Menschenrechtsnormen besteht ein absolutes Verbot für Folter und andere Misshandlungen.

Am 1. Dezember gegen 10 Uhr wandte sich Mehmet Sıddık Meşe an den für den Schlafsaal verantwortlichen Mitgefangenen und erzählte ihm von den Problemen, die er mit einigen Gefangenen hatte. Um zu verhindern, dass sein Anliegen untergeht, schrieb Mehmet Sıddık Meşe eine Nachricht an den Schlafsaalverantwortlichen und bat ihn, diese Probleme gegenüber der Gefängnisverwaltung anzusprechen. Diese Notiz übergab der Schlafsaalverantwortliche Wärtern, die in den Schlafsaal kamen, mit der Bemerkung, dass Mehmet Sıddık Meşe sie geschrieben habe. Daraufhin sollen die Gefängniswärter Mehmet Sıddık Meşe aus dem Schlafsaal in einen anderen Raum gebracht haben, der das "Aquarium" genannt wird. Dort seien die Überwachungskameras zum Teil von Postern oder Transparenten verdeckt gewesen. In diesem Raum unterzogen ihn mindestens vier Gefängniswärter während ungefähr 40 Minuten brutaler Prügel. Sie schlugen ihn u.a. mit Holzknüppeln auf die bloßen Fußsohlen.

Am 2. Dezember erzählte Mehmet Sıddık Meşe bei dem wöchentlichen Telefonat mit seinen Angehörigen von dieser Folter. Sie benachrichtigten seinen Rechtsbeistand, der noch am selben Tag ins Gefängnis fuhr. Er sah sich Mehmet Sıddık Meşes Körper genau an und dokumentierte die Verletzungen, die Mehmet Sıddık Meşe durch die Prügel davongetragen hatte. Auf die Strafanzeige des Rechtsbeistands hin wurde schließlich am 3. Dezember eine Untersuchung eingeleitet. Nach Angaben von Mehmet Sıddık Meşe untersuchte ihn der Gefängnisarzt am 3. Dezember sehr genau und machte sich umfassende Notizen, doch im medizinischen Bericht stand später, dass er nicht geschlagen worden sei.